An dieser Stelle findet sich Kürzestprosa – von einer Zeile bis zu einer halben A4-Seite –, verfasst von verschiedensten Autorinnen*, kuratiert von Marie Luise Lehner und Katharina Pressl. Solche Mini-Formate verschwinden häufig. Sie sind schwierig zu publizieren, da sie nicht den präferierten Anforderungen von Länge und Größe entsprechen. Hier abgedruckt ist also ein selten einsehbares Geflecht von kurzen Texten neuerer sowie etablierterer Autorinnen*. Sie alle baten wir, Frauen*figuren zu beschreiben. Es entstand Frauen* schreiben Frauen*: Sich vom Zeichen zum Satz, von der Aussage zur eigenen Geschichte bewegend, nehmen Frauen* und ihre Figuren gemeinsam Platz
Diesmal präsentieren wir Texte über die richtige Härte der Gummisohlen, mit denen man den Weg von der Einsamkeit zum Alleinsein beschreitet, was Kiki’s Delivery Service wohin liefert, im Idealfall Bilder ins Gehirn und das Leben in Teilfreizeit. Außerdem einen Text, der eine Sehnsuchts-SMS sein könnte, und eine Lady, auf deren Unterlippeninnenseite „Hi“ geschrieben steht.
Einige der Figuren sind geprägt von einer an Apathie und Monotonie grenzenden Ruhe. In ihrer Nähe liegt die Traurigkeit, die manchmal mit Schwäche oder Mangel verwechselt wird. Hier wird sie zur Selbstverständlichkeit, die die Verantwortung weniger persönlich macht, sondern sie anderswo, in der Allgemeingültigkeit sucht.
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Die kleine Hexe Kiki aus dem japanischen Film Kiki’s Delivery Service hat ausschließlich weibliche Freunde, (die sie alle ständig sieht). Als sie sich einmal mit einem Buben abgibt, gerät ihr Besen ins Wanken, sie verliert ihre Zauberkräfte.
Die Künstlerin Ursula, die in einer Hütte im Wald malt, ist von der kleinen Hexe inspiriert. Sie macht sie zum Sujet ihrer Bilder und sagt, als Kiki ihr von ihren verloren gegangenen Kräften erzählt: Mit der Magie ist es wie mit der Kunst, manchmal geht’s, manchmal eben nicht.
Wenn ich nicht rausgehe, nichts erlebe, niemanden treffe, muss ich in mich selbst hineinschauen – und in mir drin ist etwas, das nicht rausgeht, nichts erlebt, niemanden trifft.
Ich wünschte die kleine Hexe malte mir mit ihrem Besen Bilder ins Gehirn. Ich lehne an der Wand, an der Leere der Ziegel, in denen Luftkammern dafür sorgen, dass sie nicht zu schwer sind, und trotzdem stabil. Der Kopf friert mir hier ein. Kiki, schupf mal den Polster rüber!
Liefern – Margit Mössmer
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Ich habe alle meine
Halbfertigkeiten beisammen
und sitze in Wohnhaft
in meinen eigenen vier Wänden.
Das Leben in Teilfreizeit
gestaltet sich passabel, je
nach Sonneneinfall
und Fernsehprogramm
meines Nachbarn.
