Treffen sich eine MP3, ein GIF und ein Blogpost …
Die Möglichkeit, eigene Gedanken online zu veröffentlichen, gibt es quasi seit den ersten Stunden des Internets. In den unendlichen digitalen Weiten wurde schon sehr viel in sehr viel verschiedenen Formen veröffentlicht. Viel Blödsinn, viel Gescheites; mit und ohne Relevanz. Die Manifestierung eben dieser Gedanken hat meist nur die Plattform geändert. Internetveteran*innen werden sich vielleicht noch an Newsgroups erinnern, andere haben auf GeoCities, Twitter, Myspace oder in diversen Foren ihre Freizeit verbracht.
Die Verwertung der Werke war oft sehr schlicht: Für viele stand das Teilen von Gedanken, Meinungen, Wissen und künstlerischen Werken im Vordergrund, manche konnten sich auch ihr Leben mittels Werbeeinnahmen und Spenden finanzieren. Webhoster haben mit gratis Webspace oder Bloggingplattformen schon im Web der 1990er Werbeeinnahmen erwirtschaftet – oft mit bunten Bannern, mal mehr, mal weniger aufdringlich – doch sie sind noch nie so in unsere Privatsphäre vorgedrungen wie heute.
Im letzten Jahrzehnt hat sich der Anteil der privaten Blogs, denen man über offene Standards wie RSS oder Atom folgen konnte, sichtbar verkleinert. Stattdessen dominieren aktuell riesige Services wie Facebook, Twitter, Instagram und TikTok den Markt. Sie buhlen um ihre User*innenschaft mit slicken Apps und Funktionen. Dabei findet eine noch nie dagewesene Anhäufung der Werke auf nur wenige Dienstleister*innen statt: Wer nach einem Video sucht, macht das für gewöhnlich direkt auf YouTube. Stories, die nicht direkt auf Instagram veröffentlicht werden, haben schlechte Chancen, von potentiellen Interessent*innen entdeckt zu werden. Aus einer pragmatischen Perspektive heraus macht es also nur Sinn dort zu sein, wo alle anderen auch sind. Diese Kumulierung von User*innen und deren Inhalte auf nur wenige Plattformen lässt sich als „Netzwerkeffekt“ zusammenfassen.
Die Schattenseite
Eines haben die großen kommerziellen Plattformen gemeinsam: Hinter dem vielen Bling-Bling steht für die betreibenden Konzerne die Monetarisierung ihrer Community im Fokus – ein genauer Blick auf die Unternehmenswebseiten zeigt die Präsentation der Social-Media-Dienste als Werbeplattformen. Potentiellen Kund*innen wird eine kostenpflichtige Interaktion mit der Userbase nahegelegt. Der von den User*innen produzierte und konsumierte Content wird dabei knallhart als Verkaufsargument angeführt. Glückliche Konsument*innen machen aus eigener Überzeugung gratis Werbung für Marken, die – mehr oder weniger sinnbefreite – Botschaften transportieren, um den Umsatz zu steigern. Willkommen im Kapitalismus.
Die Unternehmen müssen (oder wollen) sich nicht vor ihren User*innen, sondern vor den Investor*innen verantworten. Damit steht die Maximierung des Kapitals auch im Fokus des Produktdesigns. Der Funktionsumfang und die Ausdrucksmittel werden den Werbeformen angepasst. Die hauseigenen Apps und Webseiten werden so gestaltet, dass die User*innen diesen möglichst viel Aufmerksamkeit schenken. Designentscheidungen werden nicht auf Basis einer möglichst user*innenzentrierten Nutzungserfahrung, sondern auf Basis von Geschäftsmodellen und Gewinnmaximierung getroffen. Der rote Notification-Punkt auf Facebook ist zum Beispiel ein Sinnbild für die Anwendung psychologischer Tricks im Appdesign, um die Userinteraktion zu erhöhen.
Da die Plattformen die Inhalte ihrer User*innen möglichst gewinnbringend verwerten wollen, ist für sie auch die Kontrolle über die Inhalte wichtig. Dies wird juristisch über die Nutzungsbedingungen, aber auch technisch durchgesetzt. Um als Entwickler*in Zugriff auf die Inhalte und Funktionen einer Plattform via Programmierschnittstelle (API) zu bekommen, muss man sich um einen Schlüssel bewerben. Von Drittanbieter*innen entwickelten Alternativapps, die nicht brav mitspielen, wird der Schlüssel wieder entzogen.
