An dieser Stelle findet sich Kürzestprosa – von einer Zeile bis zu einer halben A-4-Seite –, verfasst von verschiedensten Autorinnen*, kuratiert von Marie Luise Lehner und Katharina Pressl. Solche Mini-Formate verschwinden häufig. Sie sind schwierig zu publizieren, da sie nicht den präferierten Anforderungen von Länge und Größe entsprechen. Hier abgedruckt ist also ein selten einsehbares Geflecht von kurzen Texten neuerer sowie etablierterer Autorinnen*. Sie alle baten wir um Texte, in denen Frauenfiguren im Zentrum stehen. Es entstand Frauen* schreiben Frauen*: Sich vom Zeichen zum Satz, von der Aussage zur eigenen Geschichte bewegend, nehmen Frauen* und ihre Figuren gemeinsam Platz.
Diesmal finden sich Texte über gute Tage, die man besser alleine verbringt, schüchterne Männer, die zu Arschlöchern mutieren können, die Farbe Beige in gynäkologischen Praxen, Chia-Bowle-Kotze nach innen. Außerdem gibt es einen lyrischen Booty Call an einen heißen Menschen und naturwissenschaftliche Studien zum Zusammenhang von Mandarinen und Meteoriten sowie bösen Katzen und 20 Maggi Rindssuppenwürfel. Von Leto Warzilek, Stefanie Sargnagel, Ekaterina Heider, Naa Teki Lebar, Katherina Braschel, Angela Lehner und Puneh Ansari.
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Ich liege im Bett
bin überraschend gut drauf
habe gerade gekocht und gestern erst geduscht
werde dir schreiben, dass es sich heute nicht ausgeht.
Leto Warzilek
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15.1.2019
Ich romantisiere Thermenbesuche immer so und dann sitzt man de facto mit hunderten grausligen Menschen in einer brunzwarmen Riesenbadewanne und starrt gelangweilt durch den Dampf, während irgendwer unauffällig ejakuliert.
15.1.2019
Relaxzonen relaxen mich überhaupt nicht. Action relaxed mich. Straßenschlachten, Shitstorms, Aufruhr, Gemetzel relaxed mich. Wellness wühlt mich auf.
15.1.2019
Ich habe mich zur Geburtstagsgönnung in einem Thermenhotel eingemietet zum ersten Mal im Leben. Die Vorstellung war schön, so „mhh… therme“ aber je länger ich heute in dieser Suppe gesessen bin mit all den erröteten Körpern, desto mehr haben sich die andern Menschen für mich in Backerbsen verwandelt. Fettige Mehlkugeln, die sich mit der Suppe vollsaugen und aufquellen, immer weicher und schwammiger werden wie Mozzarella. Die Konturen ihres Gewebes lassen sich mit der Zeit nicht mehr zum Thermalwasser abgrenzen. Eine alte Frau habe ich sogar dabei beobachtet, wie sie sich langsam komplett aufgelöst hat. Niemandem außer mir ist es aufgefallen, dass sie sich zersetzt hat bis ihre Zellen zu einem Brei wurden, der sich immer mehr in alle Richtungen verdünnte. Am Ende verschwand sie ganz. Nur ihr Glasauge blieb übrig, das ist weiter an der Wasseroberfläche geschwommen direkt auf mich zu. Ich hab es in die Hand genommen und in der Kinderspielecke bei der Familienzone zu den Murmeln gelegt.
15.1.2019
Ich habe im Solebecken dieser Therme heimlich 20 Maggi Rindssuppenwürfel aufgelöst.
Stefanie Sargnagel
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in der früh war alles in ordnung. ich wachte auf und erinnerte mich an einen traum, bei dem ich in einem wohnzimmer gefangen war. es gab keinen ausgang, zumindest konnte ich keinen sehen. und da waren böse katzen und die hatten einen vogel, der am tisch lag, angefressen. er war nicht tot, aber ihm fehlten federn an ungefähr einem drittel seines körpers und er blutete. zuerst dachte ich es wäre eine taube, aber es handelte sich um eine krähe. ich öffnete das fenster und warf den vogel hinaus. enttäuscht von den katzen, die ich immer als unberechenbar, aber nie als böse eingeschätzt hatte, verlies dann auch ich, durch das fenster –türen gab es ja keine – das haus, die wohnung, was auch immer das war. in meinem echten leben hatte ich gerade jemanden verlassen und verbrachte meine zeit damit, abzuwarten, bis mein zustand sich verbesserte. noch war ich sehr wütend und dadurch, dass ich mich der wut nicht stellen wollte, lenkte ich mich ab. mit essen, serien und yogaübungen, die in youtube-videos von einer frau angeleitet wurden, in die ich mich nicht richtig zu verlieben schaffte, aber ich fühlte mich ihr trotzdem sehr nahe und fragte mich immer wieder, wie es wäre an ihr zu riechen oder ähnliches. als ich anfing zu masturbieren und dabei an dinge dachte, die mich eigentlich langweilten – ich tat es wirklich nur aus zeitvertreib – und die batterien meines vibrators dabei kurz vor dem kommen leer wurden, wusste ich, dass mit diesem tag etwas nicht stimmte. ich brachte es frustriert zu ende und ging aufs klo um zu pinkeln. da lag ein buch vom dalai lama auf dem boden aber ich schaute nicht hinein.
