MALMOE

Die Pandemie als Schneewittchen-Spiegel

Feministische Ökonomie #12

Wie in der Corona-Krise vielfach angesprochen, wirkt die Pandemie wie ein Schneewittchen-Spiegel für bestehende globale Problemlagen: Der neoliberale Rückbau von Sozialsystemen wird durch die Vulnerabilität der systemerhaltend Arbeitenden – säuberlich intersektional nach race, class, gender organisiert – deutlich:  Die Pflegetätigkeiten erfolgten unter horrenden Arbeitsbedingungen. In den kaputtgesparten Gesundheitssystemen Italiens, Spaniens, Frankreichs, Großbritanniens und der USA wurde das Krankenhauspersonal oft schutzlos zu den Covid-19 erkrankten Patient*innen geschickt. Die notdürftig mit Müllsäcken und selbstgebastelten Schutzmasken ausgestatteten Helfenden machten fast zehn Prozent der Erkrankten z.B. in Italien aus und sie verstarben auch in hohem Ausmaß. Im britischen Gesundheitssystem sind traditionell vierzig Prozent der Ärzt*innen und zwanzig Prozent der Krankenpflegenden BIPOC*-Personen, in London sind es 67 Prozent des Personals im Sozialwesen. Die feministische Ökonomie fordert seit Jahrzehnten Pflegeleistungen mit entsprechend hohen Löhnen und sozialer Anerkennung zu kompensieren, statt sich auf intrinsische Motive (oder Zwangslagen) in diesen Berufsgruppen zu verlassen.

Institutionalisierter Rassismus bewirkt weiters, dass etwa in den US-amerikanischen Südstaaten rund zwei Mal mehr Afro-Amerikaner*innen an Covid-19 starben, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Die Fallzahlen in der Navajo-Bevölkerung sind so alarmierend, dass befürchtetet wird, dass die Pandemie die dort ansässigen First Nations auslöschen könnte, ähnlich gefährlich ist die Situation für die indigene Bevölkerung im Amazonas. In Europa sind besonders prekär Beschäftigte, zum Beispiel Leiharbeitende in Logistikzentren, Erntehelfer*innen oder Beschäftigte in der Fleischverarbeitung betroffen. In Österreich erfahren Arbeiter*innen und Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss die meisten Kündigungen, während jene mit Matura oder Universitätsabschluss ansteckungstechnisch sicher im Home-Office arbeiteten – wenn auch oft neben Kinderbetreuungspflichten. Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern zeigen, dass es zu einem Großteil Frauen* waren, die die zusätzliche Care-Arbeit erledigten. Die UNO-Frauenorganisation hat den Anstieg der Gewalt gegen Frauen um rund dreißig Prozent in den Privathaushalten während der Shutdowns als „Schattenpandemie“ bezeichnet.

Doch so ein Virus ist, wie von Donna Haraway 1985 in ihrem Cyborg Manifesto beschrieben, nicht nur ein gefährlicher Zeitgenosse, sondern kann uns auch als Vehikel dienen, um unheimliche Zeiten zu überwinden – wie den globalen Kapitalismus, manifestiert als Kapitalozän (Finanzialisierung und grenzenlose Akkumulation), als menschendominiertes Anthropozän und als Nekrozän (ein System, das Extinktion fordert). In diesem Sinne wird das Virus zum Komplizen; es zeigt uns die Notwendigkeit und Ansatzpunkte zum Systemwandel auf. Daraus ergibt sich aus Sicht der feministischen Ökonomie eine lang etablierte To-do-Liste:

1. Wie von Virginia Woolf 1938 proklamiert, soll die geopolitische Organisation der Sozialökonomie nicht auf nationalen, sondern lokalen, überregionalen oder globalen Organisationsformen beruhen: „As a woman I have no country. As a woman I want no country. As a woman my country is the whole world.“ Entscheidungsprozesse erfolgen abseits von kapitalgesteuerten Mehrheitswahlsystemen.

2. Die mittlerweile uralte Forderung der ersten Frauenbewegung nach gleichem Lohn für gleiche (und gleichwertige) Arbeit wird mittels Neubewertung, Aufwertung und Neuverteilung von sozialer Arbeit und „systemerhaltender“ Arbeit als auch der Abwertung von nicht-nachhaltiger, zerstörerischer Arbeit eingelöst.

3. Eine Neubewertung von (Care-)Arbeit ist durch ein begleitetes Grundeinkommen, das nicht nur Geld, sondern soziale Unterstützung beinhaltet, umgesetzt, und umfasst berufliche Verwirklichung, Sorge um sich selbst und andere (Reproduktion) als auch die Gestaltung von Gesellschaft und Politik.

4. Eine holistischere, soziale Ordnung entsteht durch eine bewusste Entscheidung gegen die Privilegierung der privaten Organisation in Kernfamilien, den Split in Öffentlichkeit/Privatheit gegen das vom Egoismus getriebene Homo Oeconomicus-Modell.

5. Die Aufhebung der Trennung von Urbanität und Landwirtschaft ermöglicht die Schaffung (globaler) Commons und die Auflösung von Privateigentum insbesondere an Land, Anbauflächen, Rohstoffen, Wasser, Luft. Gemeinschaftlich organisierte Landwirtschaft erlaubt die Kooperation lokaler Verbraucher*innen mit Partner-Landwirt*innen, die durch Permakultur natürliche Ökosysteme und Kreisläufe schaffen.

6. Ein konsequenter Umstieg auf nachhaltige Rohstoffe und Energiegewinnung bedingt auch das Auslaufen und den Clean-Up der bestehenden Minen und Förderstellen, insbesondere Fracking einhergehend mit radikalem Energiesparen.

7. Der Marie Kondo-Ansatz eines Declutterings von Commodities erfolgt bereits vor der Güterproduktion über die Reduktion eines Großteils der Herstellung und einer Umstellung auf nachhaltige Produkte.

8. Vermögensungleichheiten werden beseitigt durch Vermögenssteuern, schonungslose Reparationsleistungen bzw. Investitionen in Bildung, Gesundheit, Pflege, Soziales- und Wohnen für Verlierer*innen von Kolonialismus, Globalisierung, Rohstoffkriegen und Klimawandel, als auch die aktive Wiederherstellung zerstörter Umwelt, Aufforstung, Entgiftung, Rückbauten etc. durch die Verursacher.

9. Daran anschließend erfolgt ein Auslaufen von spekulativen Finanzmarktelementen wie Leerverkäufen, Hochfrequenzhandel und Termingeschäften durch jährlich steigende Finanztransaktionssteuern, die dezidiert nur dem Klimaschutz bzw. Reparationsleistungen zugutekommen.

10. Eine feministische Geldtheorie erlaubt eine Neukonzeption von Geld, bzw. der Funktionen von Geld, denn, wie Alice Walker 1991 feststellte: „we alone can devalue gold by not caring whether it falls or rises on the market place“.