MALMOE

Eine komplizierte Freundschaft

MALMOE hat sich mit dem Soziologen und Autor Jens Kastner im Café am Heumarkt getroffen, um sein aktuelles Buch Die Linke und die Kunst zu besprechen. Darin widmet er sich der Bedeutung der bildenden Kunst für linke Gesellschaftstheorien und schafft einen Überblick über die komplizierte Beziehung linker Theorie und Kunst.

MALMOE: Die Linke und die Kunst hat einige positive Aufmerksamkeit bekommen. Wie kam das Feedback bei dir an?

Jens Kastner: Das war natürlich sehr erfreulich. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass der Anspruch einen Überblick zu schreiben über so ein Riesenthema wie der Zusammenhang von die Linke und die Kunst, den ich in dem Buch formuliert habe, gewürdigt wurde. Jeder der Begriffe ist ja schon wahnsinnig erklärungsbedürftig. Es wurde in verschiedenen Besprechungen hervorgehoben, dass der Anspruch auch mehr oder weniger erfüllt worden sei und damit eine Lücke gefüllt wurde. Es ging ja wirklich darum, nicht die hundertste Abhandlung zur marxistischen Ästhetik vorzulegen, sondern einen Überblick über das Kunstverständnis in ganz unterschiedlichen linken Strömungen von Marx und Engels angefangen über den Anarchismus, den Feminismus bin hin zu poststrukturalistischen und postkolonialistischen Theorien der Gegenwart zu schreiben.

Du hast dich schon viel mit linken Bewegungen und linken Kämpfen beschäftigt – warum jetzt ein Buch mit Fokus auf linke Theorie?

Es ist auch eine Reaktion auf meine Arbeit in den letzten Jahren, die sich stark auf die Bewegungsfrage konzentriert hat. Auf der einen Seite gibt es das große Problem, dass viele der theoretischen Ansätze diesen Zusammenhang zwischen Kunst und sozialen Bewegungen total ausblenden. Soziale Bewegungen kommen im Mainstream der Kunstgeschichte oder Kunstphilosophie überhaupt nicht vor. Auf der anderen Seite gibt es die Bücher, Aufsätze und Ansätze, die sich mit diesem Zusammenhang befassen. Da wird dann aber das Ineinandergreifen und das sich gegenseitig Befruchtende als das Selbstverständlichste der Welt gesehen. Dem wollte ich eine dritte Perspektive entgegensetzten, um zu sagen: „Ja, es gibt den Zusammenhang zwischen Kunstproduktion und sozialen Bewegungen, aber der ist alles andere als selbstverständlich und deshalb muss man ihn auch in dieser Nicht-Selbstverständlichkeit begreifen.“ Und das habe ich versucht, in meinem anderen, auch 2019 erschienenen Buch („Kunst, Kampf und Kollektivität. Die Bewegung Los Grupos im Mexiko der 1970er-Jahre“, im Verlag Walter Frey erschienen) auszuführen.

Für Die Linke und die Kunst war der Gedanke ausschlaggebend, dass Theorie für jede gesellschaftliche Praxis – insbesondere natürlich linke Praxis – eine wichtige Voraussetzung ist.

Ist das Buch auch eine Reaktion auf eine gewisse Theorievergessenheit junger Kunstschaffender?

Nein, ich nehme das ganz anders wahr. Zumindest an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo ich unterrichte, nehme ich bei den Studierenden ein ganz großes Interesse an Theorie wahr. Es gibt ein starkes Begehren nach Kategorisierung, Einordnung, Historisierung von Kunst und des Denkens über Kunst – nach all dem, was Theorie leisten kann. Insofern ist das tatsächlich eher eine Reaktion auf dieses Begehren, was ich in meinem Alltag an der Akademie mitkriege, also eher auf Versessenheit als auf Vergessenheit. Es ist ja auch kein Buch über Kunsttheorie, sondern eher der Versuch, die Frage zu beantworten, welche Rolle die Kunst eigentlich in linker Gesellschaftstheorie spielt. Es geht um die Frage, was linke Gesellschaftstheoretiker_innen zur Kunst gesagt haben. Als Soziologe habe ich hier einen bestimmten Zugriff auf das Thema, der ein anderer wäre, als wenn ich Philosoph oder Historiker wäre. Ich habe allerdings versucht, eine gewisse Distanz auch zu meiner eigenen Disziplin herzustellen und nicht nur Kunstsoziologie oder die gesellschaftstheoretischen Ansätze in den Vordergrund zu rücken, die mir in der Kunstsoziologie am nächsten stehen.

