Die Geschichte des österreichischen Tourismus beginnt üblicherweise mit der Eisenbahn. Das ab Mitte des 19. Jhd. immer mehr mit Schienen erschlossene Land machte es weiten bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten möglich, zu verreisen. Der Urlaub wurde bürgerlich, und manch ein Wirt zum Kaiser.
In dieser Zeit wandelten sich die Betreiber von Herbergen in schneidige Hoteliers. KundInnen kamen zur Sommerfrische, um dem Wiener Sommer zu entkommen. Ihr Ziel: die alpinen Höhen und voralpinen Seen. Die Welt jenseits der Baumgrenze war früher Räubern, Lebensmüden und Gott-Suchenden vorbehalten. Die neuen TouristInnen, allen voran die britischen WandererInnen, bezwangen die von Dämonen heimgesuchten Hänge und Gipfel mit Steigeisen und wissenschaftlichem Blick. Zur gleichen Zeit entstanden bürgerliche Initiativen zum Erhalt der verfallenden sogenannten Volkskultur am Land. Die neu propagierte „alte“ Tracht, markiert im Bestreben des Erhalts der Volkskultur deren steigende Auflösung und Eingliederung in die entstehende Kulturindustrie als Kitsch.
Die Welt kam zu Besuch und brachte Geld. Alpen, Weideflächen und Wälder wechselten die BesitzerInnen. Den bisherigen Höhepunkt erreichten die Investitionen in der Zeit des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Im sich bahnbrechenden Massentourismus erlebten Millionen arbeitender Menschen zum ersten Mal die Möglichkeit, regelmäßig zu verreisen oder kostenintensiven Wintersport in den Tälern zu betreiben. Unglaublich viel Arbeit floss in den Ausbau der notwendigen Infrastruktur: Lifte, Pisten, Straßen, Hotels und Kläranlagen. Jedes Kind sollte Ski fahren lernen und der alpine Wintersport wurde zum Nationalsport. Jede neue Welle der Migration brachte auch neue Arbeitskräfte in die Täler, ohne die der Aufbau dieses neuen Nationalbewusstseins nicht möglich gewesen wäre.
Der Respekt vor der Natur war schwach ausgeprägt. Umweltzerstörungen wurden für den steigenden Wohlstand in Kauf genommen. In der Gegenwart angekommen sind wir mit einer neuen Generation von Hoteliers konfrontiert. Um wie einst ihre Eltern das Geschäft aufrecht zu erhalten, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Es gibt vielerorts kein Geld oder keinen Platz mehr, um Investitionen zu stemmen, die mit jenen „von früher“ vergleichbar sind.
Um dem Mantra der Wirtschaftskammer, „nur wer sich spezialisiert, überlebt“, zu folgen, widmen wir uns kurz der neuen Alpinen Küche. Lokalismus ist der hot shit. So wie in den 1960ern den alten Wirten die blutigen Steaks der jungen Köche nicht geheuer waren, so vergeht manch einem Senior der Nerv im Meer an Blumen, das sich in der Küche breit gemacht hat. Angesichts dessen, dass die örtliche Volkskultur nur noch zum Schleuderpreis verkaufbar ist und in Skandinavien der neue Lokalismus in der Gastronomie dieser einen nie dagewesenen guten Ruf verlieh, liegt es auch in Österreich nahe, durch einen Griff in die Geschichte die Kassen zu füllen. In Kooperation mit lokalen BiobäuerInnen versuchen sich viele KöchInnen an der Rettung und unweigerlichen Neuerfindung alter Rezepte für Speisen und Getränke. Die neue alpine Küche, gleichermaßen getrieben durch die Langeweile der KöchInnen und das bieder-ökologische Leitbild, nicht mehr so viel investieren zu können, bildet das coolste, was die österreichische Gastronomie zu bieten hat, seit Metro seine Tore geöffnet hat.
Doch neben Bachforellen-Ceviche und Einkorn-Risotto mit frittierten Brennesselblättern findet sich eine Speise, die sich wie ein Rätsel auftut: Heusuppe. Eine Rahmsuppe, mit Heu gewürzt. Das macht die Bauern und Bäurinnen stutzig. Heu ist für das Vieh, allein schon wegen dem ganzen Hahnenfuß. Was bringt die reichen Urlaubenden dazu, die Wiederkäuer nachzuahmen? Mitunter ahnen sie, dass der ganze Tourismus eine Wirtschaft der Wiederkäuer ist und sie nun praktisch runterkriegen sollen, was seit über hundert Jahren immer wieder hoch und runter gewürgt wird. Dass der Kitsch gegen die Volkskultur gesiegt hat, lag nicht einfach an der Stärke der Kulturindustrie, sondern an der Tatsache, dass die Volkskultur immer auch die Kultur einer unfreien Gemeinschaft war. So lang aber keine vernünftigere Kultur aus der unseren fortschreitet, wird der Geschmack für das „gute Alte“ nie versiegen.