MALMOE

Not That Into Politics

Totally Pretentious – Der pseudomarxistische Gaming-Block: Die Spieleindustrie zwischen Liberalismus und Opportunismus

Das Credo der Freiheitskämpfer_innen in Assassin’s Creed lautet: „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.“ Ob gegen Kreuzritter als fanatische Invasoren, wider die Unterdrückung durch das Britische Empire oder durch die opportunistischen Ptolemäer: In der Spieleserie des Herstellers Ubisoft geht es um den freien Menschen – einen, der sich gegen Repression von außen stemmt, gegen einen übermächtigen Orden, der das Barbarische mithilfe seines Ordnungsbegriffes aus der Welt brennen will. Fast im Alleingang ändert der Held, die Heldin, den Lauf der Geschichte, vom Alten Ägypten bis hin zum Fin de Siècle. Der_die Spieler_in wird hierbei zur Auserwählten, zum allerbesondersten Individuum, das die Stärke und die Fähigkeiten besitzt, selbst die Götter herauszufordern. Dabei wird die Landkarte von ihren Schätzen leergeplündert und das Vermögen der Finsterlinge und ihrer Handlanger in den Besitz der Spieler_innen umverteilt. Im spätmittelalterlichen Konstantinopel und in der Toskana der Renaissance entdeckt der Avatar sein unternehmerisches Selbst und kauft mit dem Geld, das er den Leichen seiner Opfer entnimmt, exzessiv Banken, Schneiderwerkstätten und Kunsthandlungen und wird unermesslich reich.

Freiheit und Besitz: Die Held_innenfigur in Assassin’s Creed verkörpert die politische Theorie des besitzenden Individuums – den Liberalismus. Obwohl der Slogan „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“ eher libertär als liberal klingt, ist es eine für die spielerische Wahrnehmung von Freiheit notwendige Carte blanche, um mordend und plündernd Tyranneien zu beenden. Am Höhepunkt ihres ideologischen Pathos wirft die Entwicklerfirma Ubisoft die Spieler_in in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, um dort Engländer_innen zu meucheln. Im London der rauchenden Schlote rückt sie sodann Karl Marx zur Seite und beschützt dessen Reden vor den Übergriffen von Streikbrecher_innen. Trotz der in diesem Teil der Serie konkreten Sympathie für Arbeiter_innenrechte bleibt der Ausflug nach links kurz und ohne Wirkung, da jede ernstzunehmende politische Botschaft von einem schwarz-weiß-malenden Pathos verschluckt wird. Denn das Ziel ist weniger die Wissensvermittlung, der Diskurs oder die moralische Forderung der Spielenden als deren Unterhaltung. Das historische Setting erfüllt hier nur den Wunsch eines exotischen Bühnenbilds. Überwiegend steuern die Spieler_innen ihre Assassin_innen durch bekannte Hotspots des Liberalismus: das Paris der Französischen Revolution, die Gründung der Vereinigten Staaten und das England der Industriellen Revolution. Der Fokus der Erzählung bleibt stets auf das Individuum und dessen Befreiung fokussiert.

Politische Geschichten ohne politische Inhalte

Der Gaming-Mainstream – die sogenannten Triple-A Spiele –, zu denen auch die Titel von Ubisoft gehören, sind in erster Linie kapitalgetriebene Unternehmungen. Marktlogik und Investitionssicherheit bestimmen stark, wie Spiele gebaut und welche Geschichten erzählt oder nicht erzählt werden. Aus dieser Logik ergeben sich einige offensichtliche Parallelen zum Mainstream-Kino: Beide Medien kranken daran, dass selten größere Experimente gewagt und stattdessen etablierte Tropen in leichter Veränderung wiederholt werden, dass einfache Schwarz-weiß-Erzählungen dominieren und Ambivalenzen in der Regel ausgespart werden. Dabei sind die Entwickler_innen gezwungen, wollen sie am erbarmungslosen Videospiele-Markt bestehen, singuläre Produkte und Szenarien zu entwickeln. Spiele müssen emotional mobilisieren und verweisen daher auf Zusammenhänge und Stile der Realwelt. Gleichzeitig sollen sie es Spieler_innen ermöglichen, sich mit dem Avatar zu identifizieren und so gibt es keine Darstellung von Gut und Böse ohne klare Zeichen am Revers der Pro- und Antagonist_innen, die auf etwas über sich und aus dem Bildschirm hinaus verweisen und dorthin zurückwirken. Die Mainstream-Videospieleindustrie ist eine Bilderwerkstatt, die, ohne es zu wollen und weil sie es auch nicht vermeiden kann, politische Bilder mit entwirft.

