Rassifizierte Gewalt durch Exekutivbeamt*innen ist leider auch in Österreich ein übliches Phänomen und es bestehen kaum Möglichkeiten dagegen rechtlich vorzugehen. Deswegen stellt sich die Frage: Warum gibt es immer noch keine unabhängige Behörde zur Unterstützung der Betroffenen von Polizeigewalt?
Anfang Juli 2020 tauchte ein Video eines Polizeiübergriffs in Wien auf. Auf den Aufnahmen einer Überwachungskamera war zu sehen, wie acht Polizeibeamte auf einen wehrlosen Mann einprügelten. Erst ein Jahr nach dem Vorfall traute sich der Betroffene mit dem Videomaterial an die Öffentlichkeit zu gehen. Er ist Tschetschene und fürchtete – wohl nicht zu Unrecht – öffentliche Anfeindung, Bloßstellung und Vorverurteilung. Mittlerweile wurden die an der Tat beteiligten Kriminalbeamt*innen vom Dienst suspendiert. Dass es ein ganzes Jahr benötigte, um in diesem Fall für Gerechtigkeit zu sorgen, liegt auch daran, dass der Leidtragende keinerlei Unterstützung seitens der Behörden bekam und somit fast auf sich allein gestellt war. Erst das Video sorgte für großes mediales Interesse und schlussendlich für Konsequenzen für die Beschuldigten. Wären diese besagten Aufnahmen nicht vorhanden gewesen, wären die Schuldigen wohl ungestraft davongekommen.
Ändert sich gerade etwas?
Die Demonstrationen der Black Lives Matter Bewegung gingen im Frühjahr um die Welt. Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch mehrere Polizisten versuchte man ein Zeichen zu setzen. Nachdem immer wieder, vor allem afroamerikanische Bürger*innen im Zuge von Polizeieinsätzen zu Tode kamen, spitzte sich die Wut der Aktivist*innen zu. Auf unzähligen Social Media-Plattformen wurden Beiträge zu dem Thema erstellt. Die Aufzeichnungen von Bodycams, welche in den Vereinigten Staaten von Polizisten zu Kontrolle ihrer Einsätze getragen werden, erreichten weltweit Millionen von Aufrufen. Das Hashtag #Blacklivesmatter ging viral, und sowohl Prominente als auch private Social Media Nutzer*innen äußerten ihren Unmut über die Geschehnisse.
Auch in Österreich versammelten sich Anfang Juni 2020 knapp 50.000 Menschen und zeigten ihre Solidarität gegenüber den zahlreichen Opfern von Polizeigewalt in den USA. Auch auf einem Polizeiauto, welches für die Sicherheit bei der Demonstration sorgen sollte, konnte man auf einer Anzeigetafel „Black Lives Matter“ lesen. Durch BLM wurde international ein neues Bewusstsein geschaffen, welches sich mit dem Machtmissbrauch seitens der Exekutive auseinandersetzt. In Österreich erheben sich nun viele Stimmen, die mehr Unterstützung für Betroffene von Polizeigewalt hierzulande fordern.
Sei es nun physische Gewalt oder jegliche andere Form von diffamierendem Verhalten seitens Polizeibeamt*innen, eine unabhängige Institution, welches Geschädigten Schritt für Schritt Hilfe zur Verfügung stellt, scheint es in Österreich bisher nicht zu geben. Natürlich stehen die Vorfälle rund um heimische Polizisten in keiner Relation zu den etlichen Todesopfern, die die US-amerikanischen Kriminalbeamten traurigerweise vorweisen können. So starben laut dem Statista Resarch Department allein dieses Jahr bereits 661 BürgerInnen durch die Waffe eines Police Officers. Dennoch zeigt ein Blick auf vorhandene Zahlen, dass auch hier eindeutig Nachholbedarf besteht.
Eingeschüchterte Geschädigte
Zahlen zu gewalttätigen Übergriffen seitens der Exekutive sind nur schwer zu finden. Außerdem melden sich viele Betroffene erst gar nicht. Man könnte als „Opfer“ der Meinung sein, den Polizist*innen könne sowieso nichts passieren, solange es ihre eigenen Kolleg*innen sind, die gegen sie ermitteln. Laut Innenminister Karl Nehammer gab es seit 2018 (Stand Juli 2020) 305 Fälle von Polizeigewalt, die bei der Justiz angezeigt wurden. 66 davon allein in diesem Jahr. Folgen dieser Anzeigen waren tatsächlich „nur“ drei Suspendierungen. In 102 Fällen seien die Vorwürfe gemäß Polizeiangaben nicht ausreichend für weitergehende Ermittlungsverfahren.
Unterstützung finden einige Betroffene polizeilicher Gewalt oder Diskriminierung in Österreich bisher bei ZARA, der Wiener Anti-Rassismus-Organisation. Laut dem ZARA Rassismus Report 2019 wurden damals 75 Fälle von diskriminierendem Verhalten seitens der Polizei gemeldet. Davon konnte in nur fünf Fällen formale Beschwerde eingereicht werden. Carolin Kerschbaumer, der ZARA-Geschäftsführerin, zufolge, stellen unter anderem die mangelnde Erfolgsaussicht, sowie der Aufwand von Zeit, Nerven und massive Kosten eine immense Hürde für die Geschädigten dar. Dies ist sicherlich auch der Grund dafür, warum viele ihre Probleme mit Polizist*innen erst gar nicht melden, sondern lieber für sich behalten und schweigen.
Der lange Weg zu einer Beschwerdestelle
Ein Bündnis von 40 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen fordert in einem offenen Brief Innenminister Nehammer, Justizministerin Zadić sowie die Nationalratsabgeordneten Mahrer und Bürstmayer auf, eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamt*innen einzurichten. Initiiert wurde dieses Schreiben von Amnesty International Österreich und epicenter.works. Mit dabei sind unter anderem die Rechtshilfe Rapid Wien, die neu gegründete Bewegung Black Movement Austria oder auch die Diakonie. Gefordert wird des Weiteren auch eine Kennzeichnungspflicht der Polizei*beamtinnen. Einerseits soll diese zu Ermittlungen mit Ergebnissen führen, andererseits soll sie zusätzlich auch als Prävention gegen Falschanschuldigungen gegen Polizeibeamt*innen wirken. Die Initiator*innen weisen ebenfalls darauf hin, dass solche Maßnahmen schlussendlich zu einer Vertrauensstärkung zwischen Zivilbevölkerung und Exekutive führen würden, bekräftigen aber auch die dringende Notwendigkeit der Unabhängigkeit einer Beschwerdestelle.
Mittlerweile kündigte die Regierung die Schaffung einer unabhängigen Stelle zur Untersuchung von Fällen von Polizeigewalt für das folgende Jahr an. Wie diese genau arbeiten soll, soll noch im Herbst bekannt gegeben werden. Ausschlaggebend für das jetzige Handeln der Politik dürfte der öffentliche Druck nach dem Bekanntwerden des eingangs erwähnten Angriffs von Polizisten gegen den jungen Tschetschenen im Jahr 2019 gewesen sein. Der Fall zeigt exemplarisch was in Österreich falsch läuft und wie schwer es Betroffene von Polizeigewalt haben, denn erschreckender Weise wurde gegen den Betroffenen anfangs zunächst eine Verleumdungsklage eingeleitet. Erst als das Video seiner Misshandlung veröffentlicht wurde, stellte man diese umgehend ein. Die Beschuldigten sind mittlerweile außer Dienst gestellt. Ihnen droht jetzt möglicherweise ein Verfahren wegen Körperverletzung, auf jeden Fall aber eines wegen Amtsmissbrauchs.