Die englische Königsfamilie ist ein Medienphänomen. Sie wurde für Zeitung und Fernsehen erfunden und hat ihr Leben für diese zu führen. Die aktuellen Ausbruchsversuche von Prinz Harry und Meghan Markle sind zwar beachtlich, aber wenig aussichtsreich
Schuld ist, wie an so vielem, Rupert Murdoch. Als er in den 1960er Jahren begann, die britische Presse zusammenzukaufen, erkannte er ein Problem: Es gab zu wenig Nachrichten. Die politischen Ereignisse waren höchst überschaubar und eigneten sich wenig zur Auflagensteigerung durch skandalisierende Aufpeitschung. Dem versuchte Murdoch mit der erfolgreichen Einführung des Starsystems beizukommen. Sportler*innen (im Wesentlichen Fußballer*innen), Schauspieler*innen, Models und sonstige wurden zum Gegenstand allgemeinen Interesses erhoben. Und hier insbesondere ihr Privatleben, ihre Skandälchen kleinsten Kalibers und sonstige Fehltritte, wie natürlich auch die „aufrichtige“ Anteilnahme an ihren kleinen Momenten des Glücks. Das Publikum bekam Pseudo-Familienanschluss an seine Stars. Viele von ihnen erkannten damals schnell, welche Möglichkeiten der Eigenwerbung das Murdochsche Starsystem bot, und sprangen bereitwillig aus ihren Schlüpfern.
Für heutige Medienkonsument*innen ist dies schwer vorstellbar, aber kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa keine Stars im heutigen Sinne. In den USA waren sie bereits während des Stummfilms eingeführt worden und wurden dort intensiv von Moralwächter*innen bekämpft. Murdoch wuchs in Australien in klerikalem Umfeld auf. Sein Großvater war eine Art presbyterianischer „Bischof“. Somit entwickelte Murdoch von Kindesbeinen an ein feines Näschen für Schmutz und Schund, denn dies entwickelt sich bekanntlich dort am besten, wo fleißig gegen „Verdorbenheit“ gekämpft wird. Murdoch erkannte, dass das, was seine sittenstrenge Familie ablehnte, ein enormes Potenzial besaß. Der Schund ließ sich lukrativ nutzen, indem Murdoch aus „normalen“ Zeitungen Schmierenblätter für Stars und Sternchen machte.
Es dauerte nicht lang, da kamen die Royals in den Blick der grün-glänzenden Krötenaugen Murdochs. Blitzschnell war der dicke Brummer Windsor verschluckt und es ist nicht ganz klar, ob das „altehrwürdige“ Königshaus bis zum heutigen Tag begriffen hat, was mit ihm geschehen ist. Eine Adelsfamilie eignet sich zwar herrlich für das Brennglas des Schmuddeljournalismus, es entstehen dabei aber zugleich gewisse Missverständnisse.
Woran erkennt man eigentlich eine Queen?
Die „Doppelnatur“ einer Königin oder eines Königs ist nämlich dem natürlichen Bewusstsein des Publikums nicht leicht begreifbar zu machen. Die höfische Etikette erkennt in der britischen Queen bestenfalls einen halben Menschen, der andere unmenschliche und wesentlich wichtigere Teil ist die Wappenträgerin. Die Queen of the United Kingdom and the other Commonwealth realms muss als Queen in einer streng zeremoniellen Weise immer mit sich selbst identisch bleiben. Darüber wachen die Herolde und Wappenkönige der vereinigten Königreiche. Please don’t ask, it’s complicated.
