Aus der Reihe: ku. & ko. Das phantastische Geschäft
Neben dem kleinen Park in der Seitenstraße liegt das wohl berühmteste Geschäft der Stadt. „Haben wir nicht, gibt’s nicht“, steht am Schild auf der Tür. Eben rüttelt eine Kundin an der Tür, sie ist verschlossen. Was ist passiert? Warum ist niemand da?
Endlich wird es grün und das leuchtende Ampelpärchen lädt die Wartenden ein, auf die andere Straßenseite überzusetzen. Kuna lässt ihren Rollkoffer über die Bordsteinkante gleiten und dreht sich energisch zu Konrad. Dieser hievt eine mit Spannseilen an einer Bierrodel befestigte Holztruhe auf die Straße. „Mein lieber Konrad, jetzt nicht nachlassen. Wir sind schon auf der Zielgeraden. Da vorne, hinter den Baumreihen, die internationale Raritätenmesse!“
„Hoffentlich gibt es einen schattigen Platz“, keucht Konrad und zieht die Truhe über die Straße. Kuna umrundet ihn tänzelnd. „Unser heutiges Ziel besteht in der Sortimentspflege, das sind wir unseren Kunden und unseren Stakeholdern schuldig. Wenn wir also zwei Bakelit-Pfefferstreuer haben, können wir einen mit bestem Gewissen gegen eine Elfenbeinstopfnadel tauschen. Capaschi?“
Konrad brummt verstimmt: „Ja, ja, wir haben das schon intensiv diskutiert. Deswegen sind wir auch so spät dran.“
„Vorbereitung ist eben alles, und wenn alle Stricke reißen, haben wir hier“, und Kuna zeigt auf ihren Brustbeutel, „noch etwas Handgeld.“ Sie unterstreicht ihre Euphorie durch eine kleine Pirouette, die sie den letzten halben Meter bis zur Bordsteinkante überwinden lässt.
„Mein lieber Konrad, jetzt aber hurtig! Ob wir in diesem Gewimmel unseren Business-Concierge finden? – Oh, anscheinend hat er uns gefunden!“ Und tatsächlich, vor ihnen steht ein Mann im Magistratshemd und raunt: „Spät sind’S. Zuweisung?“
Konrad zieht die Bestätigung aus der Hosentasche und überreicht sie dem Herrn. „Stand W 21, dort hinten, oben“, deutet dieser mit seinem Kinn. Kuna und Konrad folgen der Anweisung, durchqueren das emsige Treiben und Feilschen auf dem Messegelände und finden sich an dem ihnen zugewiesenen Platz wieder.
Konrad wuchtet mit einem erleichterten Seufzer die Truhe auf den Boden. Aus ihr klappen drei Stellagen, auf welchen Kleinutensilien und Miniaturen in der Sonne glitzern. Nun bewegt Kuna einen kleinen Metallschlüssel an der Vorderseite und leicht knarzend schwingen zwei schwere Laden aus der Truhe, die bis zu ihrem äußersten Rand mit Ware gefüllt sind. Dann dreht sie sich zur Menschentraube, die sich in Windeseile um die Neuankömmlinge gebildet hat. „Meine Damen und Herren, als die etablierteste Institution dieser Stadt ist es mir und uns ein besonderes Vergnügen und zugleich Verantwortung, für all ihre Wünsche nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch sogleich deren Erfüllung parat zu haben.“ Verdutzt hält Kuna inne. Stricknadeln, ziselierte Fingerhüte, eine Box mit Zierrat, drei komplette Kartensets, ein Klappkanu und eine Waschmaschine mitsamt eingebautem Trockner werden ihr entgegengestreckt. „Konrad, übernehmen Sie mal bitte, das ist mir etwas zu überbordend hier.“
„Wir sehen also zuerst immer den Menschen und seine Wünsche, das ist bei uns kein reines Warenverhältnis“, setzt Konrad ruhig fort. Kuna pfeift anerkennend durch die Zähne.
„Und wir verstehen es wie kein anderer, uns hier von dem richtigen Verhältnis zwischen Mensch, seinen Bedürfnissen und unserer Hilfe leiten zu lassen“, nimmt sie den Faden wieder auf. Doch die Menge, die nun fanatisch in den Laden wühlt, drängt sie zur Seite.
