An dieser Stelle findet sich Kürzestprosa – von einer Zeile bis zu einer halben A-4-Seite –, verfasst von verschiedensten Autorinnen*, kuratiert von Marie Luise Lehner und Katharina Pressl. Solche Mini-Formate verschwinden häufig. Sie sind schwierig zu publizieren, da sie nicht den präferierten Anforderungen von Länge und Größe entsprechen. Hier abgedruckt ist also ein selten einsehbares Geflecht von kurzen Texten neuerer sowie etablierterer Autorinnen*. Sie alle baten wir, Frauen*figuren zu beschreiben. Es entstand Frauen* schreiben Frauen*: Sich von der Aussage zur eigenen Geschichte bewegend, nehmen Frauen* und ihre Figuren gemeinsam Platz.
In diesem letzten Teil der Serie finden sich Texte über Beziehungen. Sie handeln vom Zuhören, vom Hinausschmeißen, vom Annähern und vom Schlussmachen. Es gibt einen Text über das Frühstück, einen darüber, wie es ist, einem fremden Mann für Geld zuhören zu müssen, und es wird in lauten, männerfreien Räumen gefeiert. Es wird eine Lügensuppe serviert und eine Lebensgeschichte erzählt. Es wird immer wieder und wieder ein Schlussstrich gezogen: nach jedem Kurzprosatext, nach jeder Ausgabe einer Textsammlung, wie sie jetzt über ein Jahr hinweg an dieser Stelle erschienen ist, und schließlich auch am Ende unseres Projekts, literarische Stimmen vieler Autorinnen* auf einer Seite zu sammeln. In dieser Ausgabe befinden sich Texte von Maria Muhar, Elisabeth Pressl, Stefanie Sargnagel, Marie Luise Lehner, Felicitas Prokopetz, Katharina Menschick, Katharina Pressl und Naa Teki Lebar.
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Du kannst gerne zum Frühstück kommen. Es gibt Zigaretten. Aber wenn dir das zu ekelhaft ist, kann ich dir auch Eier mit Kaffee und Marmelade machen.
Maria Muhar
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Könnte schwören, Deutsch ist nicht deine Muttersprache, sagt er, wenn ich keine Worte finde, für das, was er mit mir besprechen will, hier an diesem Ort, an dem ich sein muss und den er freiwillig aufsucht. Dass ich dann über alles sprechen muss, das er vorschlägt, verlangt bis zu einem gewissen Grad das Geschäft. Ich zähle leise runter bis mir der Stundenlohn den Wahnsinn nicht mehr wert ist, und ich die Zurückhaltung in meiner Muttersprache verlieren werde, und, kann sein, dass er dann nichts mehr versteht.
Elisabeth Pressl
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Die Musik ist so laut, damit die Leute eine Entschuldigung haben, um sich gegenseitig nah zu sein. Lass uns einander berühren, wenn wir uns ins Ohr schreien.
Nachts – Marie Luise Lehner
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4.12.2018
Ich würde gerne wieder mehr daten, aber alle intelligenten und lustigen Typen, die ich kennenlerne, sind Frauen.
5.12.2018
Ich weiß in Wirklichkeit überhaupt nicht wie Daten geht. Ich habe das nie gelernt. Ich habe mich ins Blackout gesoffen und mit der Person neben der ich aufwachte war ich in einer Langzeitbeziehung. Ich bin gut in Langzeitbeziehungen, das kann ich voll gut. Jahrelang besessen von jemanden sein, Insiderhumor entwickeln, treu sein aus Faulheit, übertrieben viele Bindungshormone ausschütten, irgendwann ur wenig Sex haben und dann so gemütlich übereinander auf der Couch liegen, Fast Food essen, fernschaun, und sich gegenseitig liebevoll ins Gesicht furzen. Aber Daten? Keine Ahnung, was man da macht. Zwinkert man sich zu? Muss man dabei einen Stringtanga tragen? Die zwicken so.