Die wenigen Königshäuser, die das 19. Jahrhundert und frühe 20. Jahrhundert „überlebt“ haben, begriffen, dass sie gerade in der Aufrechterhaltung der archaischen Zeremonien eine gewisse, wenn auch verquere Authentizität und Selbstrechtfertigung erhalten konnten. Deswegen war der Drill wichtig. Niemand glaubte mehr ernsthaft, dass die Königlichen von besonderem Wesen sind (wenn dies je geglaubt wurde), deswegen führten sie sich trotzig wie mittelalterliche Außerirdische auf. Viele der Zeremonien wurden zu diesem Zweck erst im 19. Jahrhundert erfunden, weil die alten schon längst vergessen waren. Die Erziehung verlangt von den Royals, die menschlichen und natürlichen Regungen der Privatperson von früher Kindheit an erbarmungslos zu unterdrücken. Das ist nicht gesund und macht aus ihnen die Freaks, die sie eben sind. Eine solche – von Rechtswegen – komplett kaputte Familie eignet sich aber wiederum ideal zur Ausschlachtung durch die Revolverblätter.
Eine schrecklich nette Familie
Was sollten die Windsors in den 1960ern gegen die feindliche Übernahme durch Murdoch tun? Sie leben zwar ein üppig alimentiertes Leben, sind aber aufgrund der Konstitution Großbritanniens zum Grüßaugust-Dasein verdammt. Bei ihrer „Throne Speech“ zur Eröffnung „ihres“ Parlaments darf die Queen nur vom Blatt lesen, was ihr die/ der jeweilige Premierminister*in aufgeschrieben hat. Wenn es teilweise blanke Lügen sind (wie jüngst im Falle von Boris Johnson), dann kann sie allenfalls eine Augenbraue hochziehen – sagen dazu darf sie nichts. Ihre Rolle als „moralische Instanz“ wird traditionell von den drei Lagern in Großbritannien sehr unterschiedlich wahrgenommen. Es gibt die verfestigten 30 Prozent, die die Queen vergöttern, sich von ihr Schutz und Halt erwarten, Teetassen mit ihrem Konterfei kaufen und bei gewissen Anlässen an der Straße stehen, um Fähnchen zu schwenken. Dann gibt es ein etwa gleich großes Lager an Menschen, die die Queen lächerlich finden, sie verabscheuen und sie lieber heute als morgen abschaffen würden. Diese beiden Lager lesen regelmäßig in den Murdoch-Blättern nach, was sich im Buckingham Palace unter den Bettdecken tut, teils aus Bewunderung, teils aus Abscheu. Das dritte Lager ist etwas größer (40 Prozent), und dem ist die Königsfamilie herzlich egal.
Die besonneneren Royals wissen, dass es um die Familie geschehen ist, sobald die 40 Prozent im Lande sich genügend stark über die Königsfamilie aufregen. Ihre 30 Prozent Hardcore-Fans könnten sie niemals retten. Deswegen musste auf das Angebot Murdochs eingegangen, und ihm die Schlafzimmertüren geöffnet werden. Imagepflege mit Schmierfinken ist allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen. Im Rückblick lässt sich sagen: Es hätte kaum schlimmer kommen können. Die Zeitungen machten aus der ohnehin schon bestussten Familie eine kolossale Freakshow, die ihresgleichen sucht. Prinzessin Margaret, die jüngere Schwester der Queen, war die erste, die lieferte. Scheidung, Affären mit Toy-Boys und Rumgebumse in Hippie-Kommunen. Somit alles, was das Schweineherz Murdochs begehrte. Hierbei geht es immer streng um die Phantasmagorie, also das, was der jungen und später nicht mehr ganz jungen, gutaussehenden Prinzessin angedichtet werden konnte, und viel weniger um das, was sie tatsächlich getan hat. Margaret erstickte an dem Dreck und starb relativ jung im Jahr 2002.
