Eigentlich hatten wir von MALMOE vor, ein Doppelinterview mit Niki und Frank zu machen, zwei unserer Redakteur_innen. Was sie vereint ist, dass sie Kinder zu Hause haben und sich ihr Alltag durch Covid-19 fundamental geändert hat. Die Lohnarbeit rannte einfach weiter, nur von zu Hause aus, und die reproduktive Arbeit kam grenzenlos dazu. Tagsüber Kids in viel zu kleinen Wohnungen bespielen und nachts arbeiten. So dystopisch, dass es für dieses Szenario nicht mal literarische Referenzen gibt. Knapp eine Stunde vor unserem ausgemachten Interviewtermin ruft mich Frank aufgewühlt an und berichtet, dass beide Kindergartenbetreuerinnen Covid-19 Verdachtsfälle sind. Sein Kind läuft jetzt unter K1 (als Bezeichnung für eine Person, die direkten Kontakt mit einem Verdachtsfall hatte). Das finale Testergebnis steht noch aus, jetzt heißt es hoffen, dass sich die Symptome doch nur als banale Erkältung rausstellen. Neben dem gravierenden Einschnitt scheint dieses Szenario ein Vorgeschmack auf den Herbst zu sein: Dezentraler Umgang mit Verdachtsfällen, also sollen bei Symptomen lokal Lockdowns angeordnet werden, bis die Fälle evaluiert sind. So sprachen wir nur mit Niki.
Servus, ich bin Niki und arbeite 30 Stunden bei einer entwicklungspolitischen NGO in Wien. Und mache darüber hinaus immer viel. Bei MALMOE bin ich schon seit 7 Jahren. Spiele aktiv Fußball und trainiere selbst Teams. Auch wenn ich formal drei Wochen Sonderurlaub hatte und von der Arbeit freigestellt wurde, hatten wir Deadlines für EU-Förderanträge, an denen ich weiterarbeiten musste. Mit meinem vierjährigen Sohn lebe ich allein.
MALMOE: Der Lockdown passierte doch recht plötzlich, wie hast du diese Zeit erlebt?
Niki: Von dem einen Tag auf den anderen war alles anders. Erst hieß es, dass nur Veranstaltungen gestrichen werden, da haben wir alle noch gelacht. Ende der Woche wurde verkündet, dass die Kindergärten und Schulen zumachen müssten. Und auch da habe ich anfangs noch gedacht: Na sicher bringe ich M. Montag in den Kindergarten. An dem Sonntag war dann klar, dass weder Arbeit noch Kindergarten ist, einfach alles weg und total zurückgeworfen als Alleinerziehende auf das Kind. Es waren keine unterstützenden Strukturen mehr da, keine Leute durfte man treffen, keine Großeltern. Nichts. Es gab für dieses Szenario einfach keine Struktur. Da hieß es tagsüber mit M. Zeit verbringen und nachts arbeiten. Wie kann man das organisieren? Es gab eine Riesenperspektivlosigkeit im Bereich Kinderbetreuung. Niemand hat was gesagt, es wurde irgendwie angenommen, dass sich alles irgendwie organisieren würde. Es war ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Es ist auffällig, dass Reproduktionsarbeit so gar nicht von Regierungsseite thematisiert wurde.
Es ist offensichtlich, dass davon ausgegangen wurde, irgendwer macht das schon – und das heißt natürlich, dass das die Frauen schon machen werden. Mittlerweile gibt es da ja auch einige Berichte zu, dass das zu einer extremen Rekonservativierung von heterosexuellen Beziehungen geführt hat. Worüber aber nie geredet wird, das sind die Alleinerzieher_innen. Wenn allgemeiner Anspruch auf drei Wochen Urlaub für alle ist, müsste es für Alleinerziehende z. B. das Doppelte sein. Grundsätzlich gibt es für Alleinerzieher_innen nie irgendwas Besonderes, das Konzept ist vom Staat einfach nicht vorgesehen.
So ein Setting ist doch für eine zwischenmenschliche Beziehung extrem herausfordernd. Wie ging es dir mit M.?
Ja total. Es ist generell so bei Alleinerziehenden, dass man sich nur aneinander abarbeitet. Da hatte ich auch das Gefühl, dass ich ihm ständig auf den Keks gehe. Von Schule ist ja gelegentlich geredet worden, weil Schule als Teil eines Leistungssystems begriffen wrid, bei dem es um Ausbildung geht, um Matura, um Erfolg usw. Von Kindergärten wurde überhaupt nicht geredet, da geht es ja „nur“ um Betreuung. Die eine Frage ist, wie soll man arbeiten, wenn keine Kindergärten offen sind? Die andere ist natürlich, wie geht es den Kindern, wenn sie keine anderen Kinder treffen? Natürlich geht es ihnen schlecht, wenn sie so einen Austausch nicht haben. Zynisch war, dass ab der zweiten Woche immer so lustige Tipps kamen, was Eltern mit ihren Kids machen können. Nett gemeint, aber angesprochen fühlte ich mich nicht. Im Gegenteil, das erhöhte den Druck und ich kam mir ur-schlecht vor, weil ich nicht auch noch Zeit hatte mit M. super Sachen zu basteln. Und blöd vor den Fernseher setzen geht auch nur eine halbe Stunde. Die Rettung war dann irgendwann, dass mir ein Freund sein Auto angeboten hat. Parks waren zu, Spielplätze, Bundesgärten, Öffis, alles zu. Es gab ja nichts. Sachen, die ich sonst immer verachte und wo ich finde, dass die weniger Relevanz im Leben haben sollten, z.B. Eigentum, Auto, Terrassen, eigener Garten etc., haben auf einmal so einen enormen Wert gehabt. Es ist erschreckend, dass mir das alles auf einmal als „gut“ erschienen ist. Und wie ich mich dann auf einmal geärgert habe, dass ich das alles nicht habe. Auf diese konservativen und neoliberalen Werte und Ideen war man auf einmal gezwungenermaßen zurückgeworfen.
Was hättest du dir gewünscht?
Wenn die Kinderbetreuungseinrichtungen zugemacht werden, müssen sie alle Menschen mit Kindern freistellen. Wenn du an dem einen Rad drehst, musst du auch an dem anderen drehen. Es wurde aber an der Arbeit gar nichts geändert, überall gab es einen Lockdown außer bei der Arbeit. Es hätte die Arbeit ausgesetzt werden müssen bei vollem Lohnausgleich, das ist ja nur logisch, du kannst nicht die unterstützenden Strukturen wegnehmen und die Arbeit einfach weiterrennen lassen. Leider gab es kaum kritische Stimmen, die allgemein die materiellen Grundlagen kritisiert haben. Einzelne Bereiche haben aus ihrer spezifisch betroffenen Position gesprochen, etwa der Kulturbereich, und weil es keinen gesamtgesellschaftlichen Aufschrei gab, haben da dann auch wieder die etablierten Vertreter von der Krise profitiert. Einen Aufschrei habe ich vermisst, aber ich selbst hatte ja auch keine Ressourcen, meine Stimme zu erheben. Die Individualisierung passiert ja wirklich, du bist nur auf dich selbst, dein Kind und deine viel zu kleine Wohnung zurückgeworfen.