Wissenschaftler*innen und Künstler*innen kritisieren das Wiener Heeresgeschichtliche Museum und fordern dessen inhaltlichen Neugestaltung
Im September 2019 verschafften Recherchen der Plattform Stoppt die Rechten, des Standard und des Kurier der seit Jahren schwelenden Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) neue Aufmerksamkeit. Inhaltlich bezieht sich die Kritik vor allem auf den entkontextualisierten und unkritischen Umgang mit militär- und kriegshistorischen Objekten, Dokumenten und Darstellungen, die die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Revision und einer zeitgemäßen Auseinandersetzung zeigen. Dies zeigt sich auf besonders problematische Weise in der NS-Aufarbeitung, wo beispielsweise SS-Uniformen unkommentiert in derselben Vitrine wie die Gefangenenkleidung von KZ-Opfern ausgestellt werden. Auf institutioneller Ebene wiederum verdeutlicht die Nähe (beispielsweise zu Mitgliedern schlagender Burschenschaften) und manche Inkludierung von rechtsextremen Akteur*innen die geschichtspolitische Problematik der Sache – sowohl im Sinne des pädagogischen Auftrags eines Museums als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Das alles ergibt letztlich ein unzusammenhängendes – teils entpolitisiertes, teils ideologisches – museales Gesamtbild, das den Kern der Kritik von Seiten der Initiator*innen ausmacht.
Ein Museum ohne Verantwortung?
Im Jänner 2020 nutzte die unabhängige Initiative #HGMneudenken das mediale Echo, um den Diskurs wissenschaftlich zu verankern und künstlerisch zu untermauern.
Im Rahmen einer eintägigen Veranstaltung wurden zwei Schwerpunkte gesetzt. Zum einen wurde die inhaltliche Auseinandersetzung in Form einer Tagung mit Kurzvorträgen und anschließender Diskussion geführt, die Wissenschafter*innen verschiedener Disziplinen aufbereiteten. Politikwissenschafterin Ljiljana Radonić verwies in ihrem Beitrag auf den zentralen Punkt gesamtgesellschaftlicher Verantwortung hinsichtlich der Aufarbeitung und Darstellung von Geschichte: Die Nicht-Kontextualisierung und Nicht-Benennung, so wie sie im HGM anzutreffen ist, ist keineswegs neutral – sie stellt bereits eine politische Positionierung dar, die im österreichischen Fall einer vermeintlichen „Nicht-Täterschaft“, also dem Opfermythos entgegenkommt. Radonić betonte ebenfalls die „Hierarchien der Sichtbarkeit“, die die Frage aufwerfen, was wann, wo und wie ausgestellt wird (und was nicht).
Auch Andrea Brait, Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte, verwies in ihrem Redebeitrag auf die pädagogische Verantwortung von Museen: Diese hätten nämlich durchaus die Möglichkeit (wenn nicht sogar die Aufgabe) bestimmte geschichtliche und politische Kompetenzen zu vermitteln. Ein Museum zu sein, bedeutet nicht nur, ausgewählte Objekte in den eigenen Räumlichkeiten auszustellen und dadurch nach Außen bzw. für Besucher*innen verfügbar zu machen – es bedeutet auch, alternative Lernzugänge und direkte Konfrontationen mit den jeweiligen Quellen, Materialien et cetera zu ermöglichen. Der Zusammenhang von Schule und Museum ist dabei auch ein relevanter, schließlich sollten es Museen als Bildungsinstitutionen im Idealfall schaffen, neue und kritische Perspektiven zu fördern. Dafür bedarf es aber bereits in der Konzeption und Ausrichtung eines kritischen – oder zumindest reflektierten – Zugangs.
Rechtsextreme Zusammenhänge
Karl Öllinger von den Grünen und Politikwissenschafter Sebastian Reinfeldt zeigten insbesondere die Zusammenhänge des Museums mit rechtsextremen Kreisen auf. So ist das HGM beispielsweise das „Lieblingsmuseum“ von Martin Sellner, einer der zentralen Figuren der Identitären Bewegung Österreich, und auch der Attentäter von Christchurch stattete dem Museum während seiner Wien-Aufenthalte einen (begeisterten) Besuch ab. Und spätestens im Falle Pappenheim wurden die spezifischen politisch-ideologischen Verstrickungen des HGM deutlich, die bis zu personellen Überschneidungen mit der FPÖ reichen. Bei „Pappenheim“ handelt es sich um ein Wikipedia-Pseudonym, welches ein Referatsleiter des Museums und selbst-geoutetes Mitglied der Burschenschaft Gothia jahrelang verwendete, um Einträge über das HGM, die FPÖ und Burschenschaften zu beschönigen und der rechten Ideologie anzupassen.