Die selektive, marktorientierte Platzierung politischer Inhalte unterscheidet die Spieleindustrie für’s Erste noch nicht von der Mainstream-Filmbranche. Dass also Spielehersteller_innen in Zeiten medienübergreifender identitätspolitischer Diskurse die Charaktere ihrer Produktionen diversifizieren – und etwa nicht-weiße oder weibliche Avatare sowie gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen erlauben – ist, wie auch in anderen Branchen, dem Versuch geschuldet, neue Marktsegmente zu aktivieren, wenngleich dies zweifelsohne ein positiver Trend ist. Gleichzeitig führt genau dasselbe Anliegen zu der ständigen Angst, durch das Storytelling anzuecken und Teile der Kundschaft zu vergraulen. Bestes Beispiel hierfür ist das im US-Bundesstaat Montana spielende Far Cry 5, das zwar einen religiösen Fanatiker als Antagonisten einsetzt, dabei aber jeden Bezug zu dem im Bundesstaat real existierenden christlichen Fundamentalismus tunlichst ausspart und dafür „echte“ Christen und „aufrechte“ Amerikaner positiv stilisiert. Oder das Washington, D. C. in Tom Clancy’s The Division 2, das zwar zahllose politisch geladene Orte begehbar macht (wie etwa das Lincoln Memorial, das National Museum for American Indian, die Martin Luther King Bibliothek), keines dieser Gebäude aber in die Handlung inkludiert. Politische Bezüge werden mühsam umschifft, soziopolitische Bedeutsamkeit und Historizität werden zur Tapetendekorationen und digitale Räume bleiben auf seltsame Weise leer: Nicht-Orte ohne Bedeutsamkeit und Geschichtlichkeit.

Das Politische im Dienste des Ökonomischen

Dieser schizophrene Umgang mit allem dezidiert Politischen, das über das Symbolhafte, etwa über oberflächliche Identitätspolitikhappen, hinausgeht, unterscheidet Film- und Spieleindustrie insofern, als selbst im Mainstream-Kino keine Scheu vor politischem Gehalt besteht. Marvels Black Panther ist hierfür ein berühmtes Beispiel. Dabei müssen auch die meisten Spiele das erzählerische „Kunststück“ vollbringen, nicht nur Gewaltanwendung nachvollziehbar zu machen, sondern die Spielenden dazu zu bringen, diese Handlungen vollziehen zu wollen. Das mit dieser pragmatischen Notwendigkeit einhergehende reduktive Charakter- und Storydesign wird etwa im eingangs erwähnten Assassin’s Creed offensichtlich, in dem die Assassin_innen selbst keine konkreten Utopien entwerfen, sondern sich als Bilderbuchliberale durch ihre Ablehnung der konservativen Templer definieren. Das Zentrum ihrer Ideologie bleibt dabei eine Leerstelle. In erster Linie müssen moralische Zweifel ausgeräumt und Gegner entmenschlicht werden, damit die Spieler_innen sich reibungslos in die Held_innenrolle einfügen können.

Dass der politische Diskurs im Spiel über diesen Utilitarismus hinausgehen müsste, lässt sich alleine schon deshalb argumentieren, weil selbst in populären Titeln längst eine ganze Reihe brisanter Thementabus gefallen sind: Unsere Avatare führen nicht nur Krieg, sie nehmen Geiseln, foltern, verüben Terrorattentate, begehen Kriegsverbrechen, und zwar ohne, dass dies im Spiel problematisiert würde. Man muss noch nicht einmal bei der bereits zur Floskel breitgetretenen Erkenntnis-Endstation „Alles ist politisch“ angekommen sein, um unfreiwillig die Augenbrauen zu heben, wenn Terry Spier, Creative Director von The Division 2, erklärt, der Kampf um die Vorherrschaft um Washington, D. C. nach einer Pandemie beinhalte keine politische Botschaft. Und die Darstellung eines von Drogenkonflikten zerrissenen Boliviens habe man, so das Entwicklerstudio von Ghost Recon Wildlands, rein aus landschaftlichen Überlegungen gewählt.

