Gestörtes Störendes #12
Wir hatten mal Besuch von meinem Vater und meiner Stiefmutter und wollten was Leckeres auftischen. Es gab Kalbsgulasch mit selbstgemachten Spätzle. „Meine Frau“ hat das Gulasch gemacht, ich die Spätzle. Lob bekamen nur letztere, eine sehr simple Beilage. Das aufwändige Gericht ging leer aus, obwohl es vorzüglich schmeckte. Wie kommt das?
Männer stehen auf einem Podest. Durch die Hierarchie der patriarchalen Ideologie werden „männliche Werte“ und Männlichkeit höher bzw. besser eingestuft als weibliche. Immer noch sind die männlichen Werte die Norm, die weiblichen das Andere, Abweichende, Nebensächliche, Schmückende. Leistungen von Männern werden besser bewertet als die von Frauen, auch wenn sie gleichwertig oder sogar weniger wert sind, wie im Falle der Spätzle. Diese künstliche narzisstische Erhöhung, die den Männern im Patriarchat zuteilwird, tut ihnen (und damit auch anderen) gar nicht gut. Solch eine Ausgangslage unterstützt eine Selbstwertdynamik, die sehr brüchig ist. Ein Begriff, der hier immer wieder in Anschlag gebracht wird, ist jener der Kränkung. Der Junge und später der Mann auf dem Podest sind es gewohnt, für ihr Mann-Sein oder für Leistungen Anerkennung zu bekommen oder gelobt zu werden (anstatt bedingungslos angenommen zu werden). Bleibt das aus, kann es zu Verunsicherungen kommen; wird das Alltägliche oder Banale einer Leistung thematisiert – im Sinne von: Komm mal runter von Deinem Podest! oder: Das ist doch nichts Besonderes! – oder ein vermeintliches Recht verletzt – z.B.: Ich verlasse Dich! –, kann das für Männer sehr kränkend sein. (So lächerlich sich das anhören mag – die erlebten Gefühle sind real.) Die Erfahrung, nichts Besonderes zu sein, sondern ein Mensch wie jede_r andere, und nicht qua Geburt besondere Rechte zu haben, kontrastiert mit unserer patriarchalen Kultur, die Jungen und Männern vermittelt, dass es genau umgekehrt ist, dass sie – einfach so! – was Besonderes sind und dass sie natürlich (!) mehr wert sind als Frauen bzw. Mädchen. Jungs merken sehr schnell, dass „wie ein Mädchen sein“ für sie eine Abwertung bedeutet.
Bei mir persönlich ist es gerade so, dass ich durch eine Bildungskarenz von meinen gewohnten Selbstwertquellen (Kolleg_innen und Klient_innen) abgeschnitten bin. Ich sitze in Vorlesungen und Seminaren als einer unter vielen und bin ansonsten viel daheim und lese und schreibe (wenig), kaufe ein, koche, putze, hole oder bringe die Kinder usw. Ich merke, dass mir die ständige externe Bestätigung, dass ich gut bin, fehlt. So ganz auf mich gestellt und viel in den häuslichen Bereich verlagert (Unsichtbarkeit! Unwichtigkeit!), spüre ich die Brüchigkeit meines Selbstwertes sehr stark. Ich spüre also die verinnerlichte, patriarchale Kultur, die mir (schon lange) in Fleisch und Blut übergegangen ist, die zu meinem Habitus, zu meinem „natürlichen“ Fühlen, Sehen, Erkennen, Bewerten geworden ist. Die feministische Theorie liegt wie ein Firnis darüber; wenn dieser spröde wird und bröckelt, zeigt sich das alte darunter. Meine (kleine) aktuelle Krise führt mir also vor, wie tief diese patriarchalen Selbstwertquellen verankert sind. Natürlich kommen dann noch meine biographischen Spezifika hinzu, Beziehung zu den Eltern usw. Aber ohne das ganz persönlich für mich aufzuschlüsseln, bleibe ich unter meinen politischen Erwartungen. Fürs Erste gehe ich also mal wieder in Psychotherapie.