Dem amerikanischen Schriftsteller und Countrymusiker Willy Vlautin ist mit Ein feiner Typ ein Roman gelungen, der traurig und schön zugleich ist, aber immer dort richtig abbiegt, wo Kitsch und Klischee lauern
Horace ist halb Paiute, halb Ire. Lieber aber wäre er Mexikaner. Er lebt mit dem alten Reese-Ehepaar auf einer Ranch irgendwo in Nevada. Dort hilft er mit dem Vieh und wird liebevoll umsorgt. Lieber aber wäre er Boxweltmeister. Dann wäre er berühmt und die Menschen würden ihm zujubeln. Mit zwölf gab ihn seine Mutter fort. Der Vater hatte sich längst aus dem Staub gemacht. Die Reeses, schon in ihren Siebzigern und von körperlichen Gebrechen geplagt, würden ihn gerne behalten, auch in der Hoffnung, dass er später mal die Ranch übernimmt.
Doch dann bricht Horace in die Stadt Tucson auf, um seinen Traum zu verwirklichen. Fortan nennt er sich Hector Hidalgo, büffelt Spanisch und vertraut sich einem zwielichtigen Trainer im naheliegenden Boxstudio an. Alles, was ein Boxer an mehr braucht, hat Horace zu wenig. Er ist sensibel, ängstlich und naiv. Im Ring erleidet er schon mal eine Panikattacke und erstarrt. An technischen Fähigkeiten mangele es nicht, wird ihm attestiert, aber schnell wird klar, dass seine Orientierungslosigkeit im Seilgeviert bisweilen seiner allgemeinen Verlorenheit in der Welt entspricht.
Diese Welt ist das heutige Amerika. Was schnell zu einer Abrechnung mit den USA unter der Trump-Administration oder identitätsverschossener Erbauungsliteratur werden könnte, gerät bei Vlautin zum zeitlosen Klagelied des Einzelnen, der sich im gesellschaftlichen Verbund einfach nicht zurechtfindet.
Der sachte Ton, in dem abwechselnd aus der Perspektive von Horace und Mr. Reese erzählt wird, und der die beiden wie ein zartes Band miteinander verbindet, erweist sich beim Lesen als wichtiger Trost. Denn sonst geht es in dieser Welt der Underdogs und Außenseiter äußerst grob zu. Freundschaften sucht Horace im Boxgeschäft vergeblich, Sexualität erlebt er nur in Form männlicher Rohheit, und die Kämpfe, die er im Vorprogramm lokaler Boxabende zwischen El Paso und Tijuana absolviert, hinterlassen immer tiefere Furchen. Augenscheinlich an seinem Körper, doch zunehmend wird er sich auch der verlorenen Illusionen seines Traumes gewahr: Statt Anerkennung und Erfüllung zu erfahren, sieht er sich als Preisboxer mehr und mehr zur Würdelosigkeit am Boden der Unterhaltungsindustrie verdammt.
Mit Horace geht es immer steiler bergab, auch die Anrufe vom besorgten Mr. Reese gehen ins Leere. Zu groß ist die Scham es nicht geschafft zu haben. Von Horaces halbherzigen Beschwichtigungen nicht überzeugt, fasst sich Mr. Reese schließlich ein Herz und nimmt Horaces Fährte auf. Unbarmherzig und ausweglos scheint die Welt der Gescheiterten. Die schlichten Dialoge, das gemächliche Erzähltempo und die unbezwingbare Güte des alten Mr. Reese lassen die Lektüre dennoch erstaunlich angenehm erscheinen. Sie kann uns zwar nicht mit dieser Welt versöhnen, doch kleine Gesten zwischenmenschlicher Wärme und Solidarität sind es, die noch den Keim der Hoffnung in sich tragen. Don’t skip out on me lautet der Titel im englischen Original, welches unbedingt der deutschen Übersetzung vorgezogen werden sollte. Lasst mich nicht im Stich.
Willy Vlautin (2019): Ein feiner Typ, Berlin Verlag (gebunden), Berlin. Selbstverständlich erhältlich in der Buchhandlung im Stuwerviertel, Stuwerstraße 42, 1020 Wien.