Warum Peter Handke eine radikale Kritik mehr als verdient hat
Peter Handke, der Sohn einer Kärntner-Slowenin, ist Unterstützer der slowenischen Literatur und Sprache, wofür man ihn durchaus schätzen kann. Jedoch ist er zugleich Freund und Unterstützer des serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milošević, für den er 2006 eine Grabrede hielt und den er 2004 im Gefängnis in Den Haag besuchte. Dort wurde Milošević 1999 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die Liste der insgesamt 66 Anklagepunkte besagt zusammengefasst, dass Slobodan Milošević verantwortlich ist für Folter und Mord von zehntausenden und für die Vertreibung von hunderttausenden Menschen. Aufgrund eines Herzversagens entging Milošević einem vorhersehbaren Urteil des UN-Kriegsverbrechertribunals. Nun gibt es seit der Bekanntgabe des Nobelkomitees eine heftige, oft sehr polemisch geführte Debatte, ob es legitim war, dem Autor trotz dessen politischen Positionen den Preis zuzusprechen.
Trennung von Literatur und Politik
Das häufigste Argument, das zur Verteidigung Handkes ins Feld geführt wird, ist, Literatur und Politik müssten voneinander getrennt werden. Natürlich ist es legitim, die Literatur von Handke zu lesen. Seine sprachliche Genialität steht außer Frage. Dennoch ist es problematisch, dass er den Literaturnobelpreis bekommt, denn der Preis wird nicht dem Werk oder der sprachlichen Genialität überreicht, sondern der Person Peter Handke. Die deutsche Autorin Margarete Stokowski kritisiert, dass der Reflex Kunst und Künstler*in zu trennen umso stärker aufkommt, „je umfassender die eigene Bewunderung für den Künstler bisher war, und der Versuch, die Enttäuschung abzuwehren, umso vehementer, je stärker das eigene Selbstbild ins Wanken geraten könnte, wenn man sich eingesteht, wen man da verehrt (hat).“ Dies könnte bei vielen Handke-Bewunderern zutreffen.
Umstrittene Serbientexte
Bei Handke funktioniert die Trennung seiner Literatur und seiner politischen Meinung allein deswegen nicht, da er seiner politischen Meinung häufig literarisch Ausdruck verliehen hat. Allem voran mit dem Reisebericht Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien von 1996. Dabei handelt es sich um die Beschreibung einer Reise Peter Handkes nach Serbien, in der er versucht, die Friedfertigkeit der serbischen Zivilist*innen aufzuzeigen. Mithilfe von harmlosen Naturbetrachtungen und der Beobachtung von Menschen beim Tanken oder Blumenpflücken versucht Handke darin, der einseitigen Dämonisierung Serbiens in den westeuropäischen Medien Normalität entgegenzusetzen. Handkes Vorhaben sei so intelligent „wie eine Reise in die Weite der russischen Steppe zu stalinistischen Zeiten zu unternehmen und alle Berichte über den Archipel Gulag als Propaganda abzulehnen“, meint die Publizistin Carolin Emcke.
Fatale Lücke bei Handke
Es geht nicht lediglich darum, was Handke geschrieben hat, sondern auch um das von ihm Ausgesparte. Gerade in seinen Jugoslawien-Texten fehlen die Opfer der Genozide. Und die Beschreibung der Täter als Täter. Material dazu gäbe es genug: Die Verbrechen Miloševićs sind gut dokumentiert. In ihrem Kommentar im Falter spricht Jagoda Marinić deshalb von der „unerträglichen Lücke“ in Handkes Literatur.
In der ganzen Diskussion dürfen jedoch die Opfer des Krieges, freilich auf allen Seiten, nie vergessen werden und die Täter müssen benannt werden. Die Diskussion um Handke, die als veraltet und bereits ausgetragene abgetan werden könnte, ist gerade deswegen noch immer relevant.
Handkes Geschichtsrevisionismus
Handkes politisch äußerst problematische Äußerungen stammen nicht nur aus den 1990er-Jahren. In einem Interview von 2011, dass er der obskuren Zeitschrift Ketzerbriefe gegeben hat, erreichen diese einen Höhepunkt: „Mir kommt es so vor, als sei es ein Racheakt von serbischer Seite gewesen. Nicht, dass ich es verurteilen würde, aber ich kann es auch nicht uneingeschränkt gutheißen. […] Vielleicht war es ein Rachemassaker oder was auch immer; ich weiß es nicht, ich bin kein Experte. Ich war sechsmal in Srebrenica, habe aber die Leute nie richtig gefragt“, sagt Handke.