7.12.2018
Früher fand ich Women Only Veranstaltungen fad, ich wollt meine Haberer mitnehmen und so. Ich hab mich stärker mit Männern identifiziert, wie viele das machen, die die Misogynie in unserer Gesellschaft spüren: Sie adaptieren sie einfach. Es gibt dann auch immer Männer, die das so anerkennen, so auf: du bist eine „COOLE FRAU“, im Gegensatz zu den dummen, unterbelichteten Schlampenfrauen, die kein Existenzrecht haben und nur zum totpudern gut sind. mit dir kann man über Frauenhass chillig reden. Mittlerweile liebe ich männerfreie Räume. Es ist viel befreiter. die Gespräche sind besser, der Umgang angenehmer, die Parties viel ärger, weil sich alle stärker gehen lassen. Niemand kriegt Aggressionen, weil ich intelligenter bin als er und irgendwer zieht sich immer aus. Das einzige, was stört, ist, dass ich Männer geil finde. Sie sind einfach geil mit ihren Organen, ihren Hosen, ihren toxischen Flüssigkeiten und den emotionalen Behinderungen. Es wäre so schön, komplett auf Kontakt mit straighten Typen zu verzichten. Es ist besser für die Frauengesundheit, sogar laut Statistik. Wann gibt es endlich Umerziehungslager für Heteros?
Stefanie Sargnagel
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Sie sagt wenig. Was sie sagt, ist gelogen. Sogar im Schweigen lügt sie.
Neues Unglück, täglich. Dagegen sie:
„Guten Morgen“.
Dagegen sie: sorgloses Geplapper. Geklapper mit Töpfen, Deckeln, Kellen.
In allen Zimmern traurige Gedanken, dunklen Wolken gleich.
„Gemütlich“, sagt sie laut und deutlich.
„Geheimnis“, hallt es nach.
Die Angst lügt sie den Kindern in die Suppe.
Wütend ist sie nie. Das ist gelogen.
Sagt eine Hoffnung, dreht sie sich um. Geht heim.
Lügensuppe – Felicitas Prokopetz
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Sie hätte Zwillinge bekommen und selbst auch einer sein sollen. Beide Male sei etwas dazwischengekommen. Ihren Zwilling habe sie im Mutterleib aufgegessen, die eineiigen Föten in ihrem eigenen Körper seien abgegangen. Als Säugling sei sie von den Männern im Dorf lebendig begraben worden. Nur der Hund sei so unruhig gewesen, dass die Frauen noch einmal nachschauen gegangen seien, ob sie wirklich tot ist. Täglich habe sie das gesamte Dorf in aller früh aufgeweckt und sei so häufig am Kragen gepackt worden, dass sie gut klettern und sich behaupten gelernt habe. Später habe gerade dies sich als hilfreich beim Aufbau eines Lebens in deutschsprachigen Städten erwiesen. Eigentlich liebe sie Natur und Kunst. Für was die gierige Elite den Corona-Stillstand gebrauchen könnte, wisse sie auch nicht im Detail, aber die ganzen Unruhen auf der Welt müssten schließlich irgendwie neutralisiert werden. Oder man könne unbemerkt ein Bauprojekt vorantreiben. 5G-Masten etwa. Jedenfalls habe sie gelernt, dass das Leben stressig sei und nach über sechzig Jahren auch sie einmal Ruhe brauche. Sie müsse jetzt planen, wie sie dazu käme. Vielleicht einen Bauernhof am österreichischen Land oder eine Nussplantage in der Türkei. Ihr Herz sei in der Mitte zerteilt; sie wisse noch nicht genau, wo sie dieses Mal begraben werden möchte.
Katharina Pressl
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Auf der Suche nach Reva, Reva Urban, und den Werken, die sie gemalt, geschrieben, geformt hat. (Die Suche findet am 16.9.2020 in Berlin im Internet statt.) Es gibt zwei Wikipedia-Artikel über Reva, einen auf Deutsch, einen auf Walisisch, und sonst keine.
Reva lebte von 1925 bis 1987. Sie war eine „US-amerikanische Malerin und Grafikerin“.
Archive.org, „Reva Urban,“ Search text contents, 23 results: davon sechs Bände Who’s Who in American Art: 1973, 1976, 1978, 1980 (2 Ausgaben), 1984.
