Im Gespräch mit Ljiljana Radonić über das HGM, das bis heute NS-Verbrechen relativiert
Ljiljana Radonić ist Politikwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit musealen Repräsentationen von Genozid und Krieg, mit Erinnerungspolitik und Gedächtnistheorie. Sie forscht am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitet derzeit ein vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziertes Projekt zum Thema „Globalized Memorial Museums“.
MALMOE: Das Heeresgeschichtliche Museum befasst sich vermeintlich neutral – und somit gleichzeitig unkritisch – mit der Militärgeschichte Österreichs. Besonders perfide geschieht dies im Ausstellungsraum zu 1918 bis 1945, in dem in erster Linie unkommentierte Objekte, darunter Waffen, Panzer, NS-Kriegspropagandamaterial, Hakenkreuzfähnchen und SS-Uniformen gezeigt werden. Letztere befinden sich kommentarlos in derselben Vitrine wie KZ-Häftlingsbekleidung. Wie haben Sie die Ausstellungsweise des HGM wahrgenommen?
Ljiljana Radonić: Prinzipiell kann man sagen, dass das Heeresgeschichtliche Museum einen gewissen Turn in der Musealisierungspraxis nicht mitgemacht hat. Es erinnert an das Militärhistorische Museum in Bukarest in Rumänien, das ich untersucht habe oder an das Nationalhistorische Museum in Sofia in Bulgarien. Alle drei Museen fallen diesem alten Typus Museum zu: einem Museum, das sich nicht kulturhistorisch, kritisch, selbstreflexiv mit der in ihnen ausgestellten Geschichte auseinandersetzt, sondern scheinbar neutral über kaum kommentierte Objekte oder Fotos die Ausstellung gestaltet. Nun ist das ja nicht in allen Räumen des HGM so – die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg wurde ja vor einigen Jahren überarbeitet und die funktioniert auch anders. Da werden heikle Fragen wie der Tod bzw. das Massensterben im Ersten Weltkrieg explizit erörtert. Das heißt auch, das HGM ist in gewissen, neueren Teilen in der Lage, diesen Turn zu vollziehen. Aber in der Ausstellung zu „Republik und Diktatur – Österreich 1918 bis 1945“, die über zwei Jahrzehnte alt ist, gibt es das gar nicht. Ausgerechnet jene Zeit, in der Österreich Teil des nationalsozialistischen Terrorregimes war, bleibt ohne Kontextualisierung der Objekte und Fotos. Nur auf einem Flyer in verschiedenen Sprachen wird österreichische Täterschaft benannt.
Was bedeutet eine solche Aufbereitung für Besucher_innen der Ausstellung, wenn ihnen nur eine unkommentierte Zurschaustellung von Objekten aus der NS-Zeit gezeigt wird?
Das Problematische an den unkontextualisierten Objekten ist, dass sie sich für allerlei Deutungen eignen. Als ich vor wenigen Wochen im HGM war, um mir die Ausstellung nochmals anzusehen, war dort ein relativ typisches Ereignis zu beobachten: Ein älterer Herr begeisterte sich über ein ausgestelltes Maschinengewehr und meinte: „Ach, das MG42, damit haben wir nach 1945 auch noch geschossen!“ – Weil das im österreichischen Bundesheer in modifizierter Form weiterverwendet wurde. Die Waffenausstellung hat ihn geradezu entzückt. Bei der Vitrine mit der KZ-Kleidung und dem Davidstern, bei den drei einzigen Objekten, die die Ausstellung zur Vernichtung und der Verfolgung zeigt, meinte er: „Ach ja, die Schattenseiten“. Er hat sich sofort wieder abgewandt und damit war das Thema für ihn erledigt. Alles andere im NS war für ihn positiv, könnte man daraus schlussfolgern.
Die scheinbare Neutralität und Nicht-Kontextualisierung der Objekte ermöglicht diese Begeisterung. Genau das aber entschieden zu verhindern, wäre die Aufgabe eines selbstkritisch reflexiv arbeitenden Museums, das auch heikle Themen, hier allem voran die Verbrechen der Wehrmacht, anspricht.
Legt das HGM hier einen insgesamt positiven Bezug auf die Vergangenheit oder zumindest eine bestimmte Lesart der Geschichte nahe?