Die Queen reagierte auf das Elend ihrer Schwester mit Härte gegen sich und die Familie. Ihre Kinder zahlten ihr dies heim. Scheidungen, Affären, the full monty. Die Sprösslinge der Queen erschienen eher wie loyale Angestellte des Medienmoguls Murdoch und lieferten brav die „Annus horribilis“ ab. Es war, als spürten sie, dass sie allenfalls in der öffentlichen Form der Lüge eine Art menschliche Authentizität leben konnten. Nur, wirklich lustig ist das alles nicht. Die nackte Gewalt an sich selbst und anderen forderte ihren Tribut. Nur mit Millionenzahlungen konnten beispielsweise die Vergewaltigungen von Dienstpersonal überdeckt werden. Besonders für Außenstehende, die in den Kreis der Familie gelangten, war dies alles kaum mehr erträglich. Fergie, die Frau des zweitältesten Sohns der Königin, Prinz Andrew (genau der, der Kumpel von Jeffrey Epstein, der jetzt vor die Tür gesetzt wurde), benutzte die Murdoch-Medien als Beichtvater, zum Gaudium der Massen. Die zartbesaitetere Lady Di floh außer Landes. Die Medien hinterher. Die Verfolgungsjagd endete tödlich in einem Pariser Tunnel.
Eine neue kaputte Generation
Dianas Söhne William und Harry haben dies der Presse nie verziehen. Sie gehen – mit gewissem Recht – davon aus, dass die Medienmeute ihre Mutter getötet hat.
William versucht den Zeitungen brav zu geben, was diese verlangen, und erhofft sich damit eine gewisse Ruhe. Spätestens die entblößten Brüste seiner Frau, die per Paparazzi-Teleobjektiv eingefangen wurden, dürften ihn eines Besseren belehrt haben. Heute schlägt er sich durch mit Homestorys rund um den „normalen“ Familienvater, der er gar nicht sein kann. Leutselig erklärt er, er könne sich kein viertes Kind vorstellen, weil er endlich wieder nachts schlafen wolle. Der Arme, die Herzen von Millionen Familienvätern und -müttern wehen ihm zu, insbesondere von denen, die nicht wissen, was ein englischer Hof ist. Hier wird für die Zeitung eine Normalität vorgegaukelt, die sicher nicht existiert. Der zukünftige „Black Prince“ darf nämlich beispielsweise laut Hofetikette mit niemandem speisen, der nicht zwei Fremdsprachen beherrscht. (Staatsgäste sind von der Regel ausgenommen). Deswegen haben die noch ungebildeten Kinder des Paares keinen Zugang zum Abendbrottisch ihrer Eltern. Sie unterliegen bereits der strengen Hofdressur, die dafür sorgen wird, dass die Kleinen ihren Eltern genauso entfremdet sein werden, wie diese es von ihren waren.
Prinz Harry suchte mehr den Ausbruch als sein Bruder. Er erschien in Nazi-Uniform auf Partys und schlug auch ansonsten regelmäßig über die Stränge. Murdoch und Co. rieben sich die kleinen Händchen, denn das war genau das, was sie vom sinnlosen zweiten Prinzen erwarteten. Dann erlaubte er es sich und heiratete eine Nicht-Weiße. Zum schmierigen Sexismus der Schundmedien gehört der aggressive Rassismus wie die Fliegen zum Kuhfladen. Die Angriffe nahmen überhand und das junge Paar überzog die Medien mit millionenschweren Klagen. Das Verrückte an dem Royal-Gutterpress-Business ist, dass es immer noch so einträglich ist, dass die Medienhäuser auch millionenschwere Niederlagen zu bezahlen bereit sind. In Summe könnten sich bald eine Milliarde Pfund an Strafzahlungen angesammelt haben. Deswegen wird der aktuelle Kampf so energisch geführt. Die von Murdoch erfundene Schundpresse befindet sich mit den Windsors in einem Rechtsstreit um ihren Besitz: „Die Märchenstory von Harry und Meghan“. Die Zeitungen haben die beiden als Phänomen erfunden und herbeigeschrieben und aus dem Gespinst darf kein Royal aussteigen. Der medial ausgefochtene Streit zwischen Medien und Königshaus ist selbst wiederum publicityträchtig geworden und sichert erneute Einnahmen. Es muss verhindert werden, dass die beiden hübschen Royals sich selbstständig machen und als Super-Influencer um die Welt tingeln. Sie sollen im Klammergriff Murdochs bleiben, und das wird ihm wohl auch gelingen. Der „Hotel California-Effekt“ der Royal-Celebrities: You can check out any time you like. But you can never leave.