Eine Skandalchronik – und ein Plädoyer
Vor über 170 Jahren schrieben Karl Marx und Friedrich Engels der Bourgeoisie zu, revolutionäre Kraft bei der Abschaffung des kirchlichen und weltlichen Adels gewesen zu sein und die Gesellschaft so auf eine neue Stufe des Klassenkampfes zu heben. Doch ausgerechnet in England, klassische Stätte des Kapitalismus, ja, der Ort, wo er sich in seiner reinsten Form beobachten lassen sollte, hat es mit der Abschaffung des Adels nie so ganz geklappt. Während es auf der anderen Seite des Ärmelkanals anständig blutig mit der Guillotine zuging, war man auf der britischen Insel eher damit beschäftigt, sich im Parlament zu streiten, welcher Konfession die Monarch*innen zu sein hatten, und ganz allgemein die Erbfolge immer mal wieder zu ändern. Heute scheint es fast so, als wollten die königlich Bebluteten selbst in die Hand nehmen, was vor 400 Jahren Aufgabe des Bürgertums gewesen wäre, und sich einfach selbst abschaffen.
Die Selbstabschaffung hat so einige Vorteile. Zum einen sollten wir wirklich darüber hinweg sein, Menschen mit einem riesigen Messer an öffentlichen Orten hinzurichten. Also sowohl die großen Messer, als auch die Öffentlichkeit und generell die ganze Hinrichterei, das ist doch nicht schön. Außerdem weg ist weg, da wollen wir mal nicht so sein. Zum anderen bringt das Ganze so viel mehr Tratsch mit sich, und Tratsch ist die Mutter der modernen Kommunikation, des zeitgenössischen Journalismus, ja vielleicht sogar von Sprache überhaupt. Außerdem ist unsere einzige verlässliche Quelle über den Zustand der englischen Monarchie der Boulevard, lesen sich die Bekanntmachungen des Buckingham Palace doch eher trocken und Interpretation der Outfits der Queen ist für Kenner*innen durchaus eine hohe hermeneutische Kunst, für jeden normalen Menschen aber unzumutbar. Es folgt also: Die Selbstabschaffung der Royals – Eine Skandalchronik.
Beginnen wir mit der Krönung von George VI., Vater von unserer geliebten Elizabeth II. Seine Zeit als amtierender König war zwar durchaus von Krisen gekennzeichnet, aber was den Tratsch angeht eher langweilig. Wir ignorieren an dieser Stelle die Nebenarme der Windsors und springen in die jüngere Vergangenheit, zum Skandal der Skandale, zu Prinzessin Diana. Mit den drei Silben Lady Di ist eigentlich schon alles gesagt. Liebe, Hoffnung, Güte, Öffentlichkeit, aber auch die Medien, das alles schwingt mit, wenn man ihren Namen hört. Aber für die Jüngeren nochmal die Details. Prinz Charles heiratet Diana, liebt aber Camilla. Alle anderen lieben Diana und verehren alles, was sie tut. Diana bekommt eine Essstörung, Depressionen und zwei Kinder. Charles geht zurück zu Camilla und mit 30 beschließt Diana mit einem Buch an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Ereignisse überschlagen sich. Charles will die Scheidung, seine Mutter sagt nein. Der Daily Telegraph stellt sogar die Zukunft der Monarchie infrage. Es folgt die öffentliche Trennung, aber ohne offizielle Scheidung, und Diana reist durch die Welt, um Gutes zu tun. Dann ein paar unschöne Szenen und schließlich doch die Scheidung. Schließlich der dramatische Unfalltod und ein mehr als angekratztes Image der Royals, die wenig Anteilnahme sehen ließen.
Kommen wir zum aktuellsten Fall, dem Megxit, oder besser gesagt: dem Harryvederci. Schon früh wurde Henry Charles Albert David als Skandalprinz bekannt. Nach dem frühen Tod seiner Mutter hatte er zwar lange noch den Mitleidsbonus, aber dann kamen so Dinge wie jugendliches Trinken und Kiffen oder der Angriff auf einen Reporter. Schon da titelte man von einer Gefahr für die Monarchie. Dann war da natürlich noch die Geschichte mit der Nazi-Uniform, aber zum Glück kam dann auch schon der Militärdienst, Charakterwandel und danach viel Charity in Afrika. Es schien sich also alles wieder einzupegeln und langsam ruhig zu werden im Hause Windsor. Und dann kam Meghan Markle. Vor etwas mehr als drei Jahren kam sie mit Prinz Harry zusammen, ließ sich einen Antrag machen und anglikanisch taufen und dann war da auch schon die Hochzeit und jetzt das: Der Abschied. Der Ausstieg. Einfach mit der Royalität Schluss gemacht. Ab dem 31. März 2020 sind Meghan und Harry offiziell keine royal highnesses mehr, sondern leben finanziell und lebensweltlich unabhängig vom Buckingham Palace und abseits der Öffentlichkeit, die die Duchess of Sussex immer wieder rassistisch anging. Es scheint also, als verginge der Windsor-Dynastie langsam die Lust am dynastieren. Aber was bedeutet das? Für England? Für die Welt? Für uns? Zuerst trifft das natürlich die kleinen Leute. 15 Mitarbeiter*innen verlieren im Buckingham Palace ihren Job durch den Abschied von Harry und Meghan und aus dem königlichen Shop wurde schon ihr Merch entfernt. Aber sonst? Sonst bleibt die Hoffnung, dass die Selbstabschaffung weiter um sich greift. Klar, Katexit ist ein ganz schöner Zungenbrecher und Prinz William macht nicht den Eindruck, auf die königlichen Privilegien verzichten zu wollen, die ihm eines Tages zustehen werden, aber wer weiß? Denn wenn die unblutige Entfernung des Adels eines beweist, dann dass Marx und Engels in dem Punkt mit der historischen Entwicklung vielleicht nicht ganz recht hatten, aber dass der Freiheitsdrang des Menschen sich auch von einem royalen Titel nicht bremsen lässt.