Tag 24, Küchenfenster – Iris Weigel
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Der Weg um den Parkteich ist genau vier Zigaretten lang. Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Marise ist schon zu jeder Jahreszeit hier entlang und in jeder Art von Krise. Der Sommer ist fast vorbei, das Orange der Straßenlaternen ist beißend, ihre Beine in der Jeansshorts sind kalt. Die Silhouette, die vor ihr herschleicht, erinnert sie ein bisschen an ihr vierzehnjähriges Selbst, das in der ostdeutschen Kleinstadt die sechseinhalb Kilometer bis in den Außenbezirk, den einen Außenbezirk, mehr Außenbezirke konnte sich der winzige Ort mit historischem Stadtkern und verfallendem Bahnhofsgebäude und mitgelieferten Nazis nicht leisten, spazierte. Schlurfte. Jedenfalls ging. Gehen tat sie viel, aber sie fühlte sich damals meistens taub, ganz drogenfrei übrigens. Jetzt, mit der Zigarette und den zwei Gin Tonics im Tee und der Aussicht auf einen Nikka Whisky auf Eis zuhause, ist sie dagegen ganz klar. Spürt das Gummi ihrer Kunstlederjacke, deren breites Revers vor ihrer flachen Brust umherflackert, an ihren Oberarmen kleben. Sie macht Sport oder jedenfalls hat sie in einer Zwischenphase mal sehr intensiv Sport gemacht und deswegen ist sie sich ihrer äußeren Grenzen jetzt bewusster und wenn sie tief einatmet (oder auf Lunge raucht), dann schafft sie es jetzt ganz gut, wieder in ihren Schuhspitzen anzukommen – ganz vorne, weil die Schuhe gebraucht gekauft sind, weil sie dieses Jahr nichts online bestellen will und die Arbeit ihr für Windowshopping keine Zeit lässt und sie jetzt diese etwas zu kleinen Segelturnschuhe trägt, die sie über den Sommer hin beharrlich ausgetreten hat bei vielen, vielen Teichrunden.
Es ist vorbei – das hat sie gedacht, mehrmals, regelmäßig irgendwann, manchmal hat sie es vor sich hingemurmelt. Mal war es ein Aussagesatz, dann wieder eine Frage, dann ein Witz. Ein Spruch. Ein trockenes Lachen. Und sie weiß bis jetzt immer noch nicht, was Sache ist. Alles, was sie spürt, ist wieder und wieder die sich wild drehende Kompassnadel, als stünde sie direkt auf einem Magneten, das Hämmern in der Brust, die Nadel dreht sich und dreht sich und dreht sich, wer jetzt nicht springt, der lebt nicht. Das Rauschen der vorbeifahrenden Autos kann man mit Glück und etwas gutem Willen umhören, in ein – gutes Rauschen, ein weißes, ein fernes, ein maritimes. Dann ist das Meer gar nicht mehr weit. Oder die Bergspitzen. Wann genau hat die große Stadt plötzlich begonnen, immer höhere Wände wachsen zu lassen, immer enger zu werden, dass die Häuser auf einen zuwalzen, sobald man zu lange zu weit unten steht und was nur ist dieses Empfinden, dieser Wunsch, immer höher, weit oben zu sein und möglichst tief in den Horizont schauen zu können? Warum kommt der Wunsch zu sterben wieder? Und vor allem: Warum sollte man ihm nicht nachgehen? Kann man wirklich nur warten, nur ausharren, bis die Zeit vergeht?
Marise geht. Sie läuft. Sie hebt die Füße und lauscht dem Takt der Gummisohlen, die den richtigen Härtegrad haben, sodass man sich geschmeidig fühlen kann und trotzdem wie ein Fohlen. Marise schüttelt ein bisschen den Kopf über sich und schaut ihrem Schatten zu, wie der hohe Pferdeschwanz von links nach rechts pendelt. Sie lächelt ihrem Schatten traurig zu und der Schatten bläst lässig nebeldünnen Rauch aus. Es ist Mitte August und es gibt kaum Insekten, in Tegel landen die letzten Flieger aus Doha und der DomRep. Marise geht weiter und je länger sie geht und je öfter sie Grimassen zieht, weil ihr zum Heulen ist, je mehr Zigaretten sie ansteckt und aufraucht und ausdrückt und ordentlich in die dafür vorgesehenen Behältnisse an den Papierkörben befördert, desto kürzer werden die Intervalle. Die Wellen schnappen weniger hoch, die Herzkrämpfe werden kürzer, die kalten Fäuste um ihren Gastrointestinaltrakt haben weniger Griffkraft, und auch als sie die Treppen zu ihrer Wohnung erklimmt, ist sie noch unglücklich aber sie weiß, dass sie nicht sterben wird. Nicht heute. Selbst, wenn heute niemand antwortet. Sie wird sich müde machen mit Weinen, mit Liegestützen, mit Sopranos-Folgen auf Spanisch (sie übt wieder), mit noch mehr Whisky. Sie wird einsam sein. Und dann nur noch allein.
