Das Aktionstheater Ensemble mit Heile Mich im Werk X
Die Bühne ist pechschwarz, an den Seiten flimmern die Visuals und an der Rückwand spielt eine Band, die klingt und auch so ausschaut wie aus dem vorigen Jahrtausend – die Dun Field Three. Vor ihnen zwei Tänzer, die einer mechanischen Choreografie folgen, wie sie für das Aktionstheater Ensemble typisch ist. Susanne (S. Brandt), Isabella (I. Jeschke) und Kirstin (K. Schwab) stürmen herein und schreien für eine gefühlte Ewigkeit ihr Leid aneinander vorbei, das so offensichtlich einer narzisstischen Gesellschaft entspringt.
Individuelle Verlorenheit
Regisseur Martin Gruber und das Aktionstheater Ensemble, für den bissigen politischen Interventionismus ihrer Stücke bekannt, haben in ihrem neuesten Stück Heile Mich ein vermeintlich individuelles Motiv gewählt – die Einsamkeit, vorgespielt von drei Frauen. Obschon das Politische in dieser mitschwingt, trifft die Kritik diesmal nur sehr indirekt die Gesellschaft, aber zeigt dafür mit bemerkenswerter Akkuratesse die Verdrängungsmechanismen der kollektiven Einzelnen im Ganzen auf.
So soll dieses Stück, wie Gruber gegenüber MALMOE betont, im Unterschied zu den vorangegangen nicht „explizit und deutlich hörbar politisch sein, sondern in Umkehrung die radikalen Auswirkungen der Gesellschaft auf das Individuum und die damit einherschreitende Entsolidarisierung in ihrer Verdichtung aufzeigen.“ So gehe es auf der Bedeutungsebene vor allem „um das Abgeben von Verantwortung für sich selbst und für andere, um die verzweifelte Suche nach etwas oder jemandem, der eine_n heilt“.
Dazugehören und nichts empfinden
Isabella hat einen neuen Freund, den sie eigentlich auch schon nicht mehr hat und über den sie nicht mehr zu erzählen hat, als dass er Schlagzeug spielt. Susanne verteilt Glückskekse am Boden und trauert ihrem verstorbenen Kater Ferdi nach, nach dessen Ableben sie der Einsamkeit gänzlich ausgeliefert ist. Kirstins Coping-of-choice ist das Belegen unzähliger Trainings und Kurse, etwa zu Konflikt- und Friedensforschung oder Ayurveda.
Susanne geht auf Konzerte, Veranstaltungen und Demonstrationen, sie ist ein Teil davon, aber sie empfindet nichts. Dazugehören und es nicht so erleben, das steht im Mittelpunkt von Grubers Text. So werden kollektive Erfahrungen erzählt, etwa die Nutzung von Streaming- und Pornoseiten, beziehungsweise mehr ins Publikum gebrüllt, um in aller Deutlichkeit zu zeigen, was alle gleich und gleichzeitig machen, ohne es miteinander zu machen. „Ich will das kognitiv nicht erfassbare, das ungreifbar auf einer Metaebene festklebt, über die Kunst ausdrücken“, so Gruber.
Ensemble statt Einsamkeit
Das Aktionstheater selbst ist zumindest nicht einsam, der kreative Prozess wurde auch bei diesem Stück vom Ensemble gemeinschaftlich geführt. Gruber, der von den subjektiven Erfahrungen seiner Darsteller_innen ausgehend Theatertexte montiert, verdichtet und erweitert, konnte über dieses unkonventionelle Verfahren ein weiteres Mal eine erstaunliche Authentizität zur Schau stellen – und ein unangenehmes Stück Wahrheit über die Schlechtheit der Dinge.
Das Aktionstheater Ensemble spielt auch 2020 alte wie neue Stücke für ein Publikum, das zum Lachen und Weinen bereit ist.
Termine in Wien:
Wiederaufnahme: Wie geht es weiter. Die gelähmte Zivilgesellschaft | 16. und 17. März um 19:30 Uhr im Werk X Meidling
Wien-Premiere: Bürgerliches Trauerspiel. Wann beginnt das Leben | 10., 13. und 14. Juni um 19:30 Uhr im Werk X Meidling