MALMOE

Teaser (Tröstende Kunst)

Die Frage des Geschmacks als kunstpolitische Schlussstrichdebatte?

In der Linken wird zu wenig über die Kunstwerke der Gegenwart nachgedacht – dabei wird ansonsten über so ziemlich alles nachgedacht. Meistens sind die anschließenden Auseinandersetzungen nicht besonders sanftmütig. Neulich habe ich mich mit einem befreundeten Pärchen gestritten. Es war ein unangenehmer Streit über Nuancen politischer Grundsätze (es ging um Bündnispolitik), der sich ab einem gewissen Punkt im inhaltlichen Nirvana aufgelöst hat und in redundanter Polemik geendet ist. Als ich nach Hause ging, konnten wir uns nicht gut in die Augen sehen und ich musste mich über mehrere Tage beruhigen, bis ich mich dazu entscheiden konnte, den kleinen Widerspruch, der dem Streit zugrunde lag, aushalten zu können, ohne den beiden die Freundschaft zu kündigen.

Der Vehemenz, mit der