Ja – denn es ist ja nicht so, dass die Wehrmacht ausgespart würde. Es wäre früher, in Zeiten des österreichischen Opfermythos, durchaus denkbar gewesen zu sagen: Österreich hat zur NS-Zeit nicht existiert und deswegen lassen wir die Wehrmacht einfach aus. Aber das geht wegen der Systemlogik dieses Ausstellungsteils gar nicht. Hier ist es offenbar wichtig, eine Geschichte der österreichischen Wehrmachtssoldaten zu erzählen, in der sie als Opfer erscheinen, was im Gegenzug verunmöglicht, dass auch die Verbrechen der Wehrmacht dargestellt werden. Das eine schließt das andere aus.
Oder, in einem Fall wird ein österreichischer Soldat namentlich genannt, der geholfen habe, Kunstschätze vor den Alliierten zu retten. In diesen Kontexten kommen Wehrmachtssoldaten also vor: als Opfer und als Retter von Kunstgut vor den bösen Alliierten – nicht jedoch als Verbrecher.
Und das hat System. Es wurde nicht einfach nur vergessen, ein Foto von Wehrmachtssoldaten, die Verbrechen begehen, einzufügen. All die Verbrechen, etwa das Massaker in Babyn Jar bei Kiew oder das Pogrom in Lemberg, könnte man ja auch zum Thema machen. Aber das ist keine zufällige Lücke. Die Auswahl von Objekten und Fotos entlarvt immer auch, was bewusst weggelassen wurde.
Wie ist diese problematische Ausstellungsweise, die eine scheinbar neutrale Annäherung an die NS-Vergangenheit verspricht, im Kontext der österreichischen Erinnerungspolitik zu sehen?
Das HGM ist sogar für Österreich spät dran. Der Ausstellungsraum zum Zweiten Weltkrieg wurde in den späten 1990er Jahren gestaltet, als der österreichische Opfermythos im Wesentlichen schon verabschiedet war. Und trotzdem werden in dieser Ausstellung Österreicher_innen nur andeutungsweise als überhaupt mitverantwortlich genannt. Somit ist das HGM für österreichische Verhältnisse ein spätkommendes Museum. Der für diese Ausstellung verantwortliche ehemalige Direktor Manfried Rauchensteiner meinte, dass es ihm wichtig war, die Ausstellung zu dieser Zeit überhaupt zu verwirklichen. Aber die Art und Weise der Ausstellungskonzeption hat er bei der Tagung #HGMneudenken mit Geldmangel begründet und auch der aktuelle Direktor Christian Ortner hat mit Raum- und Geldmangel argumentiert.
Was fadenscheinig wirkt – veranstaltet das HGM doch jährlich Panzershows und erstellt Sonderausstellungen mit Kosten in Millionenhöhe.
Ja, und es ist auch kein stichhaltiges Argument. Ein Foto etwa der Wehrmachtsausstellung, das die Verbrechen der Wehrmacht thematisiert, könnte man ganz einfach ergänzen. Es ist eben ein systematisches Problem, dass das nicht passiert.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich ja gerade mit musealen Repräsentationen von Genozid und Krieg – wie lässt sich das HGM in die sonstige österreichische Gedenk- und Museumslandschaft einordnen? Gibt es einen erinnerungspolitischen Konflikt oder ist das HGM so etwas wie die Spitze des Eisbergs der Verdrängung österreichischer Täterschaft?
Im österreichischen Kontext steht dieses Museum im Kontrast zu anderen zeithistorischen Museen. In der KZ-Gedenkstätte Mauthausen etwa ist die Ausstellung vor ein paar Jahren gänzlich umgestaltet worden. Sie hat einen Fokus auf österreichische Täter_innen und auf die Verbindungen zwischen dem KZ-Personal und der Bevölkerung der Umgebung. Sie thematisiert etwa die sogenannte Mühlviertler Hasenjagd, bei der entflohene Häftlinge von der Bevölkerung gejagt wurden. Auch das Haus der Geschichte Österreich (hdgö), das ja nicht nur diese Verantwortung Österreichs, sondern auch den Opfermythos als Problem ausstellt, zeigt, wie veraltet oder willentlich unangepasst an die aktuelle Debatte das Konzept des HGM ist. Hier müsste es sich – auch wenn es ein heeresgeschichtliches Museum ist – dringendst anpassen.
Im Kontext der Debatte gab es Rechtsextremismus-Vorwürfe. Schnell war dabei die Rede von „braunen Flecken“ im HGM, gemeint sind einzelne problematische Ausstellungsstücke, etwa eine SS-Uniform und ihre fehlende Kommentierung wie auch rechtsextreme Bücher und Spielzeug-Wehrmachtspanzer, die im Museumsshop erhältlich waren. Wie sehen Sie das?
