100 Mal besser als andere
Es ist Herbst 2020 und die Welt geht immer noch unter. Moria brennt, Kalifornien brennt, die Covid-19-Ampel brennt und in einem durch lässt der Schülerlotsen-Kanzler verlautbaren:
„wir“ machen es „besser als andere“.
Geil(o). Mit leistungsorientiertem Konkurrenzgedanken durch die Krise, das schafft Vertrauen, auch in die Wirtschaft, der soll es gut gehen! Leistung für die Wirtschaft ist auch geiler als Klima, die Hitze ist außerdem gut für die Wirtschaft in Österreich, bald verkaufen „wir“ nämlich bessere Klimaanlagen als alle anderen und überhaupt gibt es in dieser Frage ein Alibi von den Grünen, mit ihren weniger als 100 Erfolgen – das sind 12 (temporäre) coole Straßen, 3 (temporäre) Pop-up-Radwege und 0 Kinder aus Moria.
Die Hitze ist auch deswegen nicht weiter tragisch, weil in diesem Land ohnehin Eiseskälte herrscht. „Wir“ nehmen nämlich weniger Flüchtlinge als andere auf, 100 Mal weniger, nämlich gar keine, aber „wir“ helfen dafür den anderen, einen ordentlichen Grenzschutz mit Zäunen und Tränengas und tödlichen Pushbacks und gegebenenfalls auch mit scharfer Munition zu garantieren. Da wird schon niemand dabei sterben, aber wenn wer ein Zelt anzündet oder das Wort „Schlepper“ auch nur denkt, dann hat er es halt nicht anders verdient. So oder so „dürfen sich die Bilder von 2015 keinesfalls wiederholen“, dafür muss man als nächstenliebender Schlepperbekämpfer sorgen.
Überhaupt wird der Kampf für Nächstenliebe einer Neuen Volkspartei viel zu oft verkannt, immerhin wurden nicht nur 100, sondern gleich 400 Familienzelte in das neue, eingezäunte Lager geschickt. Dort möchte zwar niemand leben, aber dafür gibt es 200 Zeltheizungen, damit im kommenden Winter zumindest jeder zweiten Flüchtlingsfamilie warm ums Herz wird. Mit dabei in der Militärmaschine: Leutnant Nehammer, breitbeinig aufgestellt vor einer Österreichflagge im Flugzeug-Laderaum. Das ist geil, das schaut nach Sicherheit aus im Kriegsgebiet innerhalb der Außengrenze. Wie viele Menschen könnte man mit so einem Fluggerät täglich vor dem Ertrinken retten? Das ist nicht wichtig für den Innenminister – wichtig ist ihm nur, dass man dem „Druck gewaltbereiter Migranten nicht nachgibt“.
Leistung und Sicherheit, das will die Regierung auch für Wien. Dort stehen Wahlen an, die man nicht gewinnen will, weil man als Christliche Volkspartei nur Wahlen in der Dorfkirche gewinnen (oder kaufen) kann. Immerhin lassen sich diesmal Stimmen von enttäuschten FPÖ-Wähler*innen abgreifen, und so schamlos wie ÖVP-Bürgermeisterkandidat Gernot Blümel greift sonst niemand zu, das ist gewiss eine Leistung für sich. Blümel, von Beruf eigentlich Finanzminister, möchte Kebab-Stände mit der Finanzpolizei drangsalieren, das Ernst-Kirchweger-Haus schließen und 0 Kinder aus Moria aufnehmen. Dass die ÖVP Alsergrund irrtümlicherweise für, statt gegen die Aufnahme der Flüchtlingskinder gestimmt hat, dafür haben sich bereits alle entschuldigt, das war mit Sicherheit die falsche Message.
Kontrollierbarer sind die Messages auf Blümels Facebook-Seite. Dort hat ihn der Schriftsteller Robert Menasse öffentlich gefragt, wie er seinen Wahlkampfslogan „Wien wieder nach vorne bringen“ gemeint habe, da ja die ÖVP das Rote Wien und dessen „Weltoffenheit“ seit jeher bekämpft und zuletzt mit dem von Adolf Hitler bewunderten Antisemiten Karl Lueger und Konsorten das Bürgermeisteramt bekleiden konnte. Kritische Nachfragen lassen die Neue ÖVP tendenziell kalt, und so hat Blümel den besagten Kommentar sicherheitshalber löschen lassen. Kontrolle ist wichtig. Vom ORF auf diesen Stil angesprochen, erklärte Blümel gewohnt schamlos, dass NS-Gedankengut von seinem Social-Media-Team gelöscht würde – obschon Menasse der Sohn eines jüdischen Shoah-Überlebenden ist.