Den letzten Satz muss man zweimal lesen, um seine Absurdität zu begreifen. Nicht, dass Handke das Massaker in Srebrenica verurteilen würde, aber selbst er kann den Genozid an mehr als 8000 Menschen „nicht uneingeschränkt gutheißen“. Handke sträubt sich dagegen, das Wort Genozid für das Massaker von Srebrenica zu verwenden, obwohl dieses vom Internationalen Strafgerichtshof 2007 als solcher klassifiziert wurde. Später im Interview meint Handke, dass er das Schlimmste in Srebrenica „für konstruiert“ halte und setzt der Geschmacklosigkeit die Krone auf, indem er die Angehörigen der Opfer verleumdet: Handke glaubt den „sogenannten Müttern von Srebrenica“ kein Wort, er nimmt ihnen „die Trauer nicht ab“.
Der trotzige Journalist*innen-Schreck
Als einer, der die Sprache genau nimmt und Person öffentlichen Interesses ist, muss er die Verantwortung dafür tragen, was er sagt, tut und schreibt. Dass Handke in seinem Heimatort Griffen das Gespräch mit Journalist*innen abbricht, als diese ihn auf die Kritik seines Autorenkollegen Saša Stanišić ansprechen, zeugt von Trotz. Verantwortung zu übernehmen sieht anders aus.
Für viele bleibt Handke einfach ein Provokateur, ein Rebell, der sich eben nicht der Mainstream-Meinung anschließe. Ein Künstler, der irritiert. Demnach sprach Handke auch von den „Lügen der Presse“. Der viel beschworene Begriff der „Lügenpresse“ ist heute vor allem ein Schlagwort der extremen Rechten. Die Kritik, die Handke an den Medien und Journalist*innen übt, ist alles andere als widerständig oder kritisch. Vielmehr bleibt Handke der Öffentlichkeit eine ernstzunehmende Stellungnahme schuldig. Letztlich sollte sich die Debatte von Handke lösen und zu Formen der Geschichtsschreibung und Erinnerung übergehen. Gerade dazu tragen Schriftstellerininnen bei und dazu müssen sie stehen.
Kein Mann des Friedens
Neben seinen problematischen Ansichten zum serbischen Nationalismus muss Handke auch aus feministischer Perspektive kritisiert werden. Denn bezüglich #MeToo nahm Handke eine ähnlich trotzige Haltung ein wie zur Kritik an seiner Person. Angesprochen auf die Bewegung, sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung der Freitag: „Ich kann es nicht mehr hören“.
Darüber hinaus gibt es den Vorwurf der körperlichen Misshandlung von Marie Colbin, Handkes früherer Lebensgefährtin. Diese schreibt 1999 in einem öffentlichen Brief über Handke, dass sie noch immer höre, wie ihr Kopf auf den Steinboden knallt und sie noch immer Handkes Bergschuh im Unterleib und seine Faust im Gesicht spüre. Margarete Stokowski weist im Spiegel darauf hin, dass Handke seinem Biografen Malte Herwig gegenüber zugab, Marie Colbin geschlagen zu haben: „Ich habe ihr einen Tritt in den Arsch gegeben. Ich glaube, ich hab ihr auch eine heruntergehauen. Ich wollte einfach arbeiten, und das ging nicht. Trotzdem war das nicht gut. Ich hab mich auch selber nicht gemocht.“
Es ist trotz aller Kritik legitim, die Literatur von Handke zu lesen und auch zu schätzen. Problematisch ist viel mehr der räudige Trotz, mit welchem die Handke-Verteidiger*innen diesen über alles und allen stehenden Literaturgenius rechtfertigen wollen. Dieses Zusammenspiel aus Unterwürfigkeit gegenüber der Künstlerautorität und der Überheblichkeit gegenüber den Kritiker*innen resultiert in untergriffigen und polemischen Angriffen gegen eine berechtigte Kritik.
Handke wurde für sein Werk schon zur Genüge ausgezeichnet. Gerade wegen seiner großen Berühmtheit hat Handke neben Lob und Anerkennung eine radikale Kritik mehr als verdient. Bliebe der große Literat davon verschont, würde sich Handke reibungslos in den unreflektierten Lokalpatriotismus fügen, der mit einer ohnehin hierzulande nicht unbekannten revisionistischen Geschichtsauffassung und dem sexistischen Normalzustand kein Problem zeigt.