MALMOE

Tuan Andrew Nguyen: My Ailing ­Beliefs Can Cure Your Wretched Desires

„Meine kränkelnden Überzeugungen können Ihre erbärmlichen Wünsche heilen“ – Über das Nachleben des ­Java-Nashorns im Museum und als Potenzmittel

Neues Kurationskollektiv, neues Konzept, neue Internetpräsenz. Die Kunsthalle Wien zeigt sich seit Beginn des Jahres 2020 im neuen Gewand und mit neuen Inhalten. Teil der umfangreichen ersten Gruppenausstellung …von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden unter der neuen Leitung ist die Zwei-Kanal-Videoinstallation des vietnamesischen Künstlers Tuan Andrew Nguyen von 2017. In einem abgesonderten und abgedunkelten Eckraum der Kunsthalle bietet sie fast einen Rückzugsort zu der Ausstellung, die den Besucher:innen einiges an Sitzfleisch, mentaler Aufnahmekapazität und kritischer Selbstreflexion abverlangt.

Die beiden Videokanäle sind großformatig und im rechten Winkel zueinander angeordnet. Will man den Film verfolgen, ist der Blick in ständiger Bewegung – eine formal-ästhetische Analogie zu dem Narrativ der ruhelosen Tiergeister, die mit ihrem Dialog über die Entwicklung der Beziehung der Menschen zu ihnen durch die Arbeit hindurch führen. Und sie sinnen nach Rache. Rache für die Morde an ihren Artgenoss:innen durch französische Kolonisatoren, im Glauben an die potenzsteigernde Wirkung ihrer Knochen, die Kommodifizierung ihrer Körper, einst heilige Materie, für die Schreine gebaut wurden.

Ohne Horn ausgestellt

Es sind stille Bilder, aufgenommen im Naturkundemuseum, im vietnamesischen Dschungel, in Naturparks, in denen sich zwischen die Modelle der Pferde und Giraffen mitunter auch ein Tyrannosaurus oder ein Gartenzwerg gesellt. Lebendige Natur – nachgestellte Natur. Daneben zu sehen sind Szenen angeketteter Äffchen und Bären, die in Clownskostümen tanzen müssen unter dem strengen Blick ihrer Dompteure. Gepeinigte Natur. Die Ebenen der Naturgeschichte und die Erzählungen über sie in der vietnamesischen Gesellschaft zeigt Nguyen am Beispiel des Java-Nashorns als vielgliedriges Konstrukt, dass sich nicht in den westeuropäischen, dualistischen Kategorien des Sinnlichen und Rationalen erfassen lässt, auch wenn dessen Spuren in Form der kolonialen Sammlungen deutlich erkennbar sind.

Während der 18-minütigen Laufzeit werden die Zuschauer:innen Zeug:innen eines Gesprächs zwischen dem Geist einer Schildkröte, deren plastifizierter Körper sich schon länger im Museum befindet, und dem Neuankömmling der Ausstellung, dem allerletzten Vertreter des frisch ausgerotteten Java-Nashorns. 2010 wurde das letzte bekannte Exemplar von Wilderern erlegt, seine Überbleibsel dem Naturkundemuseum in Ho Chi Minh City überstellt. Sein Horn fehlt, die reale Leerstelle im Artenregister wurde jedoch auf metaphorische Weise retuschiert und das Horn mithilfe von Gips und einem Lappen nachgebaut, wie der Nashorngeist verächtlich anmerkt.

Tierische Mordlust

Während Schildkröte und Nashorn sich gegenseitig Geschichten erzählen von Tieren und Menschen und ihren Begegnungen, über das Artensterben und eine Tigerin als Anführerin einer animalischen Revolution, der alle Menschen zum Opfer fallen würden, zeigen die beiden Bildschirme im scheinbar endlosen Fluss ohne Anfang oder Ende oft gegensätzliche Bilder. Auf der einen Hälfte eine Nahaufnahme des Skeletts des Nashorns, drapiert und beschriftet im Glaskasten des Museums, auf der anderen ein ritueller Tanz zu Ehren ebenjenes ausgerotteten Tieres, der tief in der regionalen Mythologie wurzelt. Es sind die Antagonismen, aus denen sich die Erzählung speist.

Schildkröte und Nashorn kommen zu dem Entschluss, die Menschheit doch nicht ausrotten zu wollen, um sich nicht mit ihr gemein zu machen. Doch die Arbeit hinterlässt bei den Betrachter:innen das mulmige Gefühl, beim nächsten Besuch im Zoo oder Museum lieber einen Blick mehr über die Schulter zu werfen. Die Mordlust der Tiere erscheint legitim. Die erzählerische Sprache der Bilder, durch die Vergangenheit und Zukunft, Mythologie und Rationalismus ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, verwischt die Wahrnehmung fast zu einer luziden Traumsituation. Immer wiederkehrend stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Einschreitens, ohne das Zeit oder Ort oder die Art des Einschreitens fassbar wären.