MALMOE

Eine Rindslederhandtasche mit Schwangerschaftsstreifen und endlose Gänge in Träumen

An dieser Stelle findet sich Kürzestprosa – von einer Zeile bis zu einer halben A-4-Seite –, verfasst von verschiedensten Autorinnen*, kuratiert von Marie Luise Lehner und Katharina Pressl. Solche Mini-Formate verschwinden häufig. Sie sind schwierig zu publizieren, da sie nicht den präferierten Anforderungen von Länge und Größe entsprechen. Hier abgedruckt ist also ein selten einsehbares Geflecht von kurzen Texten neuerer sowie etablierterer Autorinnen*. Sie alle baten wir um Texte, in denen Frauenfiguren im Zentrum stehen. Es entstand Frauen* schreiben Frauen*: Sich vom Zeichen zum Satz, von der Aussage zur eigenen Geschichte bewegend, nehmen Frauen* und ihre Figuren gemeinsam Platz.

In dieser Ausgabe erscheinen Texte von Margret Kreidl, Naa Teki Lebar, Maria Muhar, Verena Dürr, Anna Neata, Ianina Ilitcheva, Lydia Haider, Fiona Sironic und Julia Knaß. Über Autorinnen*, über das Muse-Sein, über die Großmutter und die Venus von Willendorf, über Schwangerschaft, über Geschwüre am eigenen Körper, über Fetzen und Mist, über eine Rindslederhandtasche mit Schwangerschaftsstreifen und über endlose Gänge in Träumen. Denkende, handelnde Frauenfiguren gibt es immer noch weniger als dergleichen männliche. Frauen*, die Frauen*figuren schreiben, helfen, die Fülle an verschiedenen Charakteren „aufzuholen“. Frauen*stimmen fehlen in der Geschichte, nicht, weil sie nicht da wären, sondern, weil sie überhört werden. Doch gibt es Themen, die nur Frauen*figuren betreffen? Was bedeutet es, Autorinnen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen? Ihre diversen Figuren in einen Topf zu werfen?
Alle Figuren, die existieren, sind mögliche Vorbilder. Alle Figuren, die nicht existieren, können keine Identifikationsfiguren sein. Die Gemeinsamkeiten von Geschichten von Frauen* sind bezeichnend. Die Unterschiede sind es auch.

*

Alle schönen Autorinnen sind freundlich. Keine Autorin ist unfreundlich, wenn sie schön ist. Einige Autorinnen sind, wenn sie nicht schön sind, unfreundlich, aber andere sind nicht unfreundlich, auch wenn sie nicht schön sind. Keine Autorin ist unfreundlich, und einige sind schön. Einige schöne Autorinnen sind unfreundlich, und einige Autorinnen, die nicht schön sind, sind freundlich. Alle Autorinnen sind, wenn sie schön sind, freundlich, und alle unfreundlichen Autorinnen sind nicht schön.

Autorin, logisch – Margret Kreidl

*

Ich möchte meine eigene Muse sein.

Naa Teki Lebar

*

Marienbrücke. Sie legt ihren Brustkorb übers Geländer und atmet so lange aus, bis sie nur mehr eine zerknitterte Luftballonhaut ist. Und dann findet sie jemand und nimmt den Gummifetzen und schnalzt ihn endgültig über die Brüstung. Und immer, wenn jemand später wieder über die Brücke geht, schaudert er bei der Erinnerung daran. Weil es beim Schnalzen nicht geschnalzt, sondern geschrien hat.