Umgangsformen
Die aktuellen Mainstreamplattformen haben, wenn es um die Moderation von Inhalten geht, allesamt nicht den Willen, diese Aufgabe gewissenhaft zu bewältigen: Während Fotos von Brüsten durch Algorithmen vollautomatisch und ausnahmslos weggefiltert werden, ist die Intervention in politische Diskurse mit viel Rechercheaufwand verbunden und passiert wenn dann nur sehr oberflächlich. Zudem sind die Arbeitsbedingungen der – oft outgesourcten – Moderator*innen eine Zumutung. Ein niedriger Stundenlohn und fehlende psychologische Betreuung sind keine Seltenheit.
Auffällig ist auch, dass sich die Social-Media-Plattformen mit bildlastigen Formaten durchgesetzt haben. Text dient hier meist nur als Fußnote und auch Ton ist nicht primär Teil der Experience. Konkreter kritischer Diskurs wird erschwert und der Content ist meist verspielt und leicht bekömmlich. „Unpolitische“ und unkontroversielle Inhalte halten die Moderationskosten gering und machen auch Werbetreibende glücklich. Begleitet wird dieser Trend von einer immer klareren Rollenaufteilung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen von Content.
Mit diesem Wissen im Hintergrund wirkt die Wahl von Instagram & co für die Verbreitung kritischer Inhalte umso ironischer: „Wir“ füttern das System und verleihen diesem damit Existenzberechtigung. Dabei ist das System die Kapitalisierung und der Ausverkauf von Content in Reinform. Ich verschenke meine Kreativität und Gedanken an eine globale Marketingmaschinerie. Cancle!
Die Alternative: Das Fediverse
Das Teilen von interessanten Momenten und kreativen Geistesblitzen sowie das Unterhaltenwerden ist für viele ein so großes Bedürfnis, dass sie den Kompromiss, als Produkt gehandelt zu werden, eingehen. Internetutopist*innen haben sich das allerdings ganz anders vorgestellt: Das Internet sollte die Möglichkeit einer echten Demokratisierung und Selbstbestimmung bieten. Doch der Kapitalismus hat auch den digitalen Raum zunehmend annektiert.
Aber das Internet ist schnelllebig: Plattformen kommen und gehen. Das Beispiel TikTok zeigt, dass User*innen bereit sind, ein mühevoll aufgebautes Profil liegen zu lassen, um auf den nächsten Hype aufzusteigen. Und langsam brodelt es auch bei den wirklich sinnvollen Alternativen: Das Fediverse wächst und wächst. Es ist ein riesiger Verbund vieler sozialer Plattformen – sogenannte Instanzen –, deren User*innen untereinander kommunizieren können. Diese Instanzen werden des Öfteren auch von Communities betrieben, die sich gemeinsame Interessen oder eine Subkultur teilen.
Die Kompatibilität zwischen den einzelnen Instanzen wird über gemeinsame Standards gewährleistet. Der verbreitetste Standard nennt sich ActivityPub. Es handelt sich dabei um ein abstraktes, klar definiertes Protokoll mit einer einfachen maschinenlesbaren Grammatik und einem relativ reichen Wortschatz. Laut der Webseite fediverse.network zählt das Netzwerk aktuell knapp 4 Millionen User*innen auf rund 5600 Instanzen (Stand: 18.9.2020). Bekannte Systeme, die dieses Protokoll verwenden, sind zum Beispiel Mastodon – eine twitterähnliche Microbloggingsoftware – und PeerTube, ein YouTube-ähnliches System zum Veröffentlichen von Videos.
Der große Unterschied zu den herkömmlichen Diensten: Es gibt die Möglichkeit für Communities, ihre eigenen Regeln aufzustellen und sich selbst um ihre Infrastruktur zu kümmern; frei von Geschäftsmodellen und undurchsichtigen Algorithmen. Sie können selbst entscheiden, wie offen sie gegenüber anderen Instanzen sind und welchen anderen Instanzen sie eine Bühne bieten wollen, oder auch nicht. Der erste Schritt, um am Fediverse teilzunehmen, ist also die Wahl einer Instanz. Es ist zwar für gewöhnlich auch möglich, später noch umzuziehen, aber es sollte dennoch eine Überlegung wert sein, welcher Instanz man Vertrauen schenken möchte und welche Community einer*m zusagt. Die Webseite instances.social kann im Falle von Mastodon bei dieser Aufgabe mit einem Fragebogen behilflich sein.