MALMOE

Fragen an die Zahnbürste

„Hilfe! Der reinste Horror! Ein Graus! Was tun? Ich halte es nicht mehr aus!“ Nein, die Rede ist nicht von Vampiren sondern vom Zähneputzen, dem scheinbar größten Alptraum von Menschen mit Kindern. MALMOE traf die Protagonistin des täglichen Dramas zum Business-Talk: die Zahnbürste.

Guten Tag. Wie lebt es sich als Hassobjekt?

Eigentlich gut, denn ich weiß ja, dass ich unverzichtbar bin und dass mir der Lauf der Dinge in die Hände spielt. Es ist dialektisch: Die Leute essen immer mehr Zucker, gleichzeitig steigt die Angst vorm Zucker – Fettleibigkeit, Diabetes und eben schlechte Zähne, das offensichtlichste soziale Stigma unserer Zeit. Und ich werde reich, wie auch immer man die Sache sieht: Vom tatsächlich enormen Zuckerkonsum der Leute, wie auch von der ständigen Kampfansage an den Zucker steigt mein Absatz.

Die Produktvielfalt ist ja kaum mehr zu überschauen.

… oh ja! Und was es da alles zu bedenken gibt – früher war es einfach: hart, mittel oder weich. Jetzt gibt’s auch was zum Zunge kraulen, Spezialborsten für die Zwischenräume, Schwingkopf ja oder nein ist ein ideologischer Grabenkampf, elektrisch oder manuell … und dann natürlich die Ästhetik!

Und wie ich Kinder liebe – seit das Zähneputzen Erziehungsfetisch ist, gibt es mich in allen Farben, rosarot und himmelblau, als Tier verkleidet, mit Auto oder Prinzesschen. Meine Kindereditionen sind die letzte Hoffnung aller Eltern, dass aus dem Zähneputzen doch noch was wird außer Theater. Und dafür sind die meisten bereit, sehr tief in die Tasche zu greifen.

Dabei gab es mich schon im Alten Ägypten – damals war ich noch ein einfacher Stock, auf dem man herumgekaut hat; wohlgemerkt waren es ernährungstechnisch andere Zeiten.

Dich gibt es ja auch schon ganz smart?

Ja! Die „Playbrush“ zum Beispiel kann man mit dem Handy verbinden und wenn Kind brav putzt kann es Monster erledigen. Viele kaufen es, kaum einer benutzt es. Ideal für mein Geschäft. Überhaupt wird die Zahnbürste selbst immer mehr zum Fetischobjekt.

Inwiefern Fetisch?

Nun, man denkt ja nur mehr dass es dabei ums Putzen der Zähne geht, tatsächlich hat sich der Machtkampf längst verselbstständigt – Kinder, die spielen möchten versus Eltern, die wie versessen aufs Zähneputzen sind, weil man doch alles richtig machen will und sich am morgendlichen und abendlichen Zähneputzen alles aufhängt. Die Eltern stehen unter Druck und das spüren auch die Kinder und entsprechend verhalten sich alle Beteiligten. Erziehungsdebatten werden übers Zähneputzen geführt, es gibt Workshops und Schulungen, Erzählungen darüber sind abendfüllend. Die Zahnbürste selbst ist zum Wert geworden, versucht man doch durch ihren optischen Aufputz das Drama hintanzustellen. Und dennoch gibt es wieder Streit: Warum hat die einen Elefanten und ich nur einen Tiger? Warum ist die Borste rechts größer als meine links? Dann rennen viele eben ins Geschäft und kaufen wieder eine neue Zahnbürste. Das durchschnittliche Kind hat 2-3 Zahnbürsten zuhause rumstehen. Ich habe gehört, dass manche ihre Bürsten auf Podeste stellen um zu zeigen, wie cool das Zähneputzen ist, andere streicheln mich nach dem Putzen, wenn alles gut gegangen ist oder schmeißen mich rituell in die Ecke. Es ist schon etwas irre, was da abgeht…

Was empfehlen Sie gegen diesen Putzwahnsinn?

Natürlich nichts, ich lebe ja davon.