Ein Paar im Gespräch über eigene Erfahrungen
Unsere Autorin trifft sich mit einem Paar, das vor drei Jahren abgetrieben hat. Mit viel Humor geht es um Reue, die sein darf, das Fehlen von Vorbildern, die Ambivalenz und Verarbeitung der Kluft zwischen Fühlen und Denken.
MALMOE: Mir kam die Idee, euch um ein Interview zu bitten, weil ich eure Geschichte gerne lesen würde, wenn ich selbst in der Situation wäre, ungewollt schwanger zu sein und vor einer Entscheidung zu stehen. Wie kam es zu eurer Entscheidung?
C: Draufgekommen bin ich durch einen Zufall: Meine Schwester hatte panische Angst, schwanger zu sein. Ich wollte sie beruhigen und mit ihr gemeinsam den Test machen. Ihrer war negativ – meiner positiv. Das Hin und Her, bis ich mich entschloss, hat sich ewig angefühlt, aber eigentlich waren es nur zwei Wochen. Für eine medikamentöse Abtreibung muss man sich schneller entscheiden, für eine chirurgische hat man mehr Zeit. Bei der medikamentösen bekommst du zuerst ein Präparat, das das Gelbkörperhormon unterdrückt. Dann kriegst du etwas, das starke Krämpfe auslöst und dann hast du deine Tage. Ich habe 14 Tage geblutet und hatte die schlimmsten Krämpfe meines Lebens – das habe ich mir angenehmer vorgestellt. Im Nachhinein betrachtet wäre eine chirurgische Abtreibung vielleicht angenehmer gewesen. Die Vorstellung, ein Hormon zu nehmen, war verlockend, da es sich natürlicher angefühlt hat.
Spannend, dass du sagst, „es fühlt sich natürlicher an“. Ein Eingriff im Krankenhaus wirkt dagegen pathologisierend und abschreckend. Die medikamentöse Variante heißt eher, „es geht halt weg“.
C: Genau. Was ich eine Frechheit finde, ist, dass es in Österreich keine Regelung gibt, wie viel eine Abtreibung kosten darf. Wir mussten ewig recherchieren. Es steht auf den Webseiten nicht klar, wie viel es kostet. Da gibt es schicke Privatklinken, von der Stadt geförderte, aber nichts Öffentliches.
P: Es ist ziemlich undurchschaubar, du siehst: „Okay, da ist es um 200 bis 300 Euro teurer“, aber weißt nicht: „Bringt mir das etwas? Ist es dadurch sicherer?“
C: Oder: „Bin ich dann registriert?“ In der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) wird es zu sehen sein. Der Vorteil an den Privatklinken ist, dass es deine Sache bleibt. Wir waren bei Gynmed, die sind halt die billigsten. Die Erfahrung dort war eine positive. Im Wartezimmer waren nur Pärchen. Wir waren mit Abstand die Jüngsten. Ich habe eine Statistik gelesen, dass in Österreich vor allem verheiratete Paare abtreiben, die schon Kinder haben. Dieses Bild von der jungen Frau, die sich durch die Weltgeschichte vögelt und dann zehn Abtreibungen hat – das stimmt einfach nicht. Positiv überrascht war ich, weil sie mich wirklich schützen wollten. Sie hätten mir den Ultraschall nicht gezeigt, wenn ich nicht danach gefragt hätte. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sehe ich aber Defizite. In unserer Gesellschaft ist das Thema noch so verrucht. Als ich anfing darüber zu reden, haben mir plötzlich viele Leute von ihrer Abtreibung erzählt.
Wann hast du angefangen darüber zu reden?
C: Mit meinem Umfeld gleich. Die Gespräche mit meiner Schwester waren sehr wichtig. Wir haben darüber geredet, wie unsere Mutter eigentlich war und wie wir vielleicht als Mütter wären. Teilweise habe ich mit ihr mehr als mit P. darüber geredet – wir waren zu der Zeit gerade mal drei Monate zusammen! Sieben Monate haben wir uns erst gekannt. Meine Mutter hätte sich eine Abtreibung für sich selbst nie vorstellen können, unterstützte mich aber. Mein Papa hat gesagt, ich soll eine Pro- und Contra-Liste schreiben, ohne mir dabei Sorgen um das Finanzielle zu machen. Aus so einer privilegierten Situation konnte ich diese Entscheidung treffen! Trotz Absicherung durch die Familie stellt sich langfristig gesehen aber die Frage, wer mir mit Kind in meiner Branche einen Job geben würde? Mit 22 hätte ich mich auch psychisch nicht bereit gefühlt, Mutter zu werden. Ich war jedenfalls erleichtert, so eine Familie zu haben.
