Poesiealbum Türkis-Grün #2
Das österreichische Stammbuch muss in Corona-Zeiten vermerken, dass die gewählten Volksvertreter*innen nicht ganz „up to the job“ sind. So ist das eben, wenn sich Blender*innen mit Ideologiebefreiten zusammentun.
Gut kommen sie nicht weg, die österreichischen Grünen, die jahrzehntelang den regierenden Sozialdemokrat*innen – aus gutem Grund – vorwarfen, sich von der ÖVP überrumpeln zu lassen. Jetzt sehen wir die grüne Vorgehensweise klarer: von links kritisieren, um dann an der Macht rechts zu überholen. Ein Trauerspiel.
Postideologie fürs Klima
Es war ein Moment, in dem man die miese Laune des Wiener SPÖ-Bürgermeisters Michael Ludwig gut nachvollziehen konnte, als es aus den grünen Pressestellen hieß: Der erste Bezirk Wiens, die Innere Stadt, wird künftig „autofrei“ sein (was er de facto nicht sein wird, denn der Appendix mit Ausnahmen zur Regelung ist lang). Die Pointe: Das Projekt dealte die grüne Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein nicht mit dem roten Koalitionspartner, sondern mit dem Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl von der ÖVP, aus. Die SPÖ hatte beim ersten grünen Coup des Wien-Wahlkampfes nichts mitzureden. Zu Recht konnte man da fragen: türkis-grünes Teamplay also jetzt auch in der roten Hochburg? Oh, nicht doch, meinte Hebein im Morgenjournal von Ö1, denn „Abgase haben kein Parteibuch und die Maßnahmen dagegen auch nicht“. Ein peinlicher Versuch, mittels einer Floskel im Whataboutism-Stil von den Tatsachen abzulenken. Erstens verfügt nichts und niemand außer Mitgliedern einer Partei über ein Parteibuch, somit ist Hebeins Aussage kein Argument, sondern postideologischer Schmonzes; und zweitens, die Grünen stellen die Weichen für die Zukunft, wenn die SPÖ auch in Wien abgeschmiert haben wird.
Bund vs. Wien
Während der landesweiten Ausgangsbeschränkungen verfügte Tourismus-Ministerin Elisabeth Köstinger, dass in Wien die Bundesgärten geschlossen bleiben müssten, um kein „falsches Signal“ an die Bevölkerung zu senden. Diese musste sich also außerhalb der Mauern von Augarten und Schönbrunn am schmalen Gehsteig drängen. Geöffnet wurden schließlich sicherheitshalber auch nicht alle Tore und die schmalen Durchgänge meist von Parksheriffs blockiert, die die Menschen beim Abstand halten kontrollieren sollten. Als im Mai vermehrt Ansteckungsfälle in Postverteilzentren und Leiharbeitsfirmen in Wien und Niederösterreich bekannt wurden, verschärfte sich der Ton zwischen Bund und Wien, speziell zwischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Nehammer richtete eine Mahnung an die Stadt Wien, diese möge sein „Hilfsangebot“ annehmen und verstärkt Polizei im Kampf gegen Corona einsetzen, um Menschen in der Quarantäne zu überwachen. Ob dies heißen sollte, scharfsinnig-kriminalistisch Infizierte aufzuspüren oder vielleicht auch einfach wie das Bundesheer Pakete zu verteilen, man weiß es nicht so genau. Hacker, der den Innenminister in Gesundheitsbelangen nicht für zuständig hält, ließ ausrichten, man könne das Virus leider nicht einfach an der Grenze erschießen.
Interdisziplinäre Analyse einer Handschrift
Zwei Tage vor der Regierungsklausur im Bundeskanzleramt fragte Der Standard den grünen Vizekanzler Werner Kogler, ob seine Partei „da endlich Kante zeigen“ wolle. Den impliziten Vorwurf, sie hätte dies bisher nicht getan, überhörte Kogler geflissentlich. „Meine Prognose ist“, tönte er, „das Sozialpaket wird eine starke grüne Handschrift tragen“. Nun ja, nach Beendigung der Klausur war man landauf, landab gegenteiliger Meinung, nämlich dass sich die ÖVP einmal mehr durchgesetzt habe. So erhalten alle Arbeitslosen im September eine staatliche Zuwendung über 450 Euro. Um Arbeitslosen nachhaltig durch die Krise zu helfen, wäre gegenüber dieses ach so gnädigen einmaligen Kaufkraftimpulses eine permanente Anhebung des Arbeitslosengeldes weitaus sinnvoller. Für solch eine Einsicht muss man nicht VWL studiert haben. Aber spätestens in seinen Memoiren wird sich Kogler zu rechtfertigen wissen: Leider waren die Türkisen mal wieder nicht zu mehr Kulanz bereit. Am Ende bleibt es also dabei, dass die Handschrift des Regierungsskripts genau so grün ist, wie es die ÖVP haben will.
