Prof. Magdalena Nieslony ist Professorin für Kunstgeschichte an der Uni Wien. Im vergangenen Semester unterrichtete sie als Gastprofessorin an der HU Berlin. Coronabedingt lehrte sie ausschließlich digital und betreute Studierende sogar bei Abschlussarbeiten, ohne sie ein einziges Mal persönlich getroffen zu haben.
MALMOE: Frau Nieslony, man könnte meinen, dass die Umstellung auf das digitale Arbeiten in einer so theoretischen Wissenschaft wie der Kunstgeschichte weniger problematisch ist als in anderen wissenschaftlichen Bereichen. Stimmt das?
Nieslony: Kunstgeschichte erhebt zwar oft einen theoretischen Anspruch und künstlerische Pro-duktion steht dem in nichts nach. Die Arbeit der Kunsthistoriker*innen beginnt aber im besten Fall mit der Betrachtung von physischen Objekten oder Situationen, von Kunst oder von anderen visuellen Artefakten (sogar digitale Bildlichkeit ist letztlich materiell bedingt). Dabei betätigen wir nicht nur unser Gehirn, sondern unabdingbar auch unsere Sinne, unseren Körper. Den in der Frage anklingenden Zweifel würde ich also gerne bestätigen: Ich finde das rein digitale Arbeiten auch in einem Fach wie Kunstgeschichte hochgradig problematisch. Zwar unterrichten wir auch im Normalbetrieb oft mithilfe von digitalen Abbildungen und können nicht immer die von uns thematisierten Objekte im Original studieren; wir versuchen aber gezielt, bei Studierenden das Bewusstsein für den Unterschied zwischen physisch Vorhandenem und medial Vermitteltem zu entwickeln und wach zu halten. Dafür gibt es nicht nur im Curriculum fest installierte Lehrformate wie Exkursionen und Übungen vor Originalen; ich selbst halte wo es nur geht einen Teil meiner Seminare in Ausstellungen. All dies war im digitalen Sommersemester 2020 nicht möglich und ist meines Erachtens vor allem bei jüngeren Studierenden ein großer Verlust. Zudem basieren kunsthistorische Seminare auf dem lebendigen Gespräch und den daraus gewonnenen Einsichten, was sich nur teilweise in Videokonferenzen erreichen läßt. Ich vermisse die persönlichen Begegnungen mit den Studierenden: In ein paar Wochen werde ich mich – leider – wahrscheinlich kaum an die Briefmarken-kleinen Gesichter auf dem Bildschirm erinnern können.
Wer hat Ihrer Meinung nach im universitären Kontext am stärksten die Auswirkungen des Lockdowns zu spüren bekommen? Wie gehen die Betroffenen damit um? Gibt es unter-stützende Strukturen oder ist jede_r auf sich allein gestellt?
Das ist für mich schwer zu beurteilen. Eltern von kleineren Kindern haben es sicher sehr schwer, das habe ich bei Kolleginnen und Kollegen mitbekommen, aber es betrifft auch einen Teil der Studierenden. Das Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, an dem ich zurzeit tätig bin, versucht gerade die Situation der Eltern in dieser besonderen Lage zu er-leichtern, indem es den Lehrenden und Studierenden ein hohes Maß an Flexibilität zuspricht. Mir scheint es stark von den einzelnen Personen in leitenden Positionen abhängig zu sein, was an einer Institution möglich ist. Zudem betreffen einige Probleme fast alle Studierende und viele Lehrende: Das Fehlen geeigneter, ruhiger Arbeitsplätze, mangelnder Zugang zum Arbeitsmaterial und kaum vorhandener Austausch setzen vielen von uns zu. Ich selbst habe kein Arbeitszimmer in meiner Wohnung: Bisher habe ich immer in meinem Büro oder in einer Bibliothek gearbeitet; jetzt versuche ich, zum Teil sehr mühsam, mich an die Arbeit an einem Schreibtisch in meinem Wohzimmer zu gewöhnen, während mein Mann stundenlang keinen Zutritt dazu hat… Ich kann insofern die Nöte vieler Studierenden zumindest in dieser Hinsicht nachvollziehen, wenn auch meine Lage viel komfortabler ist als diejenige vieler Studierender, die oft auch noch von ökonomischen Sorgen geplagt sind.
In der vergangenen Zeit war auch der Slogan „Krise als Chance“ vermehrt zu hören. Können Sie damit etwas anfangen und sogar etwas Positives aus den vergangenen Monaten ziehen? Ist die digitale Universität ein Zukunftskonzept?
Es wäre schön, wenn wir alle etwas aus dieser Zeit lernen würden. Ein, zwei Dinge möchte ich mir schon merken, zum Beispiel, auf wie viele Aktivitäten ich mit Gewinn verzichten kann, oder wie gut eine langsamere Arbeitsweise tut; aber auch ganz pragmatisch: wie fruchtbar studentische Arbeit in Kleingruppen als Vorbereitung für die gemeinsamen Seminarsitzungen ist. Insgesamt bin ich aber eher pessimistisch, was die Chancen der Krise anbetrifft. Ich befürchte vielmehr, dass das digitale Experiment, das für die Universitäten beträchtliche Senkung der Betriebskosten bedeutet, tatsächlich zum Zukunftsmodell werden könnte. Der Verbrauch von Strom, Drucker-patronen, Papier, all möglichen Geräten, Wasser und vieles mehr wurden in diesem Semester an den Universitäten minimiert… Die Versuchung wird sicher groß sein, die so erfahrenen Sparmöglichkeiten nicht auch weiterhin auszuschöpfen. Meiner ersten Antwort können einige Gründe entnommen werden, weshalb ich eine solche Entwicklung nicht begrüßen würde.