der tag verging langsam aber mir war nicht fad. ich rauchte immer wieder ganze oder bereits halb gerauchte zigaretten und trank tee, kaffee, wasser oder saft. dazwischen probierte ich drei verschiedene frisuren aus, aber alle sahen scheisse aus. auch montierte ich ein regal an die wand, was lange ausständig gewesen war, und lies den mauerstaub, der durch das bohren entstanden war, liegen. das regal hing jetzt neben meinem bett und ich dachte an die mauer-staubkörner, die ich einatmen würde, im schlaf, weil davon bestimmt auch etwas ins bett geflogen war. ich klopfte ein paar mal auf die decke, deckes unmittelbare umgebung wurde kurz grau. ich schnitt mir meine fingernägel und googlete sachen.
später befand ich mich in einem chatroom. dass es heute noch so etwas gab, wunderte mich. ich musste mich nicht registrieren, aber es gab die option meinen nickname zu sichern, in dem ich ein passwort erfinden musste. mein passwort lautete punschkrapfen777. die erste person, die mich anschrieb hieß im chat thomas25. er war 25. das digitale gespräch verlief gut. dazwischen schrieb ein älterer typ, dass er verheiratet war, immer wieder erkundigten sich leute nach meinem alter, aussehen oder meiner schamhaar-frisur und ein anderer meinte ich könnte ihm jede frage der welt stellen. so fragte ich, was er heute gegessen hatte und er meinte „stelze und du“ und ich schrieb „schnitzel“, aber das war gelogen. ich wollte nur nicht, dass er sich schlecht fühlte, weil er stelze aß und ich nur gesunde sachen.
thomas und ich unterhielten uns gut, er wäre ein bisschen schüchtern im echten leben, meinte er. im chat nicht so. schüchtern finde ich eh sexy, aber das schrieb ich nicht, weil ich die erfahrung gemacht hatte, dass schüchterne männer zu arschlöchern werden können, wenn man sie in ihrem schüchternsein bestätigt. aha, antwortete ich. er erzählte von seinen hobbies und ich von meinen. wir schrieben so 3 stunden hin und her. leider stellte sich heraus, dass er hofer-fan war. ich war enttäuscht aber wusste, dass ich das beste daraus machen musste, um die drei stunden nicht verschwendet zu haben. er versprach mir, sich das parteiprogramm durchzulesen, was er bis dahin noch nicht getan hatte. ich gab ihm dafür eine woche zeit.
auf dem boden in der küche klebten essensreste, daneben lag ein kürbiskern. ich erinnerte mich an das letzte treffen mit meinem ex aus den zwanzigern, wir hatten uns mehrere jahre nicht gesehen und saßen draußen im schatten und ich trank himbeer-soda groß und er bestellte ein stück torte als vorspeise. eine mit marzipan, ich probierte, aber nur von der füllung. er erzählte von jemandem, der sich zwei wochen zuvor umgebracht hatte und ich schaute dabei nur auf die schuhe des kellners und dachte mir: so ähnliche hatte ich auch einmal.
dann flog eine riesige heuschrecke ins wohnzimmer, weil das fenster offen stand und das licht an war. sie setzte sich an die decke. dann auf das neue regal neben dem bett. bewegte sich ein bisschen vor und zurück oder flog von einer ecke in die andere. und ich wollte ihr dabei weder einen namen geben, noch sonst irgendwas.
Ekaterina Heider
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wie ikarus in mottenform flattre ich dir entgegen. meine flügel schmelzen, so heiß bist du.
ja, ich weiß wie das endet (ruf mich an wenn du noch wach bist).