Reva Urban hat ihren Namen mehrmals geändert. Rita Rosenbaum, geboren in Coney Island, New York. 1949 sagt sie in einem Radio-Interview, dass sie schnell begriff, „commercial art was a man’s profession“. In den 1940ern signierte sie ihre Werke mit R. Bernard, später der Hinweis in der Literatur über sie: „… hiding both her gender and her Jewishness.“ Bernard hieß ihr Bruder. 1955 stellte sie zum ersten Mal als bildende Künstlerin aus. Sie nannte sich Reva. Ihr Stil wird als expressionistisch-abstrakt beschrieben.
Neben zahlreichen Einzelausstellungen in den USA waren Revas Werke 1964 auf der documenta III in Kassel zu sehen. Und in den späten 1950ern in Salzburg. Zu den genauen Ausstellungsorten dort gibt es widersprüchliche Angaben.
Das neunte Bild, das die Google-Bildersuche (das Google-Logo ist heute pink und „celebrating Mascha Kaléko“) nach „Reva Urban“ zeigt, ist nicht von Reva, das 15. und 20. Bild zeigen ein Gemälde ihres ersten Ehepartners, Alfred Urban, geboren in Deutschland, dessen Werke zunächst neben jenen Chagalls und Picassos gezeigt wurden, bevor sie als „entartet“ verboten wurden, über den es keinen eigenen Eintrag auf Wikipedia gibt, ab dem 21. Bild sind nur mehr vereinzelt Werke von Reva zu finden.
Ab 1960 lässt Reva ihre Malerei über die Leinwand hinausgehen, sie fügt bemalte Holzstücke hinzu, zwei Jahre später beginnt sie, die Leinwände zu durchlöchern, aufzuschneiden: „Once I destroyed the conventional straight sides of my canvases it was a natural consequence for me to begin using actual sculptured forms, embedding them into the canvas, or having them extended towards the onlooker.“ Ihr „Portrait of Myself“ (1966) zeigt Reliefs eines Gesichtes, vermutlich zweier Brüste, zweier Hände, arrangiert auf einer Art Regal. Die wenigen Bilder ihrer Werke, die online zu finden sind, lassen die Aussage zu, dass sie selten so konkret wurde. Fragmente von Körpern und Formen in deutlichen Farben.
Die Website des Museum of Modern Art New York: Reva Urban, 15 works online, die Titel genannt, aber „no image available“, und sie alle: „not on view“ im Museum.
Sie druckte Gedichte auf Papier. Sie wurde schwer krank. Ende der 1960er musste sie ihre künstlerische Arbeit unterbrechen. Ab den 1970ern wurde sie kaum mehr ausgestellt. Als Reva in den 1980ern wieder begann zu malen, konnte sie die körperliche Anstrengung, die ihre frühere Arbeitsweise erforderte, nicht mehr aufbringen.
Der 20. Eintrag in der Google-Bildersuche zeigt das Gemälde „Reva Signed Painting, 1985“, zwei nackte menschliche Körper am Boden liegend und über ihnen ein großer Vogel mit weit aufgeschlagenen Flügeln, und „this seller is likely to accept offers of 10-20% off the €10,762.45 List Price.“
Wer sucht jetzt weiter.
Finding Aid – Katharina Menschick (Reva zitiert und weitere Informationen aus: Gerald Silk: In and Out of Shape: The Art of Reva Urban, Woman’s Art Journal, Fall/Winter 2013, S. 21–28)
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sie findet es so unglaublich schwierig dinge zu ende zu bringen. dauernd will sie einen schlussstrich ziehen und naturgemäß zieht sie dann vier oder fünf. aber ab dem moment, wenn wir uns ehrlich sind, wo man mehr als einen schlussstrich zieht, ist man verloren. das ist dann unendlich. die schlussstriche müssen immer dicker und pompöser als die vorherigen sein, du glaubst nicht was für ein kraftaufwand das ist, dann so zwei kilometer dicke striche zwischen personen zu schieben, ohne sie damit zu erschlagen.
Naa Teki Lebar