Das erinnert mich stark an die sogenannten Einzelfälle der FPÖ. Dass im Museumsshop rechtsextreme Bücher und wehrmachtsverklärendes Spielzeug verkauft wird, ist eben kein Ausrutscher, sondern entspricht dem Geist dieses Museums. Das soll keinesfalls heißen, dass alle dort Angestellten in dieses Eck zu stellen wären – es gibt Kolleg_innen, die dort arbeiten und verzweifelt sind über diese Umstände. Doch sie sind guter Hoffnung, dass aus der aktuellen Debatte etwas Positives für den Wandel der Organisation hervorgehen kann. Aber es ist kein Einzelfall und kein einzelner „Fleck“, wenn eine SS-Uniform ausgestellt wird, sondern diese fehlende Kommentierung und auch das Fehlen der sogenannten negativen Erinnerung, das Fehlen der eigenen Verbrechen, ist systematisch.
Muss man überrascht sein, dass es diese Vernetzung zum rechtsextremen Spektrum gibt?
Nein. Die Tatsache, dass eine Begeisterung für Uniformen und Waffen aus der NS-Zeit überhaupt ausbrechen kann, ist kein Zufall, sondern heißt, dass die Verantwortlichen kein Problem damit haben. Aus dieser unkommentierten Zurschaustellung lassen sich bereits Schlüsse über die politische Gesinnung der Verantwortlichen ziehen.
Was könnte ein Museum der Militär- und Kriegsgeschichte leisten und gibt es positive Gegenbeispiele?
Im internationalen Vergleich gibt es das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden. Die Museen in Dresden und Wien haben viel gemeinsam: Sie sind beide auf dem Gelände eines Arsenals aus dem 19. Jahrhundert entstanden und unterstehen beide der jeweiligen Armee. Aber das Dresdener Beispiel hat genau den in Wien fehlenden Turn gemacht und kritisiert explizit die eigene Museumsgeschichte als heroisierende Schaustellung und unkritische Repräsentation von Objekten. Der Zusammenhang zwischen Krieg, Gewalt und Gesellschaft wird in Dresden klar thematisiert, in einem modernen und zeitgemäßen Sinne. Es werden die Auswirkungen von Krieg auf Körper, sowohl der Soldaten als auch der Zivilbevölkerung thematisiert. Hier wird die alte Art der Musealisierung durchbrochen und die Verbrechen der Wehrmacht angesprochen. Das zeigt, dass eben auch ein Museum, das von den Verteidigungsstreitkräften betrieben wird, genau diese modernen Tendenzen der selbstreflexiven, kulturhistorischen, selbstkritischen Arbeit mitmachen kann. Und ich glaube, dass die Existenz eines Museums der Streitkräfte, welches ja auch von Soldaten besucht wird, durchaus sinnvoll ist – wenn es eine kritische Geschichte erzählt und schwierige Fragen thematisiert. Zum Beispiel: Müssen Soldaten einen verbrecherischen Befehl befolgen? Das wäre ja durchaus ein Gewinn, wenn man das zum Thema machen würde.
Es bleibt zu hoffen, dass die Debatte um das HGM zu einer Veränderung führen wird. Es gibt Vorschläge, das HGM dem Haus der Geschichte Österreich (hdgö) zu unterstellen und zu einem zeithistorischen Museum zu machen. Was halten Sie davon?
Ich sehe die Diskussion um die Neugestaltung des HGM durchaus als eine Chance. Man könnte zum Beispiel eine enge Kooperation zwischen dem hdgö und dem HGM anregen, um diesen selbstkritischen Blick des hdgö auf Österreich und auf Identitäten generell auch im HGM zum Vorbild zu nehmen.
Es wurde auch zwischenzeitlich eine Zusammenlegung der beiden diskutiert. Das sehe ich nicht unbedingt als notwendig, da beide Häuser eine eigene Rolle haben in der österreichischen Gesellschaft. Aber engen Austausch, Kooperation und Zusammenarbeit fände ich gut. Es müsste eben ein Bruch mit dieser alten Art der heroisierenden Schaustellung passieren. Und das schon erwähnte Beispiel des Militärhistorischen Museums in Dresden zeigt, dass das in einem von der Armee geführten Museum möglich ist.