Einblicke in die Filmkuratierungsarbeit von Diskollektiv: Prä- und Post-Corona
„Nie wieder Kosmos!“, ruft der Kosmonaut vom Meeresstrand gen Himmel. Die Kamera, aus der Vogelperspektive auf ihn gerichtet, fliegt davon, die Anfangscredits blenden zu psychedelischer Musik den Titel des Films ein: Eolomea. Der Kosmonaut urlaubt auf den Galapagosinseln. Dort trifft er auf eine Weltraumingenieurin und verliebt sich in sie. Doch dem Urlaubstraum von der Paarbeziehung/Familie (der Keimzelle des Kapitalismus) wird kein Happy End beschert. Stattdessen werden die Menschen in Eolomea, mal heroisch, mal mit löchrigen Socken, in eine ferne Galaxie entsandt. Auch Tiere fallen dem galaktischen Entdeckungswettbewerb zum Opfer. Das berühmteste ist wohl die Hündin Laika, die von den Sowjets auf Raummission geschickt wurde. Irgendwo schwebt ihre Sonde noch herum, doch Laikas Geist – so die These des Films Space Dogs – wandelt auf der Erde und hat von den Straßenhunden in Moskau Besitz ergriffen. Dort verwandeln sie sich zu außerirdischen, außerhäuslichen Wesen: Wild und in Rudeln kommen sie uns fremd vor.
Unser nie stattgefundenes Trouble Feature auf der Diagonale 2020 hätte Space Dogs, den opernhaften Dokumentarfilm über Weltraum- und Straßenhunde, der 2019 die internationalen Filmfestivals tourte, mit Eolomea, dem DDR-Science-Fiction-Kassenschlager von 1972, kombiniert. Es wäre ein schönes Programm geworden, mit genau der richtigen Mischung aus Crowd-Pleasern (Hunde und Katzen, Weltraum, tolle Musik und Farben, Breitbild und Sozialismus) und Diskussionspotential (Hunde und Katzen, Tierexperimente, Posthumanismus und Sozialismus). Wir hatten uns schon darauf gefreut. Doch wie wir alle wissen, musste die Diagonale kurz vor knapp abgesagt werden.
Prä-Corona
Noch vor einem Jahr war Diskollektiv schwer beschäftigt: Wir wälzten die Idee, einen Workshop zum Thema „Feministisch kuratieren“ zu veranstalten, zwei von uns sichteten fieberhaft Filme für ein Trouble Feature auf der Woche der Kritik, der Kontrast- und Parallelveranstaltung zur Berlinale. Und neben dem Crossing Europe Filmfestival in Linz stand eben auch die Diagonale in Graz auf dem Plan … Unsere Kuratierungsidee funktioniert deshalb so gut im Festivalkontext, weil sie von einem aktiven Kinopublikum lebt. Auf Filmfestivals finden sich interessierte Menschen, die genügend Sitzfleisch für und Lust auf unsere oft (heraus-)fordernden Programme mitbringen. Wir zeigen meist zwei Langfilme hintereinander, wobei der zweite ein Überraschungsfilm ist, der den ersten auf dissonante Weise kommentiert. Indem wir die Grenzziehungen der Filmlandschaft zwischen verschiedenen Genres, Arthouse und Kommerz, Geschichte und Gegenwart verwischen, möchten wir Diskussionen entfachen: mit und durch Filme und nicht über sie hinweg.
Seit unserer Gründung 2015 haben wir an jedem einzelnen unserer Trouble Features intensiv gearbeitet: unzählige gemeinsame Sichtungen bis tief in die Nacht, Brainstorming, falsche Fährten, Assoziationen und Diskussionen. Oft haben wir uns erst kurz vor der Deadline und in einem Zustand der kollektiven Erschöpfung auf „die richtige“ Filmkombination einigen können. Nach und nach hat sich diese konzentrierte, aber auch aufreibende Zusammenarbeit etwas gelockert. Diskollektiv ist ein gemeinnütziger Verein, niemand verdient daran. Da ist es nur logisch, dass sich irgendwann der Wunsch einstellt, etwas energieschonender zu arbeiten. Seit einiger Zeit versuchen wir, unsere Projekte besser zu koordinieren, reisen auch nicht mehr zu fünft zu den Festivals an und können uns so gegenseitig entlasten. Mit Corona hat sich dieser Trend verfestigt.
Post-Corona
Wenn „Post“ kein Danach impliziert, sondern eine bewusstgewordene Gegenwart, dann kann man unsere derzeitige Situation schon jetzt als Post-Corona-Situation bezeichnen, auch wenn das Ende der Pandemie nicht absehbar ist und die Kino-, Kultur- und Festivallandschaft weiterhin in der Krise steckt. Wir haben uns während einer Freiluftsitzung im Sommer entschieden, erstmal andere Projekte anzugehen. Wie eine Band, die fünf Jahre lang durch stickige Keller getourt ist, wollen wir jetzt unsere Arbeit und Ideen Revue passieren lassen und darüber nachdenken, was künftig möglich ist. Als Erstes steht ein Buchprojekt an, das unser Kuratierungskonzept reflektiert und Gespräche mit Menschen im Bereich der Filmkultur sucht, um über freies und kollektives Kuratieren zu reden. Außerdem möchten wir unsere Workshop-Idee wieder aufgreifen. Eine unserer drei Vereinsstatuten lautet schließlich „Vermittlung zwischen akademischer Filmforschung, Theoriebildung und kuratorischer Praxis“. Und diese Agenda werden wir in den nächsten Monaten verstärkt verfolgen. Wir sagen nicht „Nie wieder Kosmos!“ – in uns schlummern noch viele kuratorische Ideen –, aber wir werden jetzt mal länger von unserer Bodenstation aus arbeiten.
Programme und Infos finden sich unter www.diskollektiv.com