Maria Muhar

*

Willendörfer, (angebliche) Venusfigurinen und Erinnerungen an Großmutter Mütterlicherseits,
Die Venus von Willendorf ist für Österreich von kulturhistorischer, naturwissenschaftlicher und
touristischer Bedeutung. Sie wird in einem bedeutenden Museum verwahrt und gepflegt. Ggfs. restauriert und ausgestellt. Venus von W. wurde 1908 geborgen, doch erst 100 Jahre später, im Rahmen der Ausstellung Vier Millionen Jahre Mensch zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.
Vier Millionen Jahre, MenschGöttin / Göttin von W. / Göttinim WWW: „Inhalt nicht verfügbar“bbw / bondage & petrification – Genre:paläolithische Venusfigurinen
Die venus impudique wurde 1864 geborgen. Sie war die Erste ihrer Art. Der Marquis, der sie barg, nannte sie fälschlicherweise schamlos, obwohl ihr doch wohl eher die Füße fehlten. Um ihre Füße hatte sich niemand gekümmert.
Wenn Großmutter Mütterlicherseits (geboren 1918) abends ihr Fußbad nahm, half ich ihr beim Waschen. Das war auch in Willendorf, ich nenne es Willendorf I – es gibt nämlich zwei Willendörfer. Willendorf I ist ein villenloses Dorf – es gibt Steingärten (wie der von Großmutter). Willendorf II ist ebenfalls villenlos – es gibt Steinfigurinen. Vor ihrer Entdeckung verharrten sie in prä-göttlichem Zustand. Danach wurde ihnen der Göttinnenstatus verliehen. Gut für Nationen, wenn sie Göttinnen ihr Eigen nennen können. Die Venus von W. wurde in Willendorf II geborgen – zur Zeit der Monarchie von Österreich-Ungarn. Als sie endete, wurde Großmutter geboren. Die Venus von W. wurde vor 30.000 Jahren gezeugt. Vor 30.000 Jahren – es herrschte ein raues Klima, doch es herrschte noch keine Nation – schnitzten Menschen Frauenfigurinen. Dass es sich bei der Venus von W. um ein Fruchtbarkeitssymbol handelt, ist übrigens nach neuesten Erkenntnissen eher unwahrscheinlich.
Jetzt, die Venus von W. als GIF:Animation auf der Stelle im 3/4-Taktdie Hüften schwingend.
Venus impudique oder eine Imitation dertanzenden Venus vom Galgenberg, auchFanny genannt (geborgen 1988)
Aus der Emaille-Schüssel stieg Wasserdampf auf. Großmutter Mütterlicherseits strich mir das Kondenswasser vom Gesicht, während ich ihre Füße mit einem Meeresschwamm abrieb. Es duftete intensiv nach Lavendelöl und Minze. „1, 2, 3 – 1, 2, 3 …“, zählte ich mein Alter an den vom Wasser verschrumpelten Fingern ab. Großmutter nahm mich amüsiert an den Händen und hieß mich zu ihr ins Fußbad steigen. Gemeinsam schunkelten wir hin und her und ich versuchte den Babyspeck auf meinen Hüften in Schwingung zu versetzen. Großmutter Mütterlicherseits wäre lieber Tänzerin geworden, als das, was sie geworden ist. Bei Fanny, tanzende Venus vom Galgenberg könnte es sich übrigens, laut neuesten Erkenntnissen, auch um einen Jäger mit Keule handeln.

Verena Dürr

*

Ihr Gesicht sieht ungewöhnlich blass aus, mit roten Flecken am Hals, nur ihr Bauch ist wie immer. Glatt, flach, nicht besonders hart oder weich. Man sieht nichts. Keine kleine Wölbung, kein Druck, da ist kein besonderes Gefühl. Dass sie es nicht gespürt hat. Man hätte es doch spüren müssen. Sagen sie das nicht immer alle. Hatte es überhaupt keine Anzeichen gegeben. Und wie lange war es überhaupt schon da. Fröstelnd legt sie sich ein Handtuch auf ihre Schultern, geht aus dem Bad, setzt sich und legt den Kalender auf ihre Knie.

Anna Neata

*

ich komme zurück in die wohnung und finde eine ameise auf dem esstisch. aus der einen ameise werden schon bald drei, fünf, sieben, oje, wo kommen die denn alle her? ein blick in den zucker: nein, der zucker ist unberührt, keine ameise. auf dem esstisch liegen zur zeit allerhand dinge. notizzettel, zeitschriften, klebebänder, scheren, blisterpackungen diverser pillen, fernbedienungen, glückskekse, ein maßband, eine festplatte, eine packung saft, ein paar gläser, bodylotion.. sogar eine konfektschachtel im format A3. ich hatte jetzt echt kurz angst, den deckel der konfektschachtel zu lüften, weil mir da möglicherweise ein ganzer schwall an ameisen entgegengeprasselt wäre und mich halbert aufgegessen, auf den verdacht hin, ich wäre auch eine praline.. aber nein, keine einzige ameise in der gesamten schachtel.
es ist mir ein rätsel. ameisen sind ja bekanntlich nicht doof, also frage ich mich nun: was wollten die viecher auf meinem esstisch? vielleicht hätte ich sie fragen sollen und sie nicht einfach nur töten. okay, wenn ich noch eine finde, nehme ich sie gefangen und verhöre sie.

