Der Staubsauger
Seit einigen Jahren sind Staubsauger einer britischen Firma auf dem Markt, die keinen Staubsaugerbeutel mehr benötigen. Sie gelten nicht zu Unrecht als besonders saugstark. Dies hat zur Folge, dass sich ihr Saugrüssel in den Teppichboden verbeißt und nur zu bewegen ist, wenn ein kleines Einlassventil im Griff geöffnet wird, das die enorme Saugkraft reduziert. Beim Entleeren der cleveren Erfindung fliegt einem zuverlässig der Staub um die Ohren. Wer das Gerät in der Wohnung zu entleeren versucht, kann gleich wieder saugen. Deshalb ist der Gang zur Mülltonne im Hof angeraten. Das Herumschleppen des Apparates ist zugleich ein willkommenes Workout. Während der Inhalt des staubsaugerbeutellosen Staubsaugers in die Tonne gegossen wird, sehen die Endverbraucher*innen meist aus wie Magier*innen in einer schlechten Zaubershow, die vom Bühnennebel umhüllt mit ihrem Hustenreiz kämpfen. Es gibt aber einen Workaround, um eine Staubexplosion zu vermeiden. Dazu muss der Staubsauger beim Öffnen mit einer Plastiktüte umhüllt werden, damit diese den ausgeblasenen Staub einfangen kann. Den Konsument*innen wird spätestens an dieser Stelle klar, wie praktisch die Erfindung des Staubsaugerbeutels damals gewesen sein muss. Die periodische Revolution des Staubsaugens ist einer dieser schönen Zirkelschlüsse der werbebegleiteten Industrieproduktion, der uns auch den „flüssigen WC-Stein“ gebracht hatte, der sich später wieder revolutionär verfestigte, weil vielen auffiel, dass sie ihr teures Frischeprodukt mit dreimal Spülen ins Klo gegossen hatten. Wer das Gefühl hat, von dieser Art Zirkelschlüssen hinters Licht geführt zu werden, irrt nicht. Denn genau darum geht es. „Disruption“ nennt dies das Management-Sprech. Eine unglaublich innovative Innovation zerstört den Markt der bestehenden und funktionierenden Angebote, um diese mit etwas Besserem zu ersetzen, das natürlich nicht besser ist. Genaugenommen ist es „besser“ im Hinblick auf gewisse Aspekte (Einsparen der Staubsaugerbeutel), zugleich aber schlechter im Hinblick auf andere (Wie gelangt der Staub aus dem Gerät?). Nach einer Weile wird die neue Lösung mit einer Variation der alten Lösung ersetzt und durch diesen disruptiven Ringelreihen kaufen die Konsument*innen in ihrem Leben zig Mal das gleiche Produkt. Und nur darum geht es.
Totalitäre Lösungen?
Die aktuelle Weltlage ist in einer Weise quälend, die nur mehr schwer auszuhalten ist. Wo die Not roß ist, da entstehen gerne Heilsfantasien. Hier eine mit angehängter Quizfrage. Eines Morgens klopft es an der Fensterscheibe, oder sagen wir einfach mal an die Wohnungstür. Draußen im Flur steht einer von diesen Engelstypen. Nein, nein, kein*e Betrüger*in, sondern the real deal. Erkennt man ja gleich das Original, Heiligenschein und so. Kann man nicht faken. Der Cherubim sagt dann so: „Vorschlag: Angesichts der misslichen Lage installieren wir jetzt besser eine neue Welt, in der Kooperation, Mitmenschlichkeit, Frieden ganz oben auf sind. Gut, oder?“ Seltsame Ausdrucksweise für einen Engel, aber er bekommt ein „Ähhh, ja schon … irgendwie“ entgegengeholpert. Die Lichtgestalt fährt fort: „Fein, es gibt nur ein winziges kosmisches Problem. Aufgrund der Bauweise des Universums kann nicht alles Elend ausgeschlossen werden. Es wird immer noch Missgunst, Krankheit, Neid etc. geben. Allerdings können wir dies auf ein Minimum reduzieren und kanalisieren. Okay …?“ – „Ja … okay, nehme ich an.“ – „Gut, wir kanalisieren alles Elend so, dass es nur eine einzige Person auf Erden trifft und die wirst Du sein?“ Ein lächelnder Engel streckt die Hand entgegen: „Deal? Dein persönliches Elend für die Rettung der Welt?“ Die Probandin überlegt kurz und wirft mit einem leisen „Nein, kein Interesse“ die Tür ins Schloss. Sie hört, wie die himmlische Erscheinung an der Nachbartür klopft, und fühlt sich schlecht. Jetzt die Mitmachgelegenheit für alle Leser*innen: Wer die moralphilosophisch korrekte Begründung für das richtige Verhalten der Testperson an die MALMOE-Redaktion schickt, erhält ein MALMOE-Abo auf Lebenszeit. Wir freuen uns auf die Einsendungen.
