MALMOE

Spuckidoo

Die fabelhafte Welt der ­Körpersäfte #12

In letzter Zeit sind Körpersäfte, speziell jene, die im Gesicht austreten, in Verruf geraten. Klar, mit ihnen werden Krankheiten übertragen, das Gesundheitssystem überlastet und schon stirbt eine Großmutter. Besser, wir packen sie gut weg mit Mund-Nasen-Schützen. Speziell der Speichel ist ein gefährlicher Virenüberträger – Almhütten und Chöre, wo viel gesungen und gespuckt wird, sind nachweislich Orte mit erhöhter Ansteckungsgefahr. Ein weiterer Hinweis auf die Gefährlichkeit der Spucke ist die Korrelation zwischen spuck-freundlichen Kulturen und der Corona-Verbreitung: In China, wo das Spucken zum guten Ton gehört, fing das Ganze überhaupt an – in Hongkong hingegen, wo Spucken verboten ist, hielten sich die Ansteckungsraten sehr niedrig. (Vorsicht – kolumnistischer Sarkasmus! Zu den niedrigen Raten in Hongkong führten vor allem Vorkenntnisse mit anderen Grippeviren und schnelle, überwachungsbasierte, rigorose Maßnahmen.)

Doch der Speichel ist eigentlich ein biologisches Wundermittel: Er ist antibakteriell und wird zur Wundbehandlung in der Wildnis eingesetzt. Jedocht sollte nur die eigene Spucke geschmiert werden, sonst könnte eine Sepsis ausgelöst werden. Außer bei Jesus – der konnte Blinde heilen mit seiner Spucke. Speichel enthält zudem ein körpereigenes Schmerzmittel, Opiorphin, das wesentlich stärker als Morphium ist und künftig von Wissenschaft und Pharmafirmen verwertet wird. Die Wissenschaft hat nämlich festgestellt, dass, wenn man Ratten ein bisschen menschliche Spucke gibt, sie länger über Nägel laufen können! Nicht zuletzt macht die Spucke unser Menschsein überhaupt erst möglich – ohne Spucke kein Sprechen und kein Schmecken. Und was wäre der Mensch bloß ohne Sprache und kulinarischem Genuss? 

Die Praxis des Ausspuckens ist jedoch umstritten – während es in manchen Kulturen Spucknäpfe und Spuck-Kulte gibt, gilt es in anderen als beleidigend und ist verboten. Männliche Kulturen kultivieren das Schlatzen – es gibt Weit-Spucken, Kirschkern-Spucken, Klippen-Spucken. Beim Fußballspielen ist das Ausspucken so weit verbreitet, dass es in Corona-Zeiten explizit verboten wurde. Frauen und Bürgerliche spucken bekanntlich nicht (die haben ja sowieso keine Körpersäfte), weshalb mir das Spucken als Jugendliche umso mehr Spaß gemacht hat. Überhaupt spucken Jugendliche extrem viel. Nicht dass sie so viel mehr Speichelfluss hätten – manchmal ist die geringe Spuckmenge recht traurig mitanzusehen. Die Ursache des jugendlichen Schlatz-Dranges liegt vielmehr in der Abwertung der und Abgrenzung zur Rest-Gesellschaft. Und in Corona-Zeiten ist das ganz schön gelungen – Geschichten über spuckende Jugendliche haben Leute in Angst und Schrecken versetzt und so manch einen Polizeiruf ausgelöst.

Spucken ist auch kulturhistorisch mächtig – dreimal spucken bringt Glück; über die Schulter spucken vertreibt böse Geister und wenn man in die Hände spuckt, wird viel Arbeit verrichtet. Auch in der Traumdeutung hat das Spucken einen beeindruckenden Stellenwert – mal ist das Spucken ein Symbol für Erfolgsaussichten, mal ein Hilferuf der Seele, mal einfach nur ein Ausdruck von Wut bzw. deren negativen Konsequenzen.

Doch wehe, jemandem wird vor die Füße oder gar ins Gesicht gespuckt! Eine größere Beleidigung ist kaum vorstellbar. Deshalb wird das Anspucken auch als politisches Werkzeug eingesetzt – so manch ein Politiker wurde schon Opfer einer Spuck-Attacke. Mein persönlich größter Erfolg im Kampf gegen tanzende Burschenschaftler war eine Schlatz-Spur auf einem Burschi-Mantel.

Doch wie wir vom spuckenden HTL-Lehrer wissen – das Anschlatzen kann auch einfach ein ängstlicher Abwehrreflex sein. Damit muss ich dem körperlich überlegenen Gegner nicht zu nahetreten und kann trotzdem seine Ehre beleidigen. Und heutzutage hat das Spucken als Nahkampfwaffe nochmals an Wert gewonnen – es wird nicht mehr als Ehrenbeleidigung, sondern als schwere Körperverletzung geahndet! Also, Achtung beim unbedachten Ausspucken!