ach, und außerdem habe ich seit einiger zeit eine wunde auf der innenseite des unterarmes, die einfach nicht zuheilen will. es ist eine stelle, an der viel bewegung stattfindet, wenn man den unterarm um die eigene achse dreht, oder das handgelenk kreisen lässt. die wunde ist etwa so groß wie ein fünfschillingstück. ich beobachte sie, weil die lage sehr günstig für beobachtungen ist, und weil ich gerne dinge an mir beobachte, die sich merkwürdig verhalten. nun fängt diese wunde an, in mitten ihrer fleischfläche eine wucherung zu bilden. das nennt sich übrigens ‚wildes fleisch‘ – ich weiß, sehr ekelig, aber es kommt noch besser. ich habe nämlich die vermutung, dass mein körper – der übrigens einen reichlich schrägen sinn für humor hat –,… also mein witziger körper versucht an dieser stelle eine zweite hand rauswachsen zu lassen. ich habe nämlich so kleine hände und so kurze finger und mein körper ist manchmal sehr ungeduldig und auch gierig, zum beispiel wenn es darum geht, essen zu fassen. die zweite hand, gleich neben einer bestehenden hand, könnte mir einen gewaltigen vorteil bringen, denn es wäre dann so etwas wie eine baggerschaufel-zugreifkralle. ich könnte womöglich sogar mit einer hand, also, mit zwei händen, aber an einem arm, also mit einem arm, obwohl nein, das klingt komisch, aber was ich mir vorstelle: mit rechts jemanden am kragen packen und ihn festhalten, während man die linke in sein gesicht bohrt. ja gut, ist ja nur ein beispiel jetzt.

so, nun habe ich aber den plan meines körpers durchschaut und der bekommt das natürlich mit und es ist spannend, was als nächstes passiert.
vielleicht wuchert er mir stattdessen ein paar flügel, hinten beim rücken, so etwa aus den schulterblättern raus. da kann ich nämlich nicht hinsehen. ach, das wäre wirklich schön. da tue ich dann auch ganz überrascht, versprochen.

ach, und außerdem.. Posted on 03/24/2012 – Ianina Ilitcheva

*

Gesang XIV
Wahrheit und Mist was könnte je näher beisammenliegen.

Gesang XV
Freilich bist du der Mist, ein ganzer Misthaufen bist du, und ich bin die Wahrheit, die Wahrheit und das Licht, das über dir Mistgipfel leuchtet.

Gesang XVI
Erquick dich, du undankbarer Fetzen.

Gesang XVII
Lasset kein faul Geschwätz aus eurem Munde, sondern was nützlich zur Besserung, wo es Not tut, dass es holdselig sei zu hören, nicht dieses brunzwarm bildungsbürgerliche Gesudere von einem Ordentlich und Gerade, so gänzlich detachiert, so ganz und gar glatt und geschmiert und so stinkend, einzig und allein bloßgelegt als Faulbrut, als die stinkendste Faulbrut aller faulen Bruten, die leibhaftige Vollfaulbrut.

Gesang XVIII
Ihr wisst genau, dass euer Sein auf diesem Posten hier lediglich dazu da ist, euch nicht gar so armselig zu fühlen und also lest ihr nun diesen Gesangesmist und das gibt euch einen Wert, einen Halt, das Lesen ein Gefühl, ein bisschen weniger schirch ins Leere zu schaun.

Gesang XIX
Und noch ein Buh und noch einer aus dieser arrivierten Bappe.

Gesang XX
So eine falsche Sau wie du, wie sie tut Zwietracht hinschütten wie Farbe auf ein Schüttbild auf das Volk, das sich nicht wehrt gegen diese Unwahrheiten, ja lügt und missgünstigt und trügt, für solche wird des Volkes Decke wieder eingeführt, alsdann über dich falsche Sau geworfen und jeder kann dann hindreschen wie und so lange er will.

Wort des lebendigen Rottens. 88 Gesänge zum Austreiben (Auszug) – Lydia Haider

*

Meine Gebärmutterschleimhaut stößt mich ab, und ich soll die Energien nutzen. Ich liege und schaue mir ein Instagramvideo an, das mir erklärt, ich solle die Energien meiner Gebärmutter nutzen. Ich suche auf Ebay nach einer Rindslederhandtasche mit Schwangerschaftsstreifen. Meine Gebärmutterschleimhaut stößt mich ab. Sie verwendet darauf einiges an Energie. Ich liege. In braunen Töpfen wächst etwas, das ich nicht kontrollieren kann. In meinem unteren Rücken bläht sich etwas auf. Wenn ich baden gehe, habe ich Angst, dass mein Tampon leckt und das Wasser sich verfärbt. Ich tue es trotzdem, weil mir Wärme empfohlen wurde. Ich trimme mir die Vulvahaare in der Badewanne nicht, weil ich eine irrationale Angst habe, mit dem Trimmer auch den Rückholfaden zu entfernen. Ich rasiere mir nicht die Achselhaare, weil ich dabei immer an Heidi Klum denken muss. Ich will jetzt nicht an Heidi Klum denken. Meine Gebärmutterschleimhaut stößt mich ab und Heidi Klum sagt nichts.

Fiona Sironic

*

Ich träume fast nie, sage ich, weil ich nicht erzählen kann (von endlosen Gängen, von Wucherungen, von Ihm). Weißt du, ich träume nicht, in einer vergespensterten Welt schlafe ich nur bei Licht, zum Lachen aus 90er-Jahre-Sitcoms.

Julia Knaß