Das Buch basiert auf einer Vorlesung. – Beide sind Vermittlungsformate, die verschieden funktionieren. Worin siehst du konstruktive Unterschiede?

Eine Vorlesung ist viel direkter. Viel mehr dynamischer Austausch und Kommunikation sind möglich, Fragen und Antworten, aus denen sich Denken weiterentwickeln kann. Das hat Vor- und Nachteile. Das Buch ist eine relativ statische Form, die ja nicht nur beschreibt und aufschreibt, sondern auch festschreibt. Der Vorteil des Buches gegenüber der Vorlesung ist natürlich, dass da ganz andere Leute, als die Studierenden an der Akademie, erreicht werden können.

Dein Buch kommt vollständig ohne Abbildungen aus. Das ist ungewöhnlich für eine Abhandlung über bildende Kunstwerke.

Keine Bilder mit ins Buch zu nehmen, war tatsächlich eine bewusste Entscheidung, weil ich sonst einzelne Arbeiten viel zu stark gewichtet hätte. So ein Buch hat immer nur eine gewisse Kapazität für Bilder. Außerdem ist auch der Bezug auf Bilder bei den Theoretiker_innen, die ich behandle, sehr unterschiedlich. Mal hat das Bild eine große Bedeutung und leitet, wie etwa bei Michel Foucaults Die Ordnung der Dinge, das ganze Paradigma ein und mal sind es nur so dahingesagte Anmerkungen zu einem Gemälde. Es wäre wirklich schwierig gewesen, einigermaßen konsistente Kriterien zu entwickeln, um die Frage zu beantworten, welches Bild kommt jetzt rein und welches nicht. Ich glaube, dass die Niedrigschwelligkeit letztlich trotzdem gegeben ist, auch wenn keine Bilder drin sind. Vielleicht ist es aber auch ein Spiegel dessen, wie komisch letztlich Theoretiker_innen mit Bildern umgehen. Ich habe mich bemüht, jedes Kapitel mit der Beschreibung konkreter Bilder oder künstlerischer Arbeiten zu beginnen, die in den Theorien eine Rolle spielen. Und oft ging das gar nicht, weil die Leute sehr allgemein über Kunst schreiben: „Die Kunst kann…“, „Die Kunst ist…“, „Die Kunst soll…“ Und nicht sagen, was sie konkret eigentlich meinen. Insofern ist es auch Ausdruck dessen, was der Gegenstand, die Gesellschaftstheorie, hergibt.

Eingangs bemängelst du die fehlende begriffliche Differenzierung von Kunst in unterschiedlichen Theorien, gleichzeitig beziehst du dich konkret auf Drag Performances (Butler) oder Theater (Brecht/Lukács). Es gibt demnach einen Widerspruch zwischen deiner Kritik an diesen Theorien und deinen Beispielen im Buch.

Ich sehe das nicht als Widerspruch. Der Preis eines Überblicks ist natürlich der, dass eine gewisse Unschärfe reproduziert wird. Also das ahistorische und das vereinheitlichende Moment der Kunstbegriffe, was sich oft in der Theorie findet. Ich konnte das im Einzelnen nur ansatzweise kontextualisieren oder hinterfragen.

Deinem Buch nach scheint es so, als wäre die Vermittlung und die Rezeption der Kunst für linke Gesellschaftstheorien nicht sehr relevant?

Einerseits würde ich sagen, es ist, abgesehen von den kunstsoziologischen Ansätzen, die das stärker fokussieren, immer wieder eine Leerstelle. Oder es ist keine Leerstelle, wie etwa bei bell hooks, wird dann aber nicht systematisch, sondern sporadisch behandelt. D.h. es wird immer mal wieder gefordert: „Wir müssen uns Kunst selbst aneignen“, aber mehr wird dazu dann nicht gesagt. Andererseits habe ich schon versucht, die Rolle von Kunstvermittlung und Rezeption einzufangen, das hätte man, und das gestehe ich zu, noch stärker fokussieren können.