auf großem Fuß – Miku Sophie Kühmel
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In einem meiner Träume traf sich unlängst eine Gruppe von Menschen. Unter diesen war eine Frau, die man von der Feier nicht ausschließen wollte. Unweigerlich würde es mit ihr jedoch zu Problemen kommen. Also war man schon vor Beginn des Treffens missmutig gestimmt. Auf einmal allerdings war alles anders: Die Person nahm zwar am Treffen teil, sodass man niemandem vorwerfen konnte, sie ausgeschlossen zu haben, doch tat sie dies als eine unsichtbare und unhörbare Doppelgängerin ihrer selbst. Sie verlangte keine besondere Aufmerksamkeit und wurde genau deswegen richtiggehend geliebt. Das Treffen verlief für alle Seiten harmonisch und zu aller Zufriedenheit, weshalb man sich am Ende sogar vorsichtig umarmte. Dieser Traum wirkte sich positiv auf das nächste Zusammentreffen mit der schwierigen Frau aus.
Lisa Spalt
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wie ikarus in mottenform flattre ich dir entgegen. meine flügel schmelzen, so heiß bist du.
ja, ich weiß, wie das endet (ruf mich an, wenn du noch wach bist).
Naa Teki Lebar
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Lady, my beautiful
1.
wir zeigten unsere Zungen/wir zeigten uns die Innenseite unserer Unterlippen/auf Ladys stand/Hi
2.
Lady sagte/in meiner Vagina ziehts/kühle Morgenluft/zwischen den Beinen/als wir auf öffentlichem Gut saßen/Lady hockte/unsere Hände in Ladys Hüfte/unsere Wangen an ihrem Ohr/wir strichen die Wange gegen das Ohr/es klappte um/Lady sagte/Nochmal/Lady sagte/Ihr Wichser/ich esse eure verkommenen Nachkommen zum Nachtisch
3.
wir saßen und schauten über die Straße hinweg auf den Club/aus dem wir gekommen waren/wir besprachen das Fenster im Club als eine äußerst durchlässige Angelegenheit/ja sogar/sprachen wir/von der Existenz von Parallelwelten/Lady aber sprach/von einer äußerst ekligen Konfrontation mit dem Draußen/von einem hellen Morgengrauen
4.
draußen/wir hockten/wir zeigten unsere Zungen/dort lag nichts/wir näherten uns einander an/und als sich so unsere Zungenspitzen berührten/war es/als wären wir plötzlich/1/außerirdisches Wesen/und/Lady sagte/Eure DNA ist meine Lieblingsspeise
Lady trug eine Augenklappe/Lady war Piratin/Lady trug die blonden Stirnfransen über den Augen/wir fragten uns/war Lady blind/wir aber schauten/auf ihren Mund/während wir rauchten/und dachten an ihren Mund/wenn sie uns ihre Zunge zeigte/und da war keine Spur mehr von uns
wir existierten nicht
5.
alles an diesem Morgen war kühl/wir kauerten/später/fanden wir eine tote Taube/sie lag vor uns auf der Straße auf dem Rücken/sie war fett/wir schleckten/mit unseren Zungen über unsere Lippen/und sagten/mmmh/dann kickten wir sie/bis vor unsere Haustür/
dort sagte Lady/ich unterdrücke etwas/wir dachten/es geht hier um/1/Würgereiz/aber sie sprach von der Menstruation
sie sagte/ihr konservativen Scheißkerle/für wen soll ich bluten/für wen soll ich Schmerzen haben/für wen soll ich mich opfern/Lady spuckte/schluckte nicht/Lady Lady Lady
Lady, my beautiful – Mercedes Spannagel