Der Bürgermeisterkandidat der türkisen Regierungspartei ist aber nicht nur in Fragen Sicherheit, Finanzen, Erinnerungskultur und Zensur ein Ass, als ehemaliger Kulturminister (gemeinsamer Lieblingsfilm mit H.C. Strache: Braveheart) sieht er den dringenden Bedarf, dass der Donaukanal kulturell belebt wird. Endlich! Die bestehenden Angebote dort sind ohnehin langweilig (Kunst) und so wartet alle Welt auf die von ihm geplante, 1,7 Millionen Euro teure „Wiener Welle“. Damit man auf dem Kanal endlich surfen kann. Geil.
Dank Gernot Blümel muss sich die rechts-außen Wähler*innenschaft diesmal jedenfalls in Drei teilen: Slimfit-Light-Rechts, Braunhemd-Rechts und Ibiza-Beachwear-Rechts. Insbesondere die beiden Letztgenannten sind in dieser Wahl aller Wahrscheinlichkeit wenig erfolgreich, was irgendwie besser ist als gewohnt.
Besser als diese anderen sind gewohnt gern die „linken“ Wiener Parteien, zumindest auf Instagram, wo alle roten und grünen Wiener Stadträt*innen coole Selfies von der Black Lives Matter Demonstration gepostet haben, ganz so, als hätten sie nichts zu schaffen mit der rassistischen Wiener Polizeiarbeit, welche seit langem die von ihnen regierte Stadt für nicht-weiße Menschen unsicher macht.
Dafür aber ist die Wiener Sozialdemokratie um Kultur bemüht, weswegen sie jedes Jahr das wichtigste Kulturfestival Europas veranstaltet: das Donauinselfest. Leider musste diese wunderbare Veranstaltung 2020 wegen Covid-19 abgesagt werden, weswegen seit Monaten ein als Donauinselfest verkleideter Bus durch die Stadt donnert, um die Bevölkerung Tag für Tag auf Parkplätzen von irgendwelchen Einkaufszentren zu beschallen. Der Wahlkampf-Bus wurde dabei als „Guter Zweck“ verkauft, da man mit diesem ja die schwer beschädigte Kulturbranche unterstütze – so wurde voller Großzügigkeit auf den Sujets verkündet: „KünstlerInnen bekommen Gage!“
Die Wiener Grünen haben sich indes, ganz wie ihr Regierungskoalitionspartner Blümel, dem kulturellen Wassersport verschrieben und ein merkwürdiges Freibad auf dem Wiener Gürtel installiert, mit dem sie die Autofahrer vor der Hitze und die Welt vor dem Klimawandel retten möchten. Das hat für viel Spott gesorgt, aber das sind sie gewohnt, denn dem gemeinsam mit SPÖ und NEOS Wien entworfenen PR-Stunt zur Rettung von 100 Flüchtlingskindern – eine zynisch niedrige Zahl – durften sie dann auf Bundesebene nicht zustimmen. Das hat ihnen Koalitionschef Kurz nämlich leider verboten, denn hätten sie für den Antrag der Opposition gestimmt, hätte er den Gegenantrag der FPÖ mitgetragen, weswegen sie letztlich gar nicht votiert, sondern wie gewohnt die Beine stillgehalten haben.
Es ist Herbst 2020 in Österreich und es ist nicht gut, es ist besser, es sind alle besser als andere, viel besser, und wenn die Infektions- und Arbeitslosenzahlen erst einmal wieder besser werden, dann hören „wir“ ja vielleicht auf, Flüchtlingsboote im Mittelmeer zu versenken, kühlen weltweit alle Straßen und fliegen gemeinsam mit bezahlten Künstler_innen in einer Militärmaschine nach Moria, wo wir dann bei freiem Eintritt ein Donauinselfest für 100 Geflüchtete veranstalten und die anderen 12.900 in die Schubhaft stecken.