Das Belvedere 21 zeigt noch bis 12. Jänner 2020 die Installationen der Künstlerin Henrike Nauman, die mit Relikten der deutsch-deutschen Geschichte arbeitet
Ostdeutsche Wohnzimmer der Nachwendezeit sind aus heutiger Sicht eine visuelle Kammer des Schreckens. Aber können sie auch als Sinnbilder der politischen Hässlichkeit ihrer Zeit verstanden werden? Birke oder Buche natur ist die Bezeichnung der Farbe des Furniers, das aus wohl für immer ungeklärter Ursache in den Jahren von 1990 bis 2000 in allen ehemals ostdeutschen Haushalten nahezu jedes Wohnzimmer, jedes Schlafzimmer und ausnahmslos jedes Jugendzimmer in gelbliche Matschfarbe tauchte. Über dem Möbelgeschmack dieses Jahrzehnts liegt gegenwärtig zumeist ein Schleier der Scham, während Mode, Frisuren und Musik in anachronistischer Endlosschleife durch alle medialen Kanäle zirkulieren. Die Arbeiten der deutschen Künstlerin Henrike Naumann führen die Sphären dieser verdrängten innenarchitektonischen Geschmacksverirrung und der gesellschaftspolitischen Ereignisse dieser Jahre zusammen und erinnern schmerzvoll an das, was sie waren und sind: hässlich.
Einzelne Arbeiten der Künstlerin wurden im Untergeschoss des Museums arrangiert wie eine Musterwohnung in einem Möbelgeschäft. Sie ist ausstaffiert mit unzähligen Insignien seltsam anmutender Deutschtümelei wie Fellen, Bierkrügen, Trinkhörnern, Kissenbezügen mit Reichsadler und der Monographie von Jörg Haider, aber auch dem grotesk geometrischen Deko-Kitsch der Neunziger. Als Besucher_in wandelt man scheinbar durch eine Raum gewordene Blaupause der Vergangenheit. Die ostdeutsche Identitätskrise der Nachwendezeit materialisiert sich demnach in synthetischen Kuscheldecken, plastikartigen Vorhängen nach Vorbild amerikanischer Sitcoms und glitzernder Strukturtapete. Das offensichtlich fehlende Bewusstsein für die Wertigkeit von Materialien verlockt zu der vorschnellen Analogisierung jener Stillosigkeit mit der ähnlich unansehnlichen politischen Einstellung vieler Ostdeutscher damals wie heute. Dabei ist die Narration der Ausstellung eine Fiktion, eine niemals wirklich gewordene Version der Vergangenheit, in der die Reichsbürgerbewegung nach der Wende die Regierung übernimmt und Österreich „heim ins Reich“ holt. Die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und dem dystopischen Vergangenheitsentwurf sind fließend, in ihrer Gesamtheit erscheinen diese Devotionalien des Germanenkults zu viele, im Einzelnen jedoch vertraut.
Auf mehreren Röhrenfernsehern laufen Videos im Stil der Homevideos, jenen leicht verwackelten und zusammenhangslosen Videoschnipseln, deren Aufzeichnung zumeist akribischen Familienvätern als neue Lebensaufgabe vorkam, als nach der Wende die Camcorder auch in die ostdeutschen Haushalte einzogen. Die Videos zeigen Jugendliche beim Tanzen zu Techno, ein anderes spult in Endlosschleife aneinandergereihte Szenen ab, in denen Anhänger_innen der Reichsbürgerbewegung auf deutsche Polizist_innen treffen oder klandestine Staatsverträge aufsetzen. Untermalt wird es von den verzerrten Klängen des Songs Dieser Weg von Xavier Naidoo, jenes verschwörungstheoretischen Apologeten, dessen softiger Popsound seit über fünfzehn Jahren die Herzen derer erwärmt, die sich auf irgendeine Weise vergessen, verraten, verletzt und abgehangen fühlen. Der 2005 veröffentlichte Song wurde zum Mantra der Fußball WM der Männer 2006 und schloss mit der abgewandelten Textzeile „Dieser Weg war kein leichter Weg, dieser Weg war steinig und schwer“ den vorangegangenen Prozess einer neuen Wir-Deutschen-Konstruktion über die Dauer der WM ab. In Naumanns Video fungiert er als Nationalhymne des fiktiven deutschen Reiches.
Während der Anblick der Schrankwände aus Pressholz, der in Metallic-Optik beschichteten Stühle und die Haptik der sich superweich und supergiftig anfühlenden Heimtextilien Erinnerungen wachkitzeln, wird die Gegenwart der Besucher_innen mit der Vergangenheit verknüpft, wenn sie auf den Sitzmöbeln Platz nehmen, um die Videos der Ausstellung anzusehen. Sie selbst werden dann zu den potentiellen Bewohner_innen dieses kleinstbürgerlichen Arrangements, haben Teil an den exzessiven Rauscherlebnissen der Techno-Kids und der Wut und dem Hass der Reichsbürger_innen, die so oft lediglich als weitere Entwicklungsstufe der Wendeverlierer_innen hingestellt werden. Die Besucher_innen werden integraler Bestandteil und Protagonist_innen einer historischen Kontinuität von der Wende über die neue Patriotismuswelle der Nullerjahre bis in ihre eigene Jetztzeit. Die Arbeit ist in keiner Weise eine reine Retrospektive einer äußerst gewaltvollen Epoche deutscher Geschichte. Sie ist vielmehr ein installatives Abtasten und Ausloten einer strukturell bedingten Ästhetik der politischen Hässlichkeit. Die fiktive Erzählung nutzt die Möbel als Kulisse und verwendet somit eine Ästhetik, die sich vielleicht symptomatisch anhand ihrer Möbelkultur periodisieren lässt. Eine Analyse dagegen erlauben sie nicht. Die historische Kontinuität, die durch die zeitüberspannenden Elemente in den Videos und die Eingebundenheit der Besucher_innen generiert wird, verweist auf die strukturelle Dimension der politischen Hässlichkeit. Nach Buche natur kam Ahorn hell, nach Strukturtapete kamen die Wandtattoos. Neben Xavier Naidoo gibt es heute Andreas Gabalier.