MALMOE

Wahlkampf nach Ibiza

Selbst nach einer Partynacht des kleinen Bruders wirkt das kalkulierbare System Kurz verführerisch weiter. Das Land taumelt derweil im 4/4-Takt rückwärts. Ein Kommentar.

Es ist eigentlich eine Ironie: Das, wovon Heinz-Christian Strache – zack, zack, zack – fantasiert hat, hat Sebastian Kurz mit seinem (Geschäfts-)Freund René Benko schon lange erledigt: die Kontrolle der öffentlichen Medienlandschaft durch die autoritäre Hand der Regierung und ihrer Netzwerke. So greift die Funke-Gruppe, in die sich Benko letztes Jahr eingekauft hat, nach den großen österreichischen Medienhäusern (Kronen Zeitung, Kurier, VGN-Gruppe) und ist damit äußerst erfolgreich. Der ORF muss mittlerweile fast täglich die Attacken aus dem türkis-blauen Lager abwehren. Der Falter wird ebenfalls schikaniert und von der ÖVP geklagt. Jetzt zur Wahl denkt man sich vernünftigerweise: „So, liebe Österreicherinnen und Österreicher, jetzt habts es auf Video, schauts her, was die da aufführen. Ihr werdets die doch nicht noch einmal wählen?!“ Aber bekanntlich zeichnet sich die Bevölkerung durch zwei Talente besonders aus: Relativieren und Vergessen. Sollte die Kurzzeitregierung Türkis-Blau wiedergewählt werden, dann hätte sich das Land wohl auch wieder eine Goldmedaille in der Disziplin Blödheit verdient.

Wobei: Letztlich macht man es sich doch zu einfach, wenn man nur von Blödheit spricht und nicht die türkis-blaue Systematik benennt. Im Wahlkampf wurde kaum thematisiert, dass die FPÖ es geschafft hat, den Klassenkonflikt und die beschleunigte Umverteilung von unten nach oben mit einem konstruierten Kulturkonflikt zu überdecken. Die Türkisen machen da gerne mit. Und es ist offensichtlich vielen Menschen egal, ob ihre herrschende politische Kaste korrupt ist und sie von ihr ausgenommen werden. Hauptsache ist, dass die Führer gegen das Fremde austeilen. Egal ob unterdrückt und ohnmächtig, es gilt ein „Mia san Mia“ – und das umfasst kaum mehr als Bier und Schnitzel, Lederhosen und Dirndln, Skifahren und ausverkaufte Hallen für einen „Volks Rock’n’Roller“. Und deshalb nein zu einer Millionärssteuer – die Millionär*innen fahren schließlich auch in Lech und Kitzbühel Ski und singen danach auf der Hütte ein Hulapalu – „des san unsere Leut!“

Türkis und Blau preisen sich selbst gerne an, indem sie vor der Möglichkeit einer „linken Regierung“ warnen. Stellt sich die Frage: mit welchen linken Parteien eigentlich? So verschärft und zugespitzt hat sich der Diskurs, dass Reinhold Mitterlehner, ÖVP-Vizekanzler bis 2017, als Kritiker von links wahrgenommen wird. Im Wahlkampfklima nach Ibiza sind echte progressive Positionen marginalisiert. Und in den Debatten zwischen den immer gleichen ParteivertreterInnen wird schon beim kleinsten bisschen Kapitalismuskritik die rote Gefahr des Kommunismus aufs Taferl gezeichnet. Im herrschenden Klima der Kulturnostalgie wird nicht nur Mitterlehner als linker Kritiker identifiziert, sondern auch vor einer „linken Regierung mit den NEOS“ gewarnt.

Ein optimaler Nährboden für die türkise Kurz-Bewegung, die mit verstörenden Aktionen durch den Wahlkampf surft. Während fast wöchentlich neue Informationen über die verdeckte Parteifinanzierung der ÖVP und die Gegenleistungen dazu auftauchten, schienen die Umfragewerte in Teflon gewickelt zu sein. Alles perlte ab. Als die Aufregung um die KTM Motohall, eine Marketing-Ausstellung gefördert aus dem öffentlichen Kulturbudget, durch die Medien getrieben wurde, konterten die Kurz-Fans mit Aktion wie „Kurz laufen“ und dem Knüpfen türkiser Freundschaftsbänder, um „Farbe zu bekennen“ – jede Kritik an ihrem Starpolitiker wird als Lügenpropaganda abgetan. Die Gruppe der Türkisen tritt dabei als „Wir für Kurz“ auf. Schon der Name der Gruppe zeigt, dass es sich offenbar um ein sehr einseitiges Verhältnis handelt. Sie opfern sich für Kurz als WahlhelferInnen auf, analog und digital, und streichen eines hervor: Sie unterstützen Kurz freiwillig und aus Überzeugung. Das ist ihnen wichtig zu sagen. Dass Kurz aber nur für sich, seine Freunde und Gönner ist und seine braven Ameisen ihm wurscht sind, wollen sie nicht glauben. Wir für Kurz, er für sich – die klarstellende Ergänzung verschweigt die türkise Propaganda.

Und während die türkise Welle das Land überzieht, fordert die Kurz-Partei das Verbot der Identitären und bringt die FPÖ ohne Zweifel in Bedrängnis. Die ohnehin aufgebrochenen internen Parteikämpfe, nachdem Video-Künstler Heinz-Christian Strache als Chef verschwunden ist, werden damit verstärkt. Gleichzeitig weiß die FPÖ: Bricht man mit den Identitären, bricht man mit der Basis. Die Abstrusität geht indes weiter, scheint erst durch Ibiza so richtig ausgelöst worden zu sein, denn Kickl verteidigt Sellner, indem er den Türkisen selbst extremistische Tendenzen nachsagt. Wie die Wahl auch ausgehen wird, Kurz und Kickl hetzen die Bevölkerung auf mit ihrem Wertetraditionalismus und einer Kulturnostalgie, die hinter 1968 zurück will. Wo Kickl am Zeitstrahl letztendlich gerne stoppen würde, muss nicht erwähnt werden. Denkt man aber die Ideologie der Türkisen konsequent durch, würde es in der Geschichte sogar noch weiter zurückgehen. Der Stephansdom stünde bereit für die Krönung von Kaiser Sebastian I. – und Orbán sieht sich bestimmt gerne als König, gemeinsam für Österreich-Ungarn.

Apropos abstrus: Schon im Vorwahlkampf sicherte sich Sebastian Kurz im Rahmen der Veranstaltung „Awakening Austria“ in der Wiener Stadthalle die Segnung eines christlich-fundamentalistischen Predigers. Wir schreiben das Jahr 2019, sind jedoch wieder an dem Punkt angelangt, wo mit erzkonservativer Religion zur Wahl getrommelt wird. Es sei verkündet: Gott steht nun ganz offiziell hinter Sebastian Kurz. Und Österreich folgt dem internationalen Trend, dass die Politik von einer Allianz aus Volksverführern und Rechtsradikalen bestimmt wird.