Ein neuer Sammelband im Mandelbaum-Verlag beleuchtet unterschiedliche Aspekte der österreichischen Rätebewegung
Die österreichische Geschichte kennt nur wenige Momente, in denen es gelang, zumindest ein paar Vertreter_innen der herrschenden Klasse zu vertreiben und das Machtgefüge zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung zu verschieben. Die bedeutendste dieser Sternstunden der Demokratie behandelt der bei Mandelbaum erschienene Band, der mit seinen von acht Autorinnen und ebenso viel Autoren verfassten Beiträgen einen kompakten und schnell lesbaren Einstieg zur Rätebewegung von 1918/19 liefert.
Die Leser_innen erhalten einen Überblick über den Ablauf der Ereignisse, lernen die Namen und Positionen der Protagonist_innen ebenso kennen wie die von diesen herausgegebenen Zeitschriften, die Titel wie Der Strahl, Sowjet, Revolution!, Neue Gemeinschaft, Freie Arbeiter oder Erkenntnis und Befreiung trugen. Wie schön wäre es, diese Publikationen auch online lesen zu können, hier wären wohl die Bibliotheken aufgefordert, einen eigenen Digitalisierungsschwerpunkt zu setzen.
Blick auf die Geschlechtergeschichte
Das Rätemodell konzentrierte sich vorwiegend auf eine Reform der Lohnarbeit, wodurch die in unbezahlter Care- und Reproduktionsarbeit tätigen Frauen davon ausgeschlossen waren.
Dieser Umstand war, wie Veronika Helfert ausführt, den Zeitgenoss_innen durchaus bewusst; Revolutionärinnen wie Berta Pölz, Anna Hornik-Strömer, Hilde Wertheim, Marie Scherl und Elfriede Eisler-Friedländer ließen sich ohnehin nicht von ihrer politischen Tätigkeit abhalten. Ausführlicheres dazu ist in Helferts letztes Jahr verteidigter Dissertation zur Geschlechtergeschichte der österreichischen Rätebewegung nachzulesen, einer Arbeit, die hoffentlich bald auch als Buch vorliegt.
Weitere Artikel widmen sich dem jüdischen Arbeiter_innenverein Poale Zion, den Nachwirkungen der Rätebewegungen in der politischen Theorie sowie der Situation in Ungarn und Bayern. Vor allem letzterer, von Simon Schaupp konzise verfasster Text macht Lust, dessen umfassendere, vor zwei Jahren bei Unrast erschienene Studie zu lesen.
Besonders freuen kann sich, wer letztes Jahr die Gelegenheit hatte, das für die Wienwoche produzierte Stück Pannekoeks Katze zu sehen: Der Text der grandiosen Aufführung des Papiertheaterkollektivs Zunder bildet den Abschluss des rundum empfehlenswerten Bands.
Anna Leder, Mario Memoli, Andreas Pavlic (Hg.): Die Rätebewegung in Österreich. Von sozialer Notwehr zur konkreten Utopie, Mandelbaum, Wien/Berlin 2019