Eine politische Biografie Erich Mühsams ist beim Verbrecher Verlag erschienen und erzählt eine kurze Geschichte der Münchner Räterepublik
Erich Mühsam (geboren 1878 in Berlin, ermordet 1934 im KZ Oranienburg) war Schriftsteller und Dichter und gilt bis heute als bekanntester deutscher Anarchist. Nicht nur seine beißende Kritik am mangelnden Revolutionsgeist, die er mit Der Revoluzzer der deutschen Sozialdemokratie in Versform ins Stammbuch schrieb, auch einer seiner kürzesten Verse ist in Erinnerung geblieben: „Sich fügen heißt lügen.“
Der Verbrecher Verlag aus Berlin beschäftigt sich seit 2010 mit der Herausgabe seiner Tagebücher, die seit 2019 als fünfzehnbändige Gesamtausgabe vorliegen. Im selben Verlag hat nun Markus Liske aus politischen Texten, Flugblättern und Auszügen aus der privaten Korrespondenz eine politische Biografie Mühsams zusammengestellt. Zwischen den repräsentativen Originaltexten kommentiert und ergänzt Liske sparsam die zum Verständnis notwendigen historischen Hintergründe. Aus dieser Mischung entwickelt sich ein differenziertes Porträt eines wahren Bohémiens und ausschweifenden Hedonisten der Jahrhundertwende, der als Sohn eines jüdischen Apothekers in Lübeck aufwuchs. In seiner Jugend politisiert sich Mühsam bei langen Spaziergängen am Berliner Müggelsee mit Gustav Landauer. Danach wendet er sich bald der Lebensreformbewegung zu (über deren Essgewohnheiten er in Der Gesang der Vegetarier frotzelt), und der sexuellen Befreiung, über deren Ausgestaltung er detailliert in seinen Tagebüchern berichtet. Er wählt ein Vagabundenleben, das ihn auf zahlreiche Reisen und in Kontakt mit Größen seiner Zeit wie Gustav Meyrink, Else Lasker-Schüler, Rainer Maria Rilke oder Ret Marut (B. Traven) bringt. Er reüssiert als Agitator, findet Anerkennung als Kabarettist und Dichter und gründet 1911 in München die Zeitschrift Kain als sein persönliches Sprachrohr. Zuvor stand er wegen „Geheimbündelei“ vor Gericht und fand deswegen kaum noch Möglichkeiten, in der bürgerlichen Presse zu publizieren.
Liske legt einige Ambivalenzen in Mühsams Leben offen: Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kann er sich dem patriotischen Taumel nicht ganz entziehen. Seine Erklärung im Kain mit dem Satz: „Aber ich weiß mich mit allen Deutschen einig in dem Wunsche, dass es gelingen werde, die fremden Horden von unseren Kindern und Frauen, von unseren Städten und Äckern fernzuhalten“ halten ihm seine anarchistischen Kamerad*innen jahrelang vor. Auch seine vorübergehende KPD-Mitgliedschaft und seine jahrelange Unterstützung der KP-dominierten Roten Hilfe muten vielleicht erstaunlich an. Mühsam war aber nie Dogmatiker oder Purist, sondern stets ein Anarchist des Herzens, dem die Tat an erster Stelle stand. Finanziell bleibt er aber Zeit seines Lebens von der Familie seiner Frau Zenzl abhängig, welche ihm Auskommen samt Kuraufenthalten in Frankreich und der Schweiz finanziert.
Im Kern handelt das Buch Mühsams Rolle als Initiator und Anführer der bayrischen Räterepublik ab. Diese konnte sich zwar nur von 7. bis 13. April 1919 behaupten, ihr ging aber eine monatelange wilde Zeit voller Proteste, Forderungen und Machtkämpfe voraus, die mit der Ausrufung des Freistaates Bayern im November 1918 begann. Liske stellt diese Auseinandersetzungen zwischen den Arbeiter*innen- und Soldatenräten und den verschiedenen politischen Parteien und Strömungen detailreich vor, eine Entwicklung, die schließlich in der Ausrufung der Räterepublik und deren schneller Niederschlagung kulminiert. Sechs Tage im April würdigt Erich Mühsam vor allem als Politiker und Revolutionär, führt durch zeitgenössische Debatten der Münchner Bohème und macht so das interessanteste Ereignis in der gesamten bayrischen Geschichte durch authentische Texte zugänglich.
Markus Liske (2019): Sechs Tage im April. Erich Mühsams Räterepublik. Verbrecher Verlag, Berlin.