Künstlerische Interventionen der Kritik
Den zweiten Schwerpunkt der Veranstaltung stellten schließlich diverse künstlerische Perspektiven dar, die eine zusätzliche Ebene der Gegendarstellung zum entpolitisierenden Konsens des Museums vermittelten. Inhaltlich bewegten sich die künstlerischen Kritiken in zwei Richtungen: Einerseits zeigten museale Gegenentwürfe die Möglichkeiten differenzierter Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte; andererseits griffen die Künstler*innen verschiedene Aspekte österreichischer Geschichtsschreibung, -darstellung und Inszenierung auf. Gemeinsam war ihnen, dass die unterschiedlichen Ansätze die fehlende Auseinandersetzung und Aufarbeitung im HGM kritisierten, aber auch die österreichischen Zustände im Allgemeinen.
Aufarbeitung und Erinnerung, die fehlen
Bereits vor dem Betreten der ehemaligen Offizierswohnung, die sich als Teil des baulichen Ensembles gegenüber des Museumsareals befindet und in der die Veranstaltung stattfand, fanden sich die Besucher*innen mit zwei riesigen, mit roten Metallrohren gebauten Klammern konfrontiert. Diese Klammern wurden bereits 2009 von der AK Denkmalpflege am Wiener Heldenplatz errichtet, um auf die erinnerungspolitischen Leerstellen hinsichtlich der Opfer der NS-Militärjustiz aufmerksam zu machen. Im Kontext der Debatte sind es genau diese Leerstellen, die den Zusammenhang zwischen dem damaligen (temporären) Denkmal und der fehlenden Kontextualisierung und Auseinandersetzung von Seiten des HGM darstellen.
Die (fehlende) österreichische Aufarbeitungs- und Erinnerungspolitik zum Thema hatte ebenfalls das vorgestellte Projektkonzept von Sabrina Kern und Martin Weichselbaumer, das mit dem Titel „850.000 Trümmer der Erinnerung“ (eine Anspielung auf die geschätzte Bauschuttmenge in Wien nach Kriegsende) auf die Frage der weiblichen Täterinnenschaft im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit bzw. auf den Trümmerfrauen-Mythos referenziert.
Ernst Logars Videoinstallation „Ort der Unruhe/Place of Unrest“ wiederum thematisierte die Massenhinrichtungen am SS-Kasernengelände Graz-Wetzelsdorf in der Belgier-Kaserne, die aufgrund der familiären Involvierung im Widerstand gegen den NS und der dort erfolgten Erschießung seines Großvaters somit auch Teil von Logars Familiengeschichte sind. Der Film wirft dabei die Frage auf, inwiefern es dem österreichischen Militär mit seiner spezifischen NS-Geschichte überhaupt zusteht, ohne Einbindung der Öffentlichkeit und ohne Bekanntgabe der tatsächlich dort vergrabenen Opfer eigenhändig und ohne Ankündigung ein Denkmal zu errichten.
„Ein Museum über Kriege ist ein Museum über Verbrechen“…
… lautet der zweite Absatz des Manifestes des Kollektivs MUSMIG, das die Tagung zum Anlass nahm, ein Konzept für ein zukünftiges Museum der Migration als Gegenentwurf und Gegenstrategie zu präsentieren. Die Idee zeigt, dass Museen nicht nur Orte der Dokumentation und Darstellung, sondern auch Orte des Diskurses und der kritischen Reflexion über gesellschaftliche Verhältnisse sind. Denn: „Ein Museum über Migration ist ein Museum über Kriege“ – und genau da schließt das MUSMIG-Manifest den Kreis zum HGM und seiner Problematik. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven (von denen hier nicht alle erwähnt werden konnten) haben also verdeutlicht, warum und auf welchen Ebenen dieses österreichisches Museum über Militär und Krieg nicht nur problematisch ist, sondern in manchen Aspekten sogar reaktionäre bis rechtsextreme Geschichtsschreibung fördert. Fest steht jedenfalls, dass die weitere Entwicklung der Debatte über (und im?) Heeresgeschichtlichen Museum abzuwarten bleibt – eine inhaltliche, strukturelle und teils personelle Neukonzeption wäre jedoch nicht nur pädagogisch und gesellschaftlich wichtig, sie ist gerade im Fall Österreich unbedingt notwendig.