Feministische Ökonomie #13
Inzwischen ist hinreichend bekannt, dass 2020 das reichste Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte (44 Prozent) des globalen Reichtums besitzt und die ärmsten 50 Prozent nur mehr zwei Prozent. Die 2.153 Milliardär*innen der Welt besitzen mehr als 4,6 Milliarden der ärmsten Menschen. Nach Geschlecht disaggregiert besitzen die reichsten 22 Männer der Welt mehr Reichtum als alle Frauen Afrikas zusammen; insgesamt besitzen Männer 75 Prozent des Reichtums der Welt (nachzulesen in der Oxfam-Publikation Time to Care). In Krisensituationen spitzt sich Ungleichheit auf Basis von Vermögen versus Einkommensabhängigkeit immer weiter zu: Während 16 Millionen US-Amerikaner*innen während der Corona-Krise im März innerhalb von drei Wochen ihre Jobs verloren, hatte der Dow Jones Ende März die beste Woche seit 1938.
Interessant sind zwei im Detail weniger reflektierte Problemlagen, die hinsichtlich der Wienwahlen auf Basis nützlicher Zahlen diskutiert werden sollen: der Mythos der fairen demokratischen Mitbestimmung und die Idee von Fleiß und Erfolg.
1. „Der Papa wird’s schon richten“: Trotz allgemeinem Wahlrecht (für Staatsbürger*innen) sind die Interessen der reichsten Mitbürger*innen überrepräsentiert, denn Vermögen geht insbesondere mit (Gestaltungs-)Macht einher. Das reichste Prozent ist eine teure globale Elite, die kaum von nationalstaatlichen Gesetzen, Steuergegebenheiten oder sonstigen sozialen Regeln beschränkt wird: Nur 4 Cent von jedem Dollar an Steuererträgen weltweit stammt aus Vermögenssteuern, obwohl die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung beispielsweise 50 Prozent der CO2-Emissionen verursachen, während die ärmsten 50 Prozent nur für 10 Prozent der Emissionen verantwortlich sind (vgl. Oxfam).
Warum nehmen wir das hin? Im Mikrokosmos arbeiten die ÖVP und Gernot Blümel mit der verzerrten subjektiven Wahrnehmung vieler Menschen, die sich allesamt als Mittelstand wahrnehmen. 2016 wird proklamiert, die „soziale Frage unserer Zeit ist die Ausbeutung des Mittelstandes“, jedoch gibt es keine einheitliche Definition der Mitte, sondern allenfalls verschiedene Ansätze, um Gesellschaftsschichten voneinander abzugrenzen: über soziokulturelle Merkmale wie den Bildungsstand oder den Erwerbsstatus; über finanzielle Kriterien wie das Einkommen oder Vermögen; oder über subjektive Aspekte wie Wertvorstellungen und Selbsteinschätzung. Das Ausmaß der weltweiten Ungleichverteilung, die Gier und Verantwortungslosigkeit dieser Eliten ist für die meisten moralisch unvorstellbar, schwer visualisierbar und nicht greifbar, trotzdem Unrechtsbewusstsein und Gerechtigkeitssinn durchaus vorhanden sind.
Obwohl viele Menschen es zum Beispiel als ungerecht empfinden, wenn Flüchtlinge ein Handy besitzen, glauben ebenfalls viele Menschen daran, dass Einkommens- und Vermögensunterschiede gerecht sind, weil sie vermeintlich auf harter Arbeit beruhen, auf Erfindungsreichtum oder zumindest auf Glück. Vermögenssteuern werden von vielen abgelehnt, weil sie denken, dass es dann auch sie selbst treffen könnte, wenn sie fleißig arbeiten oder erben. Doch mit durchschnittlicher ehrlicher harter Arbeit und dem, was daraus vererbt werden kann, reich zu werden, ist heute tatsächlich unmöglich.
