MALMOE

Fragen an den Titel

Also, lieber Titel, wieso schreibt in Österreich eigentlich jede*r selbst an die Türklingel „Dr.“ soundso? Warte ich wirklich kürzer bei Ärzt*innen und Ämtern? Und gibt es tatsächlich eine Hierarchie von Titeln, sodass der Diplomingenieur an einem Master of Science vorbeizieht?

Ja, das ist schon komisch. Den Österreicher*innen wird jedenfalls ein gewisser Titelfetisch nachgesagt, besonders auffallend im Vergleich zum Nachbarland Deutschland, an dem man sich sonst so gerne orientiert, und wo das ausbleibt. Ich kann leider schwer sagen, ob und was das für Vorteile bringt. Die Eigentümlichkeit liegt allerdings – wie so oft – im Geworden-Sein, also in der Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg, den die Habsburger nicht nur angezettelt, sondern auch verloren haben, wurde die Schuld neben Jüd*innen auch dem Adel gegeben. Als Unterstützer und Finanzier des Krieges galt der Adel, nach der Niederlage dann als Verursacher des radikalen Zusammenschrumpfens und nicht zuletzt des peinlichen Formüberbleibsels. Enteignungen und Wegnehmen der Titel waren die Strafe.

Es gab sozusagen einen Anti-Titelismus in Österreich? Kaum vorstellbar!

Genau. In der Ersten Republik gab es keinen Fürsten, keine Gräfin und keine von-Irgendwas mehr. Da die titellose Gesellschaft aber keine klassenlose Gesellschaft war, erfand man im Gegenzug neue. So wurde der Beamtenstab mit Titeln bedacht. Als Hofrat oder Amtsrat erfreute man sich gesellschaftlicher Anerkennung. Dies überdauerte den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus und erlebte in der Zweiten Republik ein Revival. Denn zum zweiten Mal baute Österreich (nicht ganz freiwillig) eine Demokratie auf und dafür waren Beamte wesentlich. Meine aufgeblasene Bedeutsamkeit ist ein Austrozifikum.

Eigentlich bist du eine Schubladisierung von Berufen?

Dass meine Verleihung weniger mit der Qualifikation als mit dem gesellschaftlichen Stand zu tun hat, erkennt man doch auch ohne rot-weiß-rote Augen. Denk etwa an ländliche Gebiete, wo noch heute die angeheiratete Gattin des Arztes vom ganzen Dorf mit „Frau Doktor“ angesprochen wird. Oder wie erklärst du dir, dass noch jedes Kipferl sein „Bachelor of Arts“ auf die Visitenkarte druckt?

Was ist also die Differenz zu Deutschland?

Nun, da in Deutschland Adelstitel nie abgeschafft wurden, musste dieses Titel-Loch auch nicht mit diversen ehrlichen und unehrlichen Hofräten, Mags und B.A.s gefüllt werden.

Okay. Es scheint, als ob der damalige Titelverlust des österreichischen Adels ein schweres kollektives Titeltrauma ausgelöst hat, oder wie siehst du das, Titel?

Dipl.-Päd. Titel, MA, bitte!