MALMOE

Alter Plunder vs. neue Welt

Ernst Jünger ließ seine Tagebücher in ein wertvolles und besonderes Leder binden, das seine volle Schönheit erst nach dreihundert Jahren erreicht haben soll. Zwei Dinge lassen sich hieran erkennen. Erstens, rechte Autoren lassen sich dank ihrer Eitelkeit leicht von Buchbindern hinters Licht führen. Zweitens, Konservative entwickeln häufig eine übersteigerte Zuneigung zu alten Dingen. Sie glotzen auf den ollen Plunder, weil sie sich von ihm mehr erwarten als von der verdorbenen Gegenwart und der wenig vielversprechenden Zukunft. Rechte Autor*innen (es sind fast ausnahmslos Männer) haben deswegen häufig altertümelnd inszenierte Arbeitsplätze mit Schreibpult und dekorativer Gänsefeder, so als müssten sie sich selbst und ihrem Publikum suggerieren, dass sie einem altehrwürdigen Gewerbe angehören. Hierbei übersehen sie eins: Literatur ist zur Gegenwart verdammt. Historische Texte müssen immer erst durch Gegenwartsautor*innen vermittelt werden.

Man kann ein Tintenfass jahrhundertelang aufbewahren, aber keinen Gedanken. Der lässt sich nicht konservieren. Was einmal treffend in Sprache gefasst wurde, wird schon wenige Jahrzehnte später kaum mehr verstanden. Die vom Lehrplan geplagten Deutschlehrer*innen können dies bestätigen. Schon hundert Jahre alte Texte brauchen beinahe „Fremdsprachenkenntnisse“, weil die darin artikulierten Gedankengänge und Ausdrucksweisen heute viel zu ungewöhnlich erscheinen.

Konservative wollen dies nicht wahrhaben. Sie hofieren gerne das Überkommene, wollen einen Idealzustand in der Geschichte festhalten und tun so, als hätten sie einen Exklusivvertrag mit dem historisch Großen, das angeblich von ihnen bewahrt werden müsse. Nun ist Besinnung auf Altes per se nicht falsch. Nur muss dieses „jetzt“ eingesetzt werden. Für das Denken des Neuen kann das Alte herhalten, erscheint dabei aber notwendig nicht als alt, sondern eben als neu. Ein Truismus, der jedem Konservativen beim Blick ins zinnerne Tintenfass hätte aufgehen müssen. Folglich: Zu schreiben, ohne dabei auf eine neue, bessere Welt zu hoffen, wird immer muffig. Die Wahrheit liegt vor der Windschutzscheibe und nicht im Rückspiegel. Das ist übrigens eine (allenfalls halbgescheite) Metapher, die in hundert Jahren, nach der Abschaffung des Automobils, kein Mensch mehr spontan begreifen wird. Lesen wird sie aber ohnehin keine*r, denn wer wird sich die Mühe machen, MALMOE in dieses enorm teure und besonders haltbare Leder zu binden?