MALMOE

Viren fressen keine Bretter vor Köpfen

Bike.Polo.Stadt. #19

Polo hat sich vom Asphalt in unsere Köpfe verlagert. Wann wir wieder spielen können? Ungewiss, aber das ist definitiv momentan nicht das vorrangigste Problem, auch wenn es uns SpielerInnen natürlich fehlt. Sehr sogar.

Allerorten kann man nun von den Auswirkungen der Quarantäne lesen und hören, von den Dingen, die sie angeblich mit uns macht, von den gesellschaftlichen Veränderungen, die kommen werden bzw. schon da sind, von einer Zeitenwende und epochalen Umwälzungen. Nicht zu vergessen die Gräben und Schluchten im Angesicht der menschlichen Topographie, die wir Gesellschaft nennen, die sich erschreckend Vielen erst jetzt zeigen. Die besonders unsensiblen und langsamen Rechenmaschinen unter uns Menschen vermuten gar: die sich plötzlich auftun! Genau. Corona hat unsere zuvor geeinte Gesellschaft gespalten. Die riesigen und tiefen Canyons, die sich durch das menschliche Zusammenleben ziehen und die Vermögenden von den Unvermögenden, die Schwachen von den Starken, die Gebildeten von den Ungebildeten trennen, waren vorher nicht da. Corona hat das gemacht. Corona, der große Vertreiber aus dem Paradies.

So oder so ähnlich lautet der Tenor der alten Garde an Propaganda-TexterInnen und Medienschaffenden, mit dem das Kapital zum Beispiel in Form des Raiffeisen‘schen Medienimperiums die Massen belügt … und  damit Erfolg hat. So weit, so ernüchternd. Alles wie immer: Der Mangel an analytischem Denken beherrscht wie eh und je alles.

Überhaupt fällt mir auf, wie wenig sich geändert hat. Im Grunde nichts. Die schwarze Partei des Kapitals, seit kurzer Zeit mit türkiser Maske, kann sich bei den nächsten Wahlen über ein Kreuzerl von fast der Hälfte der Wahlberechtigten freuen. Kurz-, mittel- und langfristige ProfiteurInnen der Politik jener Partei  sind die 9 MilliardärInnen in Österreich, die AktionärInnen multinationaler Konzerne und natürlich die Partei selber und ihre Günstlinge, in Summe wohl bedeutend weniger als ein ganzes Prozent der Bevölkerung. Aber unglaubliche 2.813.448 Millionen (44% der Wahlberechtigten) würden sie momentan wählen. Der Mangel an Bildung beherrscht wie eh und je alles, denn Sadomasochismus alleine kann das wohl nicht sein. 

Die Intensität, mit der Krisen Problemfelder menschlicher Koexistenz zeigen, weckte eine durchaus berechtigte Hoffnung, die Corona-Pandemie würde während und nach ihrer Bewältigung in einer wachgerüttelten Bevölkerung zu einem Umdenken, in weiten Teilen überhaupt zu einem erstmaligem nachdenken, führen. Doch dazu kam es nicht. Für einen Großteil der Bevölkerung (vor allem den rural lebenden Teil) hatte sich durch Covid-19 tatsächlich auch nichts verändert.  Sogar die medialen Desinformationskampagnen in Film, Funk, Fernsehen und Social Media blieben dieselben, statt AusländerInnen, RadfahrerInnen und Handystrahlung war kurzfristig der Virus das vorgeschobene Feindbild. Das Narrativ selber – das andere, vermeintlich fremde, sei das Übel – wurde weiterhin fleißig bedient. Masken am Wochenmarkt in Gmunden, Salzkammergut? Nein, das gilt doch nur für diese StädterInnen, bei uns ist alles in Ordnung. Unabhängiger Journalismus, der die Menschen mit ihren institutionalisierten Fehlern konfrontiert? Wie immer Mangelware in unserer kleinen, alpinen Bananenrepublik.

„Platz für Wien“, eine Initiative für ein lebenswerteres Wien mit mehr Platz für Alle und weniger Platz für Lärm produzierende und luftverschmutzende Maschinen, tut sich auch nach Corona schwer, ihr Ziel von 57.000 Unterschriften zu erreichen. Und das, obwohl sie im Grunde nur mehr Platz für Menschen und Bäume und eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums fordern. Wie kann man so etwas nicht wollen, frage ich mich. Nur, indem mensch nichts begriffen hat, nicht was war, nicht was ist und nicht was mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit kommen wird, wenn wir weiter stolz unsere Bretter vor den Köpfen zur Schau tragen. Die Unmündigkeit beherrscht uns wie eh und je, Corona hat daran nichts geändert. Es ist doch nur ein Virus von vielen.