In der Nacht vom 26. auf den 27. August 1984 verlieren Ramazan, Remziye, Rukiye, Aynur & Eylem Satır sieben ihrer Familienangehörigen durch einen Brandanschlag. Die Schwestern Rukiye und Aynur Satır springen aus dem 2. Obergeschoss des Altbaus auf die Straße und retten ihr Leben schwerverletzt. Döndü, Çiğdem, Ümit und Songül Satır, Zeliha, Rasim und Tarık Turhan verlieren ihr Leben. Warum sie sieben Angehörige verlieren und sie selber schwerverletzt wurden, erfahren die Betroffenen bis heute nicht. Es gibt kein Gedenken, niemand kennt die Namen der Opfer.
Ein Kommentar der Initiative Duisburg 1984
1993, inmitten der rassistischen Pogromjahre im wiedervereinigten Deutschland, wird eine Duisburgerin wegen des Tatverdachts, einen Brandanschlag auf ein Geflüchtetenwohnheim in Duisburg verübt zu haben, in Untersuchungshaft genommen. Noch in Haft legt sie das Geständnis ab, im August 1984 das Haus in der Wanheimerstraße 301 in Brand gesetzt zu haben. Die Täterin wird durch ein forensisches Gutachten überführt, verurteilt und in der Psychiatrie untergebracht. Jenseits des Geständnisses ermitteln die Behörden – das wissen wir heute auf Basis der Akten der Duisburger Staatsanwaltschaft – nicht weiter. 1991 hatte die Staatsanwaltschaft einen unschuldigen, jugoslawischen Bewohner des Hauses in der Wanheimerstraße wegen des Verdachts auf „Ausländerkriminalität zwischen jugoslawischen und türkischen Gruppen“ für neun Monate in Untersuchungshaft gesteckt, wofür er bis heute keine Entschädigung erhalten hat.
In den 1980er Jahren herrschte eine Hochkonjunktur des Rassismus in der BRD. Es wird von „Ausländerüberflutung“ und „Überfremdung“ geredet, Bürgerinitiativen gegen Migrant*innen gründen sich und die Politik versucht mit aggressiven Abschottungs- und Rückführungskampagnen Migration rückgängig zu machen, wie Ende November 1983 durch das „Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft“ und mit der Verschärfung des Rechts auf Asyl. Unsichtbar gemachte, entrechtete und von der westdeutschen Abschottungspolitik bedrohte Migrant*innen wurden so zu öffentlich vorgeführten Hassobjekten und Sündenböcken. In jenem Kontext dieser politischen Anti-Migrationshaltung der Bonner Republik unter Helmut Kohl und während der Pogromjahre im wiedervereinigten Deutschland fanden zwei Brandanschläge auf ausschließlich von Migrant*innen bewohnte Wohnhäuser in Duisburg statt. Es starben sieben Menschen, ohne dass Behörden Rassismus als politisches Tatmotiv in Betracht gezogen haben. Aber Rassismus und rassistische Gewalt ist nie eine Einzeltat. Die Behörden haben sich nicht die Frage gestellt, was eine psychisch kranke Frau veranlasste, Unterkünfte von Migrant*innen anzuzünden? Die Sicherheitsbehörden suchten keine Antwort auf diese Frage. Nicht 1984, nicht 1993 und auch nach dem Geständnis wurde nicht über Rassismus als Ursache der Brandanschläge gesprochen.
Aber wir sprechen heute als Initiative über Rassismus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Initiative mit dem politischen Wissen aus der Betroffenenperspektive, der Vernetzung mit weiteren Initiativen und der antirassistischen Haltung und politischen Vision das ignorante Narrativ der Sicherheitsbehörden anfechtet und das Urteil des Prozesses von 1993 nicht anerkennt.
„Von Rassismus wurde damals nie gesprochen“, erinnern sich die Angehörigen, Opfer und Überlebenden des Brandanschlags aus Duisburg heute. Sie fügen hinzu: „Wir haben damals an Ausländerfeindlichkeit (türkisch: yabancı düşmanlığı) gedacht, schließlich wurden wir schon in der Schule und Nachbarschaft ständig als ‚Kümmeltürken‘ bezeichnet. Aber was hätten wir damals tun können, wir sprachen kaum Deutsch, hatten niemanden, der an unserer Seite stand, und wir waren sehr schwer verwundet, haben Jahre gebraucht, bis wir auf die Beine kamen.“
Deshalb muss es unsere Initiative und die Solidarität mit den Opfern und Überlebenden heute geben. Damit die institutionelle Amnesie in Bezug auf den Brandanschlag und somit die strukturelle Verhöhnung der Trauer der Betroffenen durch Politik, Medien und Strafverfolgungsbehörden durch eine angemessene Aufklärung endlich ein Ende findet; damit ihre Stimmen und Geschichten gehört werden und als Mahnung gesellschaftlich sichtbar werden. Damit ihre verstorbenen Familienmitglieder ihre Namen und Gesichter zurückbekommen; damit der dringende Tatverdacht eines politischen und somit rassistischen Hassmotivs zum ersten Mal für den Duisburger Fall ermittelt wird, damit alle Mitverantwortlichen für das strukturelle Wegsehen und Unsichtbarmachen durch die ermittelnden Behörden mitangeklagt werden und die Politik sich für die Täter-Opfer-Umkehr öffentlich entschuldigt.
Wir müssen unsere gemeinsame Arbeit mit den Angehörigen sichtbar machen, damit ein öffentlicher Gedenkort in Duisburg, der den Wünschen und Vorstellungen der Betroffenen entspricht, entstehen kann. Wir müssen uns in die vielen Kämpfe der Migrantifa einstimmen, damit nie wieder vergessen wird, dass Rassismus tötet. Deshalb fand die erste öffentliche Gedenkveranstaltung in Duisburg im August 2019 statt. Deshalb organisieren wir unsere zivilgesellschaftliche Arbeit im nächsten Jahr vor allem lokal in breiten, neuen Bündnissen und machen unsere Forderungen laut, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten, die den Fall neu aufrollt. Wir fordern, das Tabu und die Verschwiegenheit zu brechen und eine Aufarbeitung rassistischer-rechter Gewalt in den 1980er Jahren in Westdeutschland zu veranlassen! Wir werden Kundgebungen organisieren, weiter publizieren, den Angehörigen zuhören, uns für ihre psychische und soziale Stabilisierung und ihr Empowerment sowie eine Aufklärung und ein Gedenken einsetzen.