Es dürfte angesichts der Covid-19-Pandemie mehr als deutlich geworden sein, dass die Reste des seit den 1990er Jahren brutal deregulierten Sozial- und Wohlfahrtsstaates wahrhaftig lebensrettende Institutionen sind. Denn gerade die öffentlich finanzierten Gesundheitsberufe beweisen angesichts der beiden Lockdowns an der Grenze von Leben und Tod, dass ein menschlicher Körper in seiner Würde eben nicht kommerzialisiert werden darf, sondern gänzlich unabhängig von neoliberalen Ökonometrisierungen am Leben gehalten werden muss. Wenn parallel dazu eine sich als zivilisiert und aufgeklärt bezeichnende Gesellschaft auch verpflichtet ist, den freien und gleichen Zugang zu Bildung für alle Staatsbürger*innen zu garantieren, dann gilt dasselbe für das öffentliche Bildungssystem, das mit Sicherheit einen neuralgischen Punkt unserer gesellschaftlichen Anatomie darstellt.
Gerade deshalb ist aus medienpädagogischer (und d. h. hier auch marxistischer) Sicht eine Doppeldeutigkeit der gegenwärtigen Nutzung von Technologien im Bildungssektor (Schlagwort: Distance Learning) zu vermerken: Werden etwa Videokonferenzsysteme oder die Digitalisierung der Kommunikation zwischen 0 und 1 auf lange Sicht die neoliberale Taktung unserer Arbeits- und d. i. Lebenswelten vorantreiben? Oder ergibt sich durch die nun breitenwirksame Auseinandersetzung mit digitalen Medien auch die medienaktivistische Nutzung im Sinne einer demokratiepolitischen Vernetzung progressiver Kräfte? Um in diesem Rahmen nur eine kurze Antwort zu geben: Technologien sind per se – als von Menschen produzierte Instrumente – nicht entscheidungsfähig und tragen so auch keine Ethik. Sie sind also auch aus sich selbst heraus weder gut noch schlecht.
Wie angesichts der Sabotagen im Rahmen des Maschinensturms des 19. Jahrhunderts sollten wir mithin klar vor Augen haben, dass im Blick auf den Digitalen Kapitalismus gerade im Bildungssystem das Problem nicht im praktischen Gebrauch der (digitalen) Medien zu suchen ist, sondern – nach wie vor – in den vollkommen inakzeptablen Eigentums- und Klassenverhältnissen auf globaler und lokaler Ebene. Deshalb sei hier abschließend darauf verwiesen, dass es derzeit auch in den progressiven Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften eminent wichtige interdisziplinäre Diskussionen zum Digitalen Humanismus gibt, die sich jüngst in einem Wiener Manifest verdichteten.
Alessandro Barberi