Da erkennt Kuna im Augenwinkel einen adretten Herrn, mit einem breiten, bebrillten Gesicht und edel zurückgekämmter Frisur, der einen Leiterwagen durch die Reihen schiebt. Bei jedem Stand senkt er höflich den Kopf, dann werden ein paar Worte gewechselt und anschließend landet irgendein Plunder in seinem Wagen.
„Vorsicht Konrad“, stupst Kuna ihn in die Seite. „Ich glaub, hier sind Bettler unterwegs. Sieht aus wie ein verarmter Adeliger, schnorrt hier die Reihen entlang. Wenn er fragt, wir haben leider selbst nur wenig, verstanden?“
Doch Konrads Fokus liegt gerade auf komplexen Verkaufsverhandlungen. „Schauen Sie, wir können doch nicht eine Stricknadel verkaufen … Nein, auch nicht, wenn Sie eine zu Hause haben … Die gehen nur paarweise … Natürlich versteh ich Sie, aber was soll ich mit einer … Na gut, ich mach Ihnen ein faires Angebot. Entweder zwei um vier Euro, oder eine um fünf und ich gebe ihnen eine obendrein gratis dazu, dann haben sie insgesamt drei. Also mit der von zu Hause. Ist das nicht fair?“ In dem Moment spürt Konrad ein Piksen an seinem Bauch und sieht die Stricknadel aus seiner Strickweste hervorstehen.
„Guten Tag, meine Dame, mein Herr. Mein Name ist Alexus von Schallberg, ich komme im Auftrag der österreichischen Bundesregierung und bin auf der Suche nach Decken und Zelten oder anderem Plunder für die Notleidenden.“
Konrad und Kuna blicken sich an und zucken mit den Schultern. „Das ist der Bettler, den ich vorhin gemeint habe“, flüstert Kuna Konrad zu.
„Sie sollten nicht zu weich sein und die Zelte nicht zu groß. Damit die Leute wissen, was sie sind.“ Von Schallberg übt sich im wohltätigen Grinsen.
Konrad schiebt sich zu dem Herrn und flüstert: „Für Notleidende, das ist sehr wichtig. Wir hätten sogar noch 123 Raufaserdecken vom Alpenverein im Lager, die mit dem Stickfehler. Und noch ein paar Zelte aus dem Yps-Magazin, falls sie das noch kennen.“
Von Schallberg nickt fachmännisch. „Das wäre die Lösung. Diese Einmannzelte, die ja eigentlich nur ein aufgetrennter Müllsack sind, würden auch die eigentliche Wurzel des Problems, also deren ausufernde Geburtenrate konterkarieren.“
Konrad rückt kurz sein Strickjackerl zurecht und nimmt eine aufrechte Haltung an. „Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Das ist gelebte Solidarität, endlich zieht die Regierung nicht die falschen Schlüsse.“ Dann senkt Konrad den Kopf. „Aber leider darf ich nichts hergeben“, und dreht den Daumen in Richtung Kuna, „denn ich muss das mit meiner Chefin besprechen und die ist bestimmt dagegen.“
„Ich verstehe sehr gut, ich würde ja auch nicht …“, nickt Schallberg voller Verständnis. „Denn leider ist Not etwas, das man durch Hilfe nicht lösen kann. Würde niemand helfen, frag ich mich, wer würde dann noch notleiden? Und ehrlich gesagt, kann ich dieses ewige Hilfe-Geschrei nicht mehr hören, aber trotzdem …“
„Ja, der Humanismus“, nickt Konrad, „ich kenn das.“ Er bückt sich, kramt bei seinen Beinen herum und reicht Schallberg seine Socken. „Bitte, hier. Nehmen Sie … Für die Kinder, damit sie sich darin erwärmen.“ Gerührt wirft Schallberg das Paar auf seinen Leiterwagen und ihre Ellbogen treffen sich zum Gruß. In dem Moment springt Kuna dazwischen und steckt Schallberg einen Fünfer in die Sakkotasche. „Für die Kaffeekasse. Zuerst muss man den Helfenden helfen, dann wird’s der Not schon vergehen!“