MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#14)

An der Bushaltestelle

Drei Jugendliche stehen nebeneinander und unterhalten sich mittels zugeworfener Wortfetzen. Natürlich schauen sie dabei ununterbrochen und wie gebannt auf ihre Smartphones. Hey, es ist das Jahr 2020, so ist das eben. Plötzlich sagt einer von ihnen, nachdem er konzentriert sein Display abgesucht hat, den ersten vollständigen Satz der Konversation: „Okay, ich muss anscheinend Lulu.“ Faszinierend. Liebe MALMOE-Leser*innen, wir bitten um Zusendungen und dringende Aufklärung. In unserer Redaktion (Durchschnittsalter Ende Zwanzig) herrscht gespanntes Interesse: Welche Art App nutzt dieser junge Mann? Ist es etwas Medizinisches? Geht es tatsächlich um sein eigenes Lulu? Kann das Telefon dies messen? Oder spielt er ein Simulationsspiel, das Harndrang thematisiert? Großartig – jede Antwort muss gut sein und wir lernen gerne dazu.

Plan für realistische Superheld*innen

Ob im Hollywood-Blockbuster, in den Metaphern von Politik und Medien oder in nahezu der gesamten Fantasiewelt der Kinder: Überall sind Superheld*innen versammelt. Sie haben die Gedanken aller fest im Griff und transportieren dabei leider einen, wohl durch die aktuelle Lage mitbedingten, Eskapismus. Das muss nicht sein, die Held*innen könnten realistischer gestaltet werden. Hier der Entwurf für eine*n wirkliche*n Superheld*in:

Er/sie kann Dinge unsichtbar werden lassen, allerdings sind sie nur für ihn/sie selbst unsichtbar. Er/sie kann ein Erdbeben erzeugen, allerdings weder Ort noch Zeitpunkt bestimmen. Er/sie kann sofort jede Falle erkennen, ist allerdings dazu gezwungen, dennoch hineinzulaufen. Er/sie kann die letzten Geheimnisse unserer Existenz verstehen, ohne diese aber anderen erklären zu können oder aus dieser Erkenntnis selbst einen Gewinn zu ziehen.

Er/sie kann die Gedanken anderer Menschen lesen, vergisst aber augenblicklich deren Inhalt. Er/sie beherrscht Zeitreisen, allerdings nur in die Zukunft, wobei die Reisedauer jeweils der zeitlichen Distanz zu dem ausgewählten Zeitreiseziel entspricht.

Er/sie erlebt vollkommen unfassbare Abenteuer, die sich deshalb für Außenstehende von dem Leben eines gewöhnlichen Menschen nicht unterscheiden lassen.

So und jetzt braucht er oder sie nur mehr einen packenden, aber nicht ganz unrealistischen Namen, wie zum Beispiel „Doktor Klug“ oder „Super-Babsi“. Könnte wirklich was werden.

Blame Game

Angeblich arbeitet Felix Mitterer bereits an einem 5. Teil seiner Piefke-Saga, einer Gesellschaftssatire über das Verhältnis zwischen Tirol und seinen „lieben deutschen Gästen“, die Anfang der 1990er einen Skandal ausgelöst und Mitterer Morddrohungen beschert hat. Wer die Serie kennt, kann sich tatsächlich lebhaft vorstellen, wie die „Dorf-Mafia“ von den ersten Corona-Fällen in Ischgl erfährt und die Protagonisten alles daran setzen, die Saison für den Tourismus noch zu retten. Der Tiroler Gesundheitslandesrat Tilg (ÖVP), der in einem bizarren Interview in der ZIB 2 stets betonte, die Behörden hätten alles richtig gemacht, wirkt dabei wie eine besonders überzeichnete Figur. Was die Verantwortung der Behörden betrifft, meint Kanzler Kurz, er habe kein Interesse an einem „Blame Game“, schließlich fordere er ja auch keine Entschuldigung von Italien dafür, dass italienische Gäste das Virus in österreichische Skiorte eingeschleppt hätten, was dann doch ziemlich nach einem „Blaming“ klingt. Die ÖVP möchte abseits der Tourismus-Werbung ohnehin lieber nicht mehr über Tirol sprechen, sondern zeigt sich „besorgt“ um Wien. Wie heißt es auch so schön in der Piefke-Saga über die deutschen Gäste, „Sie sind uns beim Arsch lieber als jeder Wiener beim G‘sicht.“