Naa Teki Lebar
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Meine Gynäkologin fragt mich nach meinem letzten Sommerurlaub, während sie mit einem Rohr durch meinen Muttermund in meine Gebärmutter, während sie in mich hineinfährt, meinen ganzen Gebärmutterhals entlang und ich zum ersten Mal verstehe, was Andere damit meinen, wenn sie sagen, sie sehen Sterne, wenn sie von blinkenden, von leuchtenden Punkten sprechen und ich klammere mich an die seitlichen Griffe des Stuhls, kann vielleicht ein wenig den Handschweiß meiner Vorgänger*Innen auf dem Kunstleder fühlen, ich frage mich, warum ausgerechnet beige, warum nicht grün oder orange oder meinetwegen gelb, warum ausgerechnet dieses Nichts an Farblosigkeit, in dem meine Fingernägel jetzt ihre unterseitigen Spuren hinterlassen, in dem ich mich an meiner Atmung festhalte, tief ein und aus, sagt meine Gynäkologin, während sie meine letzte Spirale durch das Rohr, das in meinem Muttermund steckt, herauszieht, während sie meine innerorganische Plastikbegleiterin der letzten drei Jahre entfernt, ein ganz leises Klingeln ist es, von meinem Organ hinein in eine Schüssel aus Chirurgiestahl, es klingelt, ob es denn nicht viele Seeigel in Kroatien gibt, fragt mich meine Gynäkologin, da müsste man ja immer aufpassen beim Baden gehen, nur mit Schuhen und ich nicke und wünsche meine Fußsohlen auf einen Seeigel, aus vollem Lauf auf einen Seeigel, die Stacheln hinein in mein Fußgewölbe, bis in irgendwelche Sehnen hinein und dann abbrechen, ich frage mich, ob Seeigel-Stacheln splittern können, ob sie es vielleicht für mich tun würden, jetzt gerade, als Tausch für die beigen Haltegriffe, als Tausch für die 80er-Jahre-Frisur meiner Gynäkologin zwischen meinen Beinen, als Tausch für meinen stählern aufgespreizten Vaginalkanal zwischen meinen Beinen, als Tausch für das Rohr in meinem Muttermund, als Tausch für die blinkende Luft zwischen dem Sonnenblumenplakat an der Wand gegenüber und mir und meine Gynäkologin sagt, dass ich jetzt noch einmal stark sein muss, tief ein und aus, gleich ist es vorbei, Achtung, und während sie mir die neue Spirale in meine Gebärmutter schiebt und deren Arme in mir ausklappt, währenddessen denke ich, dass das vielleicht der Grund ist, warum so viele Männer Gynäkologen werden, die ultimative Penetration, ich will ganz tief in dir sein, Baby und dann schreie ich doch einmal kurz auf, als meine Gynäkologin das Rohr, um das sich mein Muttermund festgekrampft hat, wieder aus mir herauszieht und auch das Beige kurz zu blinken anfängt, auch die Haare meiner Gynäkologin kurz zu blinken anfangen, vielleicht auch ich kurz zu blinken anfange, eine Boje irgendwo im kroatischen Meer werde, ein ungewisses Leuchtsignal, eine Untiefe anzeigend, an meiner Kette die Seeigel und das Meer ein Sonnenblumenplakat in Beige, leise im Hintergrund meiner Ohren rauschend.
Blinken in beige. – Katherina Braschel
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Der Wille
sich einzureden,
dass das eigene Leben
nichts mit Glück zu tun hätte.
Die Mutter im Spiegel
schaut zurück
und hat auch keine Lust.
Erkenntnis suchen auf der Yogamatte,
Rucksackurlaub drängt sich auf.
Chiabowls in sich hineinkotzen,
nährende Glaubenssätze unter den Alltag zementieren.
Menschen zerreden,
Beziehungen konstruktiv verschrumpeln lassen.
Gela lässt ihre Mutter nicht alleine auf der Mariahilfer Straße stehen.
Therapieerfolge 1 – Angela Lehner
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meteoriten sind der „müll“ der zustande kam während die planeten entstanden sind oder so
es sind plazentafetzen die herumfliegen nachdem gott 100 kugeln aus ihrer muschi
hinausgeschossen hat in die bahnen und meteoriten sind die gespiebenen blutbröckeln die gott dabei
gespieben hat und meteoriten sind der hall des schmerzschreis der das wort war im anfan‘
meteoriten sind die aufgeschlitzte dna auf den kanülen vom kreuzstich die in der schwerelosigkeit
einsam durch die ewigkeit schwimmen wie der astronaut aus dem james bond film
meteoriten sind das weisse bei mandarinen was zu hart war und man ausspuckt
meteoriten sind die haut auf der milch
der schaum auf dem bier
sie gehören zu „uns“ aber wir spalten sie ab
Puneh Ansari