2. „Kein Haus am Land für mich, oje“: Für den (gehobenen) Mittelstand ist ein wichtiger Marker auf der persönlichen Erfolgsleiter der Wohnungsbesitz. Doch finden sich auch in Wien Besitzer*innen von Eigentumswohnungen fast ausschließlich in hohen Vermögensklassen, während fast die Hälfte der ärmsten Haushalte in Gemeindewohnungen wohnt (siehe den Wiener Reichtumsbericht 2012 der MA 24). Historisch gesehen war es in den 1960er bis 1990er Jahren noch relativ leicht als Familie in Österreich im Laufe eines Erwerbslebens ein Eigenheim zu erwerben. Mittlerweile hat sich die Situation geändert, wie ein kurzes Rechenbeispiel erläutern mag.
Dazu zunächst eine Erklärung des sogenannten Medians: Median bezeichnet den Wert, bei dem 50 Prozent der Menschen in Österreich weniger verdienen und 50 Prozent mehr verdienen. Das ist nicht der Durchschnitt aller Einkommen. Nun betrug in Österreich das Mediannettojahreseinkommen 2017 bei Arbeiter*innen 15.866 Euro, bei Angestellten 23.167, bei Vertragsbediensteten und Beamt*innen 29.053, bei allen Männern im Schnitt 24.564, bei Frauen 16.931 (also 31 Prozentpunkte weniger) und insgesamt im Schnitt aller unselbständig Erwerbstätigen 20.821 Euro. Bei 40 Jahren Arbeit zu diesem Medianeinkommen von 2017 (wobei es unrealistisch ist, das ganze Leben gleich viel Verdienst anzunehmen) ergibt sich ein Arbeitslebenseinkommen von 832.840 Euro, also nicht einmal eine Million Euro ohne Abzüge irgendwelcher Kosten. Wird mit 1.600 Euro Fixkosten gerechnet verbleiben 64.840 Euro Erspartes nach 40 Jahren. Bei Arbeitern sind es nur 10.880 Euro. Arbeiterinnen können sich keine Fixkosten von 1.600 Euro leisten, sie hätten sich im Laufe ihres Lebens in diesem Rechenbeispiel um 147.800 Euro verschuldet, was es erübrigt, ihr Lebenseinkommen in traditionelle Haushaltsdoppeleinkommen miteinzubeziehen. Arbeiter*innenkinder von heute können demnach nicht erwarten zu erben. Das passt zu den Zahlen des Household Finance and Consumption Survey 2017. Demnach beträgt das Medianvermögen in Österreich 82.000 Euro, was eine Eigentumswohnung nicht auch nur annähernd ermöglichen würde. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis einer Wohnung beträgt in Wien derzeit 6.200 Euro, 50 Quadratmeter kommen daher auf 310.000 Euro; das Haus am Land wird sich auch nicht ausgehen. Manager*innen der an der österreichischen Börse notierten Unternehmen könnten jedenfalls aus ihren laufenden Kosten heraus eine Eigentumswohnung oder einen Landsitz finanzieren, sie verdienten 2017 durchschnittlich 1,7 Millionen Euro im Jahr, das ist etwa das 86-fache der Arbeiter*innen.
Die ungleiche Verteilung der gemessenen Vermögen ist dort besonders hoch, wo die Wohneigentumsquote gering ist – in Wien etwa mit nur 18 Prozent im Vergleich zu Restösterreich mit 56,2 Prozent. Es ist jedoch nicht die Lösung, eine „Abschaffung der Grunderwerbssteuer, steuerliche Absetzbarkeit von Immobiliendarlehen und die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus“ zur Verringerung der Vermögensungleichheit zu fordern, wie es im Jänner die Publikation Gründe für die niedrige Wohneigentumsquote in Deutschland der Deutschen Bundesbank tat. Vielmehr sollten soziale Leistungen wie der öffentliche Wohnbau, Öffis, Gratis-Fahrräder, Familienleistungen, Kulturangebote, Infrastruktur für Erholung, aber auch das Versorgungspotential privater Haushalte (Care-, Pflege- oder reproduktive Arbeit) oder unentgeltliche Inputs der Natur endlich in Vermögensrechnungen miteinbezogen, berücksichtigt und auf viele Arten politisch gestützt, gefördert und ausgebaut werden.