Aus der Reihe: ku. & ko. Das phantastische Geschäft
Neben dem kleinen Park in der Seitenstraße liegt das wohl berühmteste Geschäft der Stadt. „Haben wir nicht, gibt’s nicht“, steht am Schild auf der Tür. Eben ertönt der Durchgangsmelder mit seinem wohlklingenden Glockenspiel. Die nächste Kundschaft ist da.
Schnell nimmt sie die zwei flachen Stufen, hält kurz inne und wirft einen flüchtigen Blick in den engen Raum, der sich bis zur rustikalen Holztheke streckt. Ein paar Stellagen, vor denen kleine Schaukoffer stehen, ein zierloser Kleiderständer und ein breites Regal; die Ernüchterung ist ihrem Gesicht anzusehen.
„Ob ich da dann doch vielleicht den Lieferanteneingang dawischt hab’“, denkt sie noch, doch in diesem Moment verrät ein leises Quietschen die Tapetentür hinter der Theke, die sich zögerlich öffnet. Die erste Person tritt in den fahlen Kegel der Deckenlampe: Tapsig wankt der Mann in einem Strickjackerl vorwärts, stützt die Ellbogen auf das massive Thekenholz und nickt kurz. Die zweite schält sich aus seinem imposanten Schatten, was zugegebenermaßen wirklich komisch aussieht. Dann schreitet sie zur Registrierkassa im Eck, dreht eine zarte Pirouette um sich selbst und strahlt die Kundin an: „Grüß Gott. Willkommen bei ku. & ko. Haben wir nicht“, und sie übergibt den Slogan-Laufstab ihrem Kollegen, „gibt’s nicht. Ein beruhigendes Motto“, nickt jener ihr zu, als wäre sie eine Stammkundin, nach deren Eintreten man die Uhr stellen könnte.
„Aber auch visionär“, schaltet sich nun die Frau ein, die, wie erst jetzt zu sehen, einen legeren Hosenanzug trägt, und räuspert sich kurz: „Ku wie Kuna … mein Name. Ich leite dieses Geschäft und der Konrad hier“, dabei zeigt sie mit dem Daumen lässig zur anderen Hälfte der Theke, „ist mein Gehilfe.“ Der Mann in der Strickjacke lümmelt mittlerweile schon halb auf dem Verkaufstisch.
„Konrad, wie du wieder dahängst. Komm, sag’ der Kundin deinen Namen.“
„Ich bin der Ko. Wie K-O-mpanion. Aber Freunde nennen mich Konrad.“
„Das freut mich“, die Kundin stockt kurz, „ich heiße Sabine.“
„Sabine, womit können wir dienen?“, fragt Kuna dienstbeflissen.
„Ihr Wunsch ist quasi ein Befehl“, ergänzt Konrad eilfertig. Ku ermahnt ihn kurz: „Aber auch umgekehrt, mein Lieber.“ Nun strahlt sie wieder die Kundin an: „Vor allem auch umgekehrt. Und das ist, was die Kunden an uns so schätzen. Kein langes Überlegen, das erledigen wir für Sie.“
„Also ich hab’ es mir schon überlegt“, meint die Kundin durchaus selbstbewusst. „Ich suche einen Kinderwagen, mit gut dimensioniertem Korb unter der Sitzfläche. Unteres oder mittleres Preissegment, kein Schnickschnack wie Schnellklicksystem oder gar Insektenschutz. Einfach und praktisch.“
„Also möglichst mobil, mit viel Stauraum und aufs Wesentlichste reduziert?“, versucht Konrad wieder ins Gespräch einzutreten, „also ein Symbol …“, und wie von Gespensterhand geführt übernimmt Kuna, „… einer urbanen Generation, die etwas auf Familie hält.“
„Wenn Sie das so sehen“, entgegnet die Frau nun etwas verunsichert und lässt ihren Blick wieder durch den Raum schweifen. „Haben Sie noch nebenan einen Schauraum oder so? Ich muss die Dinge immer vor mir sehen!“
Kuna nähert sich dem Lichtkegel und bleibt dort, wo das Schlaglicht am geheimnisvollsten ist, stehen. „Schauen Sie mal auf die Inschrift auf dem Regal.“
„Da steht Regal. Merkwürdig.“
„Und nun müssen Sie in phantastischen Dimensionen denken, gegen den Strom …“
„… oder die Leserichtung denken“, assistiert Ko. „Regal, das wäre dann L-A-G-E-R. Potzblitz, das macht Eindruck!“
„Zu Recht“, sagt Kuna nicht ohne Stolz, „hinter diesem Regal befindet sich unser einzigartiges Magazin.“ Konrad taucht unter der Holzplatte durch und trottet souverän zu besagtem Regal. „Also, da hätten wir…“
„Da hätten wir den neuesten KW V200, mit einem 15-PS-Dieselmotor“, wirft Ku ein. „Mit dem schaffen Sie gut 40 Sachen. Damit sind Sie der Star in jeder Fußgängerzone.“
Ko wiederum begeistert: „Mit eingebauten CO2-Filter von VW!“
„Deutsche Qualitätsarbeit!“, ruft Ku.