Prima Klima

Also diese neumodische Lust an der Klima-Apokalypse! Das ist doch wirklich übertrieben, das hemmt ja auch nur und ist eher etwas für Spinner*innen. Solche, die sich dann wundern, dass uns heute zum Enactment der Offenbarung des Johannes fast nix mehr fehlt. Ist ja auch witzig, da restaurieren sie den „Genter Altar“ und das Lamm Gottes hat plötzlich kein Tiergesicht mehr, sondern ein menschliches und blickt uns direkt ins Auge. Pfff, so ein Schaf. Man muss das alles auch eher global sehen. So wie in Australien. Buschfeuer haben die gar nicht mehr, denn der Busch ist vor Jahrzehnten verbrannt. Heute brennen da die Wälder. Den ganzen Sommer über. Der viel gerühmte australische Wein hat jetzt diese Note von verbranntem Holz. Manchen schmeckt‘s. Der Himmel war in vielen Gegenden wochenlang feuerrot und mit Rauchwolken verhangen. Die Sonne war auch in Teilen Afrikas selten zu sehen. Einfach zu viele Heuschrecken in der Luft. Es gibt beachtliche Rekorde, ein Ort in Russland, an dem es 70 Grad Celsius zu warm war. Wo sonst minus 50 Grad herrschten, sind es plötzlich 20 Grad plus im Winter. Im Sommer jetzt bis zu dreißig Grad, wo eigentlich nur 0 Grad sein dürften. Der Permafrostboden taut jetzt natürlich und die ganze Infrastruktur versinkt im Matsch. Riesige Diesel- und Erdöllager sind leckgeschlagen und in Brand geraten. Die üblichen Feuer der Bauern, die zum Ausforsten des Buschwerkes gedacht waren (eine jahrhundertealte und bewährte Praxis), haben die gesamten Wälder entzündet. Kurzum, der Norden Russlands brennt jetzt also auch und die Bäume, die nicht brennen, werden von riesigen Mottenschwärmen zerfressen. Okay, das sind alles Bilder, die dann doch eine gewisse Beklemmung verursachen können, und da freut es umso mehr, dass manche die Zeichen der Zeit erkennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Und zwar gerade noch rechtzeitig. So die türkis-grüne Regierung in Österreich und ihr kleiner Ableger in Wien. In den ersten Wiener Gemeindebezirk dürfen jetzt keine Autos mehr fahren! Außer natürlich die von Anwohner*innen, Anlieger*innen, Parkgaragenbenutzer*innen, Taxis, Anlieferungen und noch zwanzig andere Ausnahmen. Da geht ordentlich was weiter. Gute Fahrt allseits! Wohin auch immer.

In den Händen von Affen

In der Nähe von Delhi stahl eine Bande Affen Laborproben mit Corona-Viren. Die Befürchtung war, die Affen würden das gestohlene Blut trinken und sich infizieren. So ist sie, die Welt im Jahr 2020, und irgendwie haben wir uns das Ende der Menschen auch genau so vorgestellt: Eine Horde Affen stiehlt Blutproben, von denen sie besser die Finger lassen sollte, infiziert sich und hilft den Supervirus entwickeln, der uns alle umbringt. War ja klar. Diesmal hatte die Menschheit noch Glück im Unglück. Die ungeschickten Primaten haben die Container nicht aufbekommen und kamen somit auch nicht in Kontakt mit dem virusverseuchten Blut. Auf Dauer sollte die menschliche Zivilisation allerdings nicht auf das Ungeschick der wilden Affen setzen.