Der Riss, auf den das Marketinggeschwurbel der Entwickler_innen verweist, erstreckt sich aber ebenso auf einen großen Teil der Spieler_innenschaft, der sich ebenso als bloße Tourist_innengruppe versteht, die sich mit Händen und Füßen gegen die Kontaminierung spielerischer Landschaften mit politischen Artefakten wehrt. Dass die reale, politische Positionierung dabei wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird, wurde kaum je so offensichtlich wie während der „Blitzchung“-Kontroverse. Als sich der Pro-Gamer „Blitzchung“ während den Hearthstone Grandmasters 2019 mit dem Satz „Liberate Hong Kong, the revolution of our times“ an die Seite der Unabhängigkeitsbewegung Hong Kongs stellte, unterbrach US-Spielehersteller Blizzard die Übertragung des Turniers, schloss Blitzchung für ein Jahr von allen Turnieren aus und erkannte ihm sein Preisgeld ab. Auf den darauf folgenden Shitstorm, in den sich sogar einige US-Senatoren mit einem Schreiben an Blizzard einschalteten, reagierte der Publisher zweifach: Einerseits reduzierte man das Strafmaß und verkündete, „man habe zu schnell reagiert“ und betonte, dass „jede Stimme in der Gemeinschaft zähle“. In einem chinesischen Twitter-Statement brachte Blizzard fast zeitgleich seine „entschiedene Ablehnung und Verurteilung“ von Blitzchungs Verhalten zum Ausdruck und man versprach weiterhin Chinas „nationale Ehre verteidigen“ zu wollen. Dieser ökonomische Opportunismus tanzt auf vielen politischen Hochzeiten gleichzeitig und verbiegt sich in diesem Reigen, ohne dass eine Haltung den Schritt vorgibt.

A Game that fits the needs of the market

Die Entwickler_innenteams von Ubisoft Entertainment – das die meisten in diesem Artikel erwähnten Spiele veröffentlichte – werden von der Marketingabteilung gebrieft, ihr Produkt so zu entwickeln, dass es seinen Weg am besten in den Markt finde. Stets spürt das Kernentwickler_innenteam das „Studio Brand Management“ im Nacken, das definiert, welche Art von Spiel vermarktet wird. Argumentativ gefüttert von Datenanalysen, gibt dieses Strategien für das Spiel vor und entwirft Gameplay-Ideen, die dann von den Entwickler_innen umgesetzt werden sollen. Zu sehr fürchtet man die ökonomischen Konsequenzen einer politischen Positionierung, gespeist aus Online-Shitstorms wie im Fall von Gamergate oder der Blitzchung-Kontroverse – man fürchtet die erheblichen Kosten durch den Mehraufwand für Mitarbeiter_innen, die sich an den öffentlichen Kommentaren auf Foren und Social Media abarbeiten müssen, die Daten der Spielenden abgreifende Algorithmen, den Bedarf an Unterstützung durch Unternehmen für Krisenmanagement, die durch negative Schlagzeilen ausgelöste Investorenflucht, oder die Auswirkungen auf die Arbeitsmoral des Mitarbeiter_innenstabs.

Aus der resultierenden Herangehensweise ergibt es sich, dass die politische Erzählung der Spiele – etwa von Ubisoft – einen größtmöglichen Konsens seiner Konsument_innen widerspiegelt. Dadurch übersetzt sich der in der Spielebranche allgegenwärtige Opportunismus in einen undefinierten, durch Negation argumentieren Liberalismus: weitgehend entpolitisierte, mit abwechselnd linken und rechten Codes gesprenkelte, pragmatische und dabei doch stockliberale Ideologie – die dabei stets so tut, als gäbe es sie überhaupt nicht.