Die Kundin ist irritiert: „Kinderwagen mit Dieselmotor? Ich such’ einen ganz normalen, zum Schieben.“
„Schieben?“, Kuna spreizt ihre Augen und setzt mit schriller Stimme fort: „Mein lieber Konrad, hast du das gehört?“ Dann verdreht sie ihre Pupillen und sagt mit sanfter, leicht ironischer Stimme: „Sabine sucht einen Kinderwagen zum Schieben.“
Konrad setzt nun zu seiner Papagaiennummer an. „Zum Schieben? Sabine sucht einen Kinderwagen zum …“
„So etwas wird schon lange nicht mehr produziert, aber“, Kuna steht nun aufrecht und mit geöffneten Armen vor der Kundin, „wir haben auch einen neuen, einen werkfrischen, wasserstoffbetriebenen Kinderwagen und geben Ihnen noch einen handgroßen Feuerlöscher obendrein, falls er aus unwahrscheinlichen Gründen doch explodieren sollte.“
Während sich eine leichte Verwirrung in Sabines Gesicht abzeichnet, bestätigt Konrad rollensicher: „Obendrein dazu!“
„Aber draußen im Park, da finden sich lauter Menschen mit neuen Kinderwägen, die mit der Hand geschoben werden … mit vier oder drei Rädern … sowie …“
„Ach so, sie meinen Räder?“, wittert Konrad nun das Missverständnis. „Einen Moment, bitte. Ich glaub’, ich hab’s!“ Er taucht mit dem Oberkörper in die Tiefen des Regals, man hört wie Kartons und andere Gegenstände hin- und hergeschoben werden, während Kuna in einem Gesichtsausdruck verharrt, als wäre sie kurz auf Standby geschalten.
„Hier! Mit Rädern. Das ist es. Ich wusste ja, dass Sie eine Ökologische sind. Ich ja auch. Hier, extra für Sie, unser Knüller – ein preiswertes Karbon-Lastenfahrrad, mit Titan-Bauteilen, Gabeldämpfer, Zedernholzkindertransportbox und Bioledersattel.“ Mit Schwung bugsiert er das Ungetüm auf die Verkaufsfläche und ergänzt lächelnd: „Was sagen Sie dazu? Heute nur um 15.000 Euro.“
„So billig finden Sie keinen Kinderwagen. Nirgendwo!“, setzt sich Kuna wieder in Szene.
„Sie sagen ja gar nichts mehr, Sabine. Wollen Sie nicht etwas Gutes für Ihr Kind? Ist Ihnen schwindlig?“
„Uns freut es, wenn Sie das tun, liebe Sabine, was Ihnen lieber ist. Aber bedenken Sie, dass jedes Geschäft ein Geben und Nehmen ist.“
„Tit for tat“, unterbricht ihn Kuna, deutet ein spitzes Marderlächeln an und zeigt auf den braunen Schaukoffer: „Schauen Sie rein, da haben wir noch etwas ganz Spezielles für Sie.“ Vorsichtig nähert sich Sabine dem ledernen Koffer, der ohne ihr Zutun aufschwingt. „Wie schon gesagt, wir sehen zuerst und vor allem den Menschen“, hört sie Kuna noch sagen. Dann ergreift sie das kleine Billett. Während sie es auffaltet, wiederholt Konrad: „… den Menschen. Und was wir tun müssen, dass er kein geknechtetes Wesen mehr ist. In Ihrer Hand sind tausend Euro Rabatt bei Kauf eines Lastenrades. Ich präzisiere, dieses Lastenrades.“
Konrad springt schwungvoll in die geräumige Transportbox und kauert sich in die Ecke. Kuna zieht kurz die Bremse an und nickt anerkennend: „Phantastisch! Natürlich inklusive Ladungssicherung nach EU-Norm.“
„Europa ist uns auch wichtig“, erklingt Konrads Stimme aus den Tiefen der Transportbox. Er streckt neckisch seinen Kopf aus dem Transportbehälter und wendet sich langsam Sabine zu: „Deal?“
Kuna zerwuschelt zärtlich Konrads Haar und fügt in altväterlichem Ton hinzu: „Wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können.“
„Oder sollen wir uns doch in Ihnen getäuscht haben?“, assistiert Konrad und klettert behäbig aus der Box.
„Das wäre aber bedauerlich, vor allem da wir Sie mit unserem wertvollsten Gut, also unserer Zeit, wohl schon reichlich beschenkt haben“, wird Kuna sehr ernst und senkt den Kopf. „Ich kauf’ ja was“, presst Sabine zwischen den Lippen hervor, greift zur Stellage, auf der in diesem Moment ein faustgroßer Upcycling-Kinderwagen aus alten Getränkedosen erscheint. „Eine gute Wahl, für wohlfeile 120 Euro gehört er Ihnen“, ermutigt sie Kuna, während Konrad das Durchschreibpapier unter die Rechnung schiebt. Schon tauschen Rechnung und Bargeld die Besitzer und eine weitere zufriedene Person verlässt den phantastischen Ort, der allen alles bietet.