Schweifen wir ein wenig ab und machen uns weitere Gedanken zur Metapher der Handschrift. Der interdisziplinäre Zugang aus Politikwissenschaft und Farbenlehre birgt hier brisante Thesen. Türkis entsteht ja aus der Kombination der Farben Grün und Blau. Und Blau kennzeichnet bekanntlich die FPÖ. Ein Schelm, wer sich da die Verschwörungstheorie ausheckt, die Riege um Sebastian Kurz lasse blaue Inhalte mit grüner Farbe niederschreiben, um am Ende im prächtigen Türkis zu erstrahlen.
Ibiza-Video, die x-te
Es ist ja leider kompliziert. Ermittler finden das Ibiza-Video in seiner ganzen, vermutlich schönsten Länge. Bundes-Kriminaler melden es sogleich brav dem ÖVP-Innenminister und der denkt sich halt, die Staatsanwaltschaft würde dies auch der grünen Justizministerin mitteilen – weil, warum nicht? Irgendwie geht das doch so. Die erfährt aber – surprise, surprise – erst einen Monat später vom Fund des Videos durch die Medien. Wir dürfen festhalten, dass grüne Ministerin und türkiser Minister entweder einen Monat lang überhaupt nicht miteinander reden oder aber ergiebigere Themen haben als den größten Skandal der letzten Jahrzehnte, der eine Regierung zum Platzen brachte und erstmals einen Kanzler per Misstrauensantrag abservierte. Die spannende Frage: Was wären dann diese noch brisanteren Themen? Themen, die dann die reibungslose, kollegiale, vorausschauende und stets aufs Wichtigste konzentrierte Arbeit der beiden Ministerien belegen würden. Ein bisschen unwahrscheinlich, dass es diese Themen überhaupt gibt. Die simple Antwort ist daher, dass es der ÖVP schlicht völlig egal ist, was die Grünen wissen, da man ohnehin nie vorhatte, mit diesem Koalitionspartner zu koalieren.
Wider den Bluthochdruck der Linken
Beim Dreschen auf die Grünen kann man sich meist nur kurz abreagieren, bevor der Blutdruck schnell wieder steigt; nämlich sobald der nächste Beweis folgt, wie galant sich die Grünen in den Herrschaftsapparat schmiegen oder sie, wie das Beispiel Sigi Maurer par excellence zeigt, innerhalb weniger Wochen ihr politisches Rückgrat verpfänden. (Dafür brauchte die Sozialdemokratie einige Jahrzehnte.)
Klar, es hat nach der letzten Wahl eh niemand geglaubt, dass die Grünen als Junior-Koalitionspartner mit kleinen Handgriffen pfiffig und zielstrebig das verrostete Gerüst des Staates Österreich zerlegen. Und trotzdem war in den letzten Monaten oft zu hören, dem Land sei die „realpolitisch wichtigste linke Kraft“ abhandengekommen.
Diese Ansicht verkennt, dass die Grünen durch ihre Regierungsbeteiligung nicht weniger progressiv wurden. Sie sind es genauso wenig wie zuvor. Sie wollten Verantwortung für Österreich übernehmen – sie tun es, indem sie Sebastian Kurz bei Ausbau und Verzierung seines Thrones behilflich sind. Auf ihre pure Feigenblattfunktion angesprochen, verteidigen sie sich, indem sie auf die „grüne Handschrift“ (siehe oben) bei diesem und jenem Projekt hinweisen – als ob sie sich selbst daran glaubend machen müssten.
Die Grünen sind nicht weniger progressiv als vorher, sie mögen höchstens für einen Teil ihrer Klientel weniger authentisch wirken. Weil mittlerweile offenkundig ist: Die Grünen sind ein Fähnchen im Wind wie jede andere Partei. Vor zwei Jahren plakatierten sie: „Im Kern ist Kurz ein Strache“, um sich als Fundamentalopposition zu gerieren. Nun verkaufen sie ihrer Anhängerschaft ihre Regierungsbeteiligung nach dem Credo: „Schaut’s, mit dem Kurz kann man eh reden, und wenn’s wir nicht machen, dann macht’s die FPÖ.“ Kurzum, die Slogans der Grünen sind mehr von der politischen Großwetterlage und dem Arbeitseifer kecker PR-Abteilungen abhängig als von politischen Überzeugungen.