Läuft so ein Überblick nicht Gefahr, den Kanon eurozentristischer Kunst- und Theoriegeschichte zu reproduzieren?

Indem man einen Überblick schreibt, reproduziert man notwendigerweise hegemoniale Positionen. Ich glaube aber, dass Ansätze wie Postoperaismus und dekolonialistische Theorie, die ich ja auch verhandele, alles andere als kanonisiert sind. Schaut mal, welche Bücher von den Hauptvertreter_innen des Operaismus, wie Mario Tronti, ins Deutsche übersetzt sind. Ich finde das längst nicht so eindeutig. Ich habe mich bemüht, auch Ansätze zu rezipieren, die in anderen, noch enger an kanonischer Geschichtsschreibung orientierten Werken nicht vorkommen. Beispielsweise kommt die bolivianische Soziologin Silvia Rivera Cusicanqui in meinem Buch vor, dafür der marxistische Philosoph Ernst Bloch nicht. Das sind Verschiebungen, die ich bewusst vornehme.

Was ist für dich persönlich gute linke Kunst?

Auf der einen Seite könnte vielleicht gesagt werden, dass das Links-Sein von Kunst den gleichen Ansprüchen genügen muss, die auch das Links-Sein von Theorie zu erfüllen hat. Erstens die Denaturalisierung des Sozialen und zweitens, dass sie mittels ihrer selbst in dieses Soziale eingreift. In bestimmten historischen Kontexten können bestimmte Arten und Weisen, künstlerisch zu produzieren, links sein.

Ich habe das in einem Text zur Frage, ob es anarchistische Kunst gibt, einmal durchgespielt. Es gibt natürlich Kunst, die anarchistischen Inhalten nahesteht, die Formfragen, die auch im politischen Anarchismus auftauchen, aufgreift, oder es gibt Kunst von Anarchist_innen. Aber das alles – Thema, Motiv, Form, Intention der Autorin_des Autors – sind keine hinreichenden Kriterien für anarchistische Kunst. Und das Gleiche gilt meiner Ansicht nach für linke Kunst. Picasso etwa war jahrzehntelang Mitglied der kommunistischen Partei. Ist ein Picasso-Gemälde deshalb kommunistische Kunst? Nein.

Kann ein Kunstwerk ohne Intention, quasi aus Versehen links sein?

Ich glaube schon, aber ich glaube nicht, dass das die Regel ist. Auch wenn Jacques Rancière das zum Beispiel anders sieht. Der tut ja gerade so, als würde das ständig passieren und dass gerade dann, wenn es keine Intention gibt, das Emanzipatorische, das Linke in der Kunst aufpoppt.

Aus Versehen links wäre ein guter Titel für ein Punk-Album! Siehst du gegenwärtige Bewegungen, die politische und künstlerische Überlegungen zusammendenken und praktizieren?

Ich glaube nicht, dass Kunstproduktion, soziale Bewegungen und linke Theorie automatisch zusammenhängen. Trotzdem gibt es diese Zusammenhänge spätestens seit den 1850er-Jahren. Ein Beispiel, wie gegenwärtige Bewegungen und künstlerische Formen zusammenhängen, ist die feministische Intervention, Un violador en tu camino [Der Vergewaltiger bist du]. Diese Performance chilenischer Feministinnen, die gegen Gewalt an Frauen und Feminizide auf die Straße gehen. Die Performance verbreitete sich rasant über das Internet und wurde in allen möglichen Ländern immer wieder adaptiert.

Würde ein Sammelband zum Thema Die Linke und die Kunst erscheinen, welches Kapitel würdest du schreiben?

Ich würde die materialistische Kunstsoziologie nochmal stärker in den Vordergrund rücken. In meinem Buch habe ich mich sehr zurückgenommen, was meine eigene Haltung angeht. Die Errungenschaften von Leuten wie Raymond Williams oder auch Pierre Bourdieu haben sich meiner Meinung nach immer noch nicht angemessen durchgesetzt.

Jens Kastner (2019): Die Linke und die Kunst, Unrast Verlag, Münster