Nackte Tatsachen
An dieser Stelle wurde bereits festgehalten, dass wer Zweifel an der Überlegenheit westlicher Kultur hegt, nur einen Blick in die Nackt-Dating-Shows werfen müsse. Dieser Lokalaugenschein fällt deutlich besser aus als erwartet, denn die Sendungen lassen tatsächlich tief blicken. Allerdings dürfen die Shows nicht in dem Glauben geglotzt werden, Prüderie oder Moral sei überwunden. Sie künden nur von einer anderen, die – leider – ebenso repressiv ist, wie die alten Verhüllungsgebote. Um Zwang durch Freiheit zu ersetzen, bedarf es nämlich mehr, als den alten Zwang für unwirksam zu erklären. Es müsste der Ort der Machtausübung leergehalten werden, und das ist genauso kompliziert, wie es klingt. RTL schafft das jedenfalls nicht. Deswegen belehren uns die Nackedeis. Wenn Moraltrompeter*innen das öde Lied anstimmen, wir lebten in einer Welt zu großer Subjektivität, dann beweisen die Nacktshows die Wahrheit des genauen Gegenteils: Die Selbst-Objektivierung ist das Gebot der Stunde. Bei „Naked Attaction“ wird deshalb endlich das Diktat des Begehrens vom Kopf auf die Gogerln gestellt. Wir sehen zunächst die Spatzis und Mumus und wissen sogleich, wen wir vor uns haben. Alles weiter oben ist Beiwerk. Erst ganz am Ende hören wir die Stimme der Kandidat*innen und wünschen uns sogleich den Blick aufs Eingemachte zurück. Es gibt hierbei keine Freiheit des Begehrens, sondern nur mehr Warenbeschau, für die im Fitnessstudio und auf dem Operationstisch hart gearbeitet wurde. Dass Queerness goutiert wird, beweist leider lediglich, dass das Fernsehen für Toleranz hält, was vom Publikum als Freakshow gesehen wird. Geblendet von der eigenen Eitelkeit bemerken die Kandidat*innen nicht die Abgründe der Body-Politics, die zwar alles schön und gut finden lassen und dennoch klare Hierarchien haben. Das Fernsehen schafft es dabei, das Naheliegende in weiteste Ferne zu verfrachten. Die inszenierte Intimität und die falsche Nähe geben eine vage Ahnung davon, wie hoffnungslos weit die Menschen tatsächlich voneinander entfernt sind.
Frohe Weihnachten
Anfang Oktober 2020 sind es noch mindestens 15 Monate bis Weihnachten. Denn durch die Pandemie wurde der ganze Jahreskreis ausgehebelt. Ob Halloween oder Fasching, die Feste werden frühzeitig abgesagt. Der Osterhase hatte bereits im Frühjahr seine Eier nur im kleinsten Lockdown-Familienkreis verstecken können und das Christkind wird dieses Jahr auch nur maximal zehn Menschen in geschlossenen Räumen beim Packerlaustausch zulassen. Ganz besonders schade ist es um das Fest dieses religiösen, alten Türken, der die Kinder in Not gerettet hat. Den Nikolo hätten die Flüchtlinge von Moria nämlich gut gebrauchen können, weil die weltliche Hoffnung auf christliche Nächstenliebe gering ist. Die österreichische Volkspartei beruft sich zwar darauf, sieht die Agape aber abgegolten mit dem Bau eines neuen Lagers zur konzentrierten Unterbringung. Der heilige Nikolaus hätt’ sich den Bart zerzaust.