Die aktuelle „Austropop-Welle“ trägt massiv zu sexistischen und rassistischen Ausschlüssen bei. Ein Aufruf zu mehr Widerspruch
Vor ziemlich genau zehn Jahren hat Nino aus Wien mit seinem Lied Du Oasch erstmals eine größere Öffentlichkeit erreicht. Für Menschen mit österreichischem Dialekt als Erstsprache kann der Titel durchaus ansprechend tönen. Spätestens die Verszeile „Diese Bitch gehört mir“ schmälert aber die Begeisterung jener, die sich für gesellschaftliche Machtverhältnisse und die Relevanz von sprachlichen Äußerungen in kulturellen Produktionen interessieren. Bei alteingesessenen (also hierzulande männlichen*) Musikkritikern sorgte das Wort hingegen „für erhebliche Komik“ (Karl Fluch). Zehn Jahre später hat sich die ungute Vorahnung bestätigt: Längst wurde eine „neue Austropop-Welle“ heraufbeschworen, in deren Zentrum einmal mehr weiße Hetero-Cis-Männer stehen, die landauf, landab recht unkritisch rezipiert und gefeiert werden.
Musikalisch lässt sich der aktuelle Trend durch ästhetische Rückgriffe auf musikalische Formate beschreiben, die sich mit Bezug auf Wolfgang Ambros, Georg Danzer & Co als erste Welle des „Austropop“ konstruieren lassen. Waren diese Liedermacher in einer Zeit, die mit gesellschaftlichem Aufbruch verbunden war, teilweise mit sozialkritischen Liedern erfolgreich, so finden sich solche bei deutsch-singenden Acts heute nur ausnahmsweise, etwa bei 5/8erl in Ehr’n, Christoph & Lollo oder Attwenger. Die meisten Texte imitieren stattdessen Stil und Inhalte der 1970er- und 1980er-Jahre und propagieren rückständige heteronormative Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder. Auch in der alternativen Ecke wird wieder von „meiner Oiden“ und über „de Weiber“ gesungen oder Songs wie Wem gheard des Mensch (Voodoo Jürgens) veröffentlicht. Dies zeigt gut, wie weit der antifeministische Backlash bereits fortgeschritten ist.
Altes neu gemacht
Bei der sowohl musikalisch wie textlich qualitätslosen Band Wanda kann vermutet werden, dass sich ihr Erfolg nicht trotz, sondern durch ihre latent sexistische Macho-Performance erklärt. Immerhin wurde darüber in einigen deutschsprachigen Medien diskutiert. Andere Auswüchse des Machismus wie etwa (das Video zu) Abtauen Girl (Nino aus Wien featuring Skero) werden selten kritisch kommentiert.
Wenn es in den selbst verfassten Lyrics manchmal doch nicht so leicht von der Hand geht, dann wird eben auf Reprisen zurückgegriffen. So interpretieren Ernst Molden und Nino aus Wien für ihr Cover-Album Unser Österreich etwa Georg Danzers Vorstadtcasanova. Selbst wenn das Booklet zum Album eine abgefackelte Österreich-Fahne ziert, darf bezweifelt werden, dass es einen „Austropop“ „jenseits jedes nationalpatriotischen Kleingeists“ (Walter Gröbchen) geben kann. Heute wie damals wird in den Texten ein ethnisch homogen imaginiertes Wien (und Österreich) besungen, konstruiert und verklärt, das es auch schon früher so nicht gab. Menschen mit Migrationserfahrung kommen zumeist weder in den Erzählungen noch auf den Bühnen vor.
Austropop sells
Schnitzelbeat-Herausgeber Al Bird Sputnik beschrieb am heurigen Nationalfeiertag in seinem Text „The Great ‚Austropop‘ Swindle“ für FM4 das Phänomen als „Pseudo-Genre, das einzig und allein kommerziellen Attributen huldigte“. Die Bezeichnung „Austropop“ tauchte demnach erst Mitte der 1970er in den Medien auf, erfunden von hiesigen Major-Labels zur Vermarktung eines aktuellen Trends, nämlich der „Dialektwelle“, die ausgeschlachtet wurde und immer noch wird. Demnach handelte es sich damals um ein „Genre ohne Geschichte, ohne echte musikalische Ausrichtung und ohne subkulturelles Fundament“. Dies erklärt auch, warum die, etwa bei der Soziologin Rosa Reitsamer beschriebene, spätere Entwicklung möglich war, die ihren Höhepunkt mit der seit 2006 produzierten „Austropop“-Fernsehserie Weltberühmt in Österreich erreichte. Sie hat dazu geführt, dass mittlerweile jede nur halbwegs vermarktbare Musik-Produktion aus Österreich mit „Austropop“ gemeint sein kann, selbst feministische und queere Projekte, wie Gustav oder pop:sch.
Meist doch ausgenommen sind Formationen, die der mit Othering-Prozessen verbundenen Konstruktion „Weltmusik“ oder dem Rap zugerechnet werden. Gerade letzterem wird ja üblicherweise sogar von unkritischen Medien gerne Sexismus nachgesagt. In der aktuellen Wiener Landschaft gibt es aber gerade in diesem Bereich eine sehr lebhafte antisexistische und antirassistische Szene, die etwa vom Kollektiv Femme DMC und der Veranstaltungsreihe Gürtel Squad getragen wird und Acts wie Esrap einschließt oder den antifaschistischen Rapper Kid Pex, dem wir endlich eine musikalische Gegenrede zu Andreas Gabalier verdanken.