MALMOE

Viel Tamtam um
Mutters Milch

Die fabelhafte Welt der Körpersäfte #10

Seitdem die Ärzte in der Aufklärung das Stillen entdeckten, reißt der ermahnende, männliche Diskurs um das Stillgebot nicht ab. Die Argumente fürs Stillen haben sich kaum geändert: Muttermilch ist das Gesündeste, Natürlichste und überhaupt das Beste für das Baby. Die Gegnerschaft jedoch hat sich gewandelt: Vom dekadenten Adel zu den profitgierigen Konzernen. Im 18. Jahrhundert sollten Frauen animiert werden, ihre Säuglinge nicht wie die Aristokrat_innen an Ammen abzugeben. Um das bürgerliche Stillen anzuregen, wurde sogar der Gattungsname Säugetier erfunden. Rein biologisch wäre es logischer gewesen, die Gattung nach den vier Beinen oder den Mittelohrknochen zu benennen. Doch die Anatomen des 18. Jahrhunderts gingen lieber mit der Brust (mammalia). Es passte so schön zu den Ratgebern für Mütter, die von den gleichen Ärzten verfasst wurden. So kam es, dass der Mensch jetzt mit so unterschiedlichen Tieren wie Walen und Schnabeltieren in einer Klasse steckt.

Im 20. Jahrhundert verlagerte sich der Diskurs – nun geht es statt gegen den Adel gegen Nestlé und Konsorten. Die Kritik ist auch wirklich berechtigt. Mütter und Säuglinge werden mit aggressiver und falscher Werbung in eine teure Abhängigkeit von Prämilch gedrängt – die Muttermilch versiegt ja, wenn nicht regelmäßig gesaugt wird. Noch schlimmer ist der Umstand, dass die Prämilch bei fehlendem sauberen Wasser zu tödlichem Durchfall führen kann. „Nestlé tötet Babys“, titelte eine Broschüre aus den 1970er-Jahren, deren Autor_innen prompt von Nestlé verklagt wurden. Doch ein Gericht befand, „Nestlé ist verantwortlich für den Tod tausender Babys“ sei eine treffende Aussage. Eine Folge dieses Prozesses ist die Vorgabe, auf allen Folgemilchprodukten den Hinweis anzubringen, dass Muttermilch das Allerbeste für das Kind ist. Die WHO kontrolliert das. Die WHO empfiehlt auch ein halbes Jahr ausschließliche Brustnahrung und eine Gesamtstilldauer von 24 Monaten. Jetzt mag das in Ländern ohne sauberes Trinkwasser eine gute Sache sein. Doch gemischt mit ein bisschen katholischem Konservativismus wird es hierzulande zu einem Diktat, das Fremdbetreuung und mütterliche Unabhängigkeit verurteilt und verhindert.

Ich möchte hier aber gar nicht so sehr auf den aufgeregten Diskurs um das Stillen oder Nicht-Stillen eingehen. Als Feministin kann eine auch gar nichts anderes dazu sagen, als dass jede Frau machen soll, wie sie will und kann. Das ist etwas banal. Spannender sind ein paar Schmankerl, die ich in meiner Recherche fand. Wie die neue Mode des Muttermilchschmucks: Mütter, die sich nicht von der romantischen Phase des Stillens verabschieden wollen, erfanden eine Technik, um die Milch zu dehydrieren und in Schmuckform zu gießen. So kann jede Frau ihre Milch einschicken und dann eine Kette als Andenken an die schlaflose Zeit erhalten.

Die emotionale Aufgeladenheit der Säuglingsnahrung kommt auch im Phänomen der erotischen Laktation zum Vorschein. Weit mehr als ein x-beliebiger Fetisch, soll das Trinken an der Brust bei circa 60 % der erwachsenen Bevölkerung schon vorgekommen sein – wenn auch bei vielen nur zum Kosten. Doch saugende Erwachsene befinden sich in einer traditionsreichen Gesellschaft – Lactatio-Legenden reichen lange zurück. Wie jene vom Heiligen Bernhard, dem Maria erschien, woraufhin er prompt an ihrer Brust hing. Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt die Erwachsenen Still-Beziehung eine neue Blüte, als Carl Buttenstedt ein populäres Werk verfasste, das die emotionale Laktation als ehefördernde Praxis propagierte. Von den Nazis verboten, werden das Werk, die Vorzüge und die Techniken von Still-Beziehungen in jüngster Zeit wieder entdeckt. (Ich empfehle einen Blick auf www.stillbeziehungen.org!) Und bitte beachten – bei den meisten Still-Beziehungen geht es nicht um Infantilisierung oder BDSM-Spiele, sondern um eine intensive, gleichberechtigte Bindung.

Meistens wird an der weiblichen Brust gesaugt, doch auch die männliche Laktation weist eine lange Geschichte auf. Die älteste Erzählung von väterlichem Stillen findet sich im Talmud. Ein Witwer legte den Säugling an die Brust und schaffte es tatsächlich, Vatermilch zu produzieren. Im Laufe der Geschichte tauchen immer wieder ähnliche Fälle von stillenden Vätern auf. Heute weiß man, dass durch die regelmäßige Stimulation der Brustwarzen und die Beigabe bestimmter Hormone die Laktation induziert werden kann – auch bei Männern. Wäre das nicht förderungswürdig? Es wäre gesund für Babys, natürliche Milch aus der Brust und endlich etwas Gleichberechtigung im Muttermilchgeschäft.