Der offene Umgang und die Unterstützung deiner Familie waren wichtig, um die emotionale Belastung zu schaffen?
P: Diese zwei Wochen waren eine Achterbahnfahrt. C. hat schon als wir uns kennengelernt haben gesagt, dass sie für den Fall eine Abtreibung in ihrem Leben durchführen zu müssen, Geld auf der Seite hat. Überlegungen wie diese waren mir davor nicht bewusst. Und als sie schwanger war, war das, als ob ein Schalter umgelegt und das Mutter-Sein aktiviert wird. Als ich von der Schwangerschaft erfahren habe, habe ich zuerst einfach nur geheult. Erst war da das Gefühl der Reue. Das hat sich irgendwie aufgelöst und ich habe zu C. gesagt: „Egal, wie du dich entscheidest, ich unterstütze dich.“
C: Für mich war es so, dass ich gerade mit P. zusammen gekommen war und auch noch ein bisschen zu zweit sein wollte! Ich musste P. fragen: „Bitte, sag mir jetzt ganz ehrlich, was du willst!“ Ich hab’ gemerkt, dass er sich zurückhält. Bei mir war es immer einen Tag so und am nächsten anders – da wollte ich hören, was er dazu meint! Ich wollte wissen, ob es wegen mir ist, ob meine Eizelle nicht gut genug ist. Es sollte immer die Entscheidung der Frau sein, aber man kann sowas auch als Paar entscheiden.
P: Es ist nicht leicht, wenn man selbst so einen Widerwillen hat und diesen gleichzeitig nicht aufzwingen will. Das hat in mir eine Spannung erzeugt. Das Wichtigste ist die Auseinandersetzung, wirklich darüber reden, der Ambivalenz bewusst zu sein, zu diskutieren und es auszuhalten, bis eine Lösung für beide zustande kommt.
C: Alle sagen: „Es ist deine Entscheidung!“ Aber ich war selbst verwirrt und wollte nicht die einzig Böse sein, die das Kind wegmachen will. Ein Jahr danach war ich total froh über die Entscheidung und jetzt bereue ich gar nichts mehr. Ich hatte aber das Gefühl: „Es kann doch nicht so einfach sein.“ Das war wie internalisiert.
Du sprichst eine Sichtweise auf die Wertigkeit der Frau an: die Böse, die nicht gut genug ist.
C: Total absurd! Ich glaub’, es gibt keine Frau, die diese Entscheidung auf die leichte Schulter nimmt. Abtreibungsgegner_innen tun oft, als wäre das so. Auch für Freundinnen, mit denen ich Witze darüber machte, war das nicht leicht! Genau das finde ich schön. Es sind immer verschiedene Gefühle dabei, es ist kein: Entweder du bereust es für immer oder es ist dir egal. Auch körperlich hab’ ich damals dieses Schwanger-Sein stark gespürt.
Diese Ambivalenz fehlt im Diskurs. Entweder du musst den Zellhaufen absolut ablehnen, und dann bereust du den Schwangerschaftsabbruch nie, oder eigentlich wolltest du das Kind, und dann bereust du für immer und es zerstört dein Leben. Euer Humor untereinander ist ja auch eine Form der Verarbeitung. Wie war der Schwangerschaftsabbruch an sich schließlich für euch?
P: Für mich war das eine ganz schräge Realität während der Abtreibung. Ein ganz eigener Zustand.
C: Wir haben uns sozusagen in eine Höhle zurückgezogen. Wir sind nur rumgelegen und haben Sachen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, gebinge-watched. Sie haben mir auch Schmerzmittel mitgegeben, eine mit Morphin, falls es ganz schlimm wird. Und dann ging die Periode so lang wie noch nie.
P: Für mich ist es nie wirklich real geworden. Natürlich habe ich das Ganze über C. mitgemacht, aber was da eigentlich verschwunden ist, konnte ich nicht begreifen. Ich hätte nicht sagen können, was ich genau fühle. Es gab kurze Momente, in denen ich es irgendwie fassen konnte und mich verabschiedet habe. Das waren sehr vage Vorgänge. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es die absolut richtige Entscheidung war. Aber es war für mich die richtigste Entscheidung. Man muss sich damit konfrontieren, dass man etwas zerstört, etwas verletzt. Für mich war es deshalb keine falsche Entscheidung. Beim Abschied war das Gefühl: „Es tut mir leid, dass du dich als Potenzial nicht verwirklichen konntest.“
C: Die Anwesenheit von etwas anderem war spürbar – aber die Seele kommt jetzt zu Eltern, die sich richtig freuen! Die Abtreibung hat sich nicht wie ein Zerstören, sondern eher wie ein Loslassen angefühlt. Absurd an christlicher Argumentation ist, dass eine Seele nicht zerstört werden könne – aber durch einen Schwangerschaftsabbruch schon? Vielleicht kommt die gleiche Seele in ein paar Jahren wieder zu mir.
P: Es befremdet mich, wenn Leute ganz fixe Positionen haben: Das ist nur ein Zellhaufen und nichts wert, oder das ist ein Kind. Ich war damit konfrontiert, dass ich es überhaupt nicht weiß. Und trotzdem musst du eine Entscheidung treffen. Dich durchwühlen durch dieses Nicht-Wissen, darin zurechtfinden. Man wird nie Gewissheit haben – und trotzdem damit zurande kommen. Diese Erfahrung hat mir mehr Einblick gegeben und damit auch mehr Empathie für andere Betroffene. Mir ist bewusster geworden, wie ignorant reaktionäre Haltungen gegenüber der Wirklichkeit sind.
C: Dass Freund_innen, von denen ich das nicht erwartet hätte, ein Problem damit hatten, überraschte mich. Danach habe ich angefangen, auf Pro-Life-Seiten zu recherchieren, als wollte ich mich bestrafen. Es war das totale Hormonchaos! Faszinierend war, dass viele der Anhängerinnen selbst Abtreibungen hatten. Man wird auf diesen Homepages von Familienplanungsinstituten ausgetrickst. Zuerst tun sie so, als könne man bei ihnen abtreiben, dann werden sie aufdringlich. Jeder Zweifel wird zum Beweis, dass ein Schwangerschaftsabbruch ein Fehler ist. Aber Verarbeitung und Trauer sind normal. Es bräuchte offenere, positive Beispiele: Ja, es geht mir dreckig – und irgendwann auch wieder gut.
Was haltet ihr davon, dass wegen des Lockdowns keine Termine für Abbrüche vergeben wurden?
P: Mir erscheint das wie eine Simulation, als wären Schwangerschaftsabbrüche verboten. Höchstwahrscheinlich sind Betroffene mit Beziehungen sehr wohl an Möglichkeiten gekommen…
C: … Entweder unter lebensbedrohlichen Umständen oder mit Geld. Darauf läuft ein Verbot immer hinaus. Obwohl man das weiß, wird über die Beschneidung dieses Rechtes immer wieder diskutiert.
Wie seid ihr nach dem Erlebten miteinander umgegangen?
C: Es hat uns zusammengeschweißt. Wir mussten offen über Pläne, Leben und Ziele reden. So viele, so offene Gespräche – das war schön! Da waren wir sehr innig, auch während der Abtreibung selbst. Einfach daliegen und kuscheln und was anschauen, von den Schmerzen ablenken.
P: Natürlich ist es zach, wenn’s deiner Partnerin so schlecht geht. Ich dachte: „Das ist eine Phase, da müssen wir durch – das wird schon!“
Und hat die Frage nach der Verantwortung später noch eine Rolle gespielt?
C: In den Reuephasen habe ich ihm vorgeworfen, es sei ihm egal. Und er hat gemeint: „Es ist mir nicht egal, ich geh nur anders damit um.“ Für mich war dabei die Frage essenziell, warum ich verzweifelt bin und weine und P. nicht? Es hat sich zwischen uns aber nicht festgesetzt. Ich habe den für mich perfekten Partner, den man für sowas haben kann.
P: Diese Reuephasen waren aber meistens nur ein paar Stunden, nichts Durchgängiges.
C: Der Prozess beinhaltete auch die Frage: Soll ich überhaupt Kinder kriegen? Da waren wieder Zweifel und Reue. Ein Wendepunkt war, als mein Papa meinte, wenn ich es so bereue, sollte ich doch ein Kind bekommen. Da wurde mir wieder klar: Ich will auf jeden Fall Kinder – irgendwann, aber nicht jetzt. Wenn man über längere Zeit für ein Kind verantwortlich ist, merkt man: Deine Zeit gehört nicht ganz dir. Es kann nicht der richtige Zeitpunkt gewesen sein – weil ich es nicht wollte.
Könnte man sagen, es war der richtige Zeitpunkt für eine wichtige Erfahrung, aus der man auf schmerzvolle Weise viel lernen konnte?
P: Ja. Vor allem durch die Auseinandersetzung mit der Situation. Ich war davor noch nie in einer so schweren Situation so sehr mit jemandem gemeinsam – eine Herausforderung, die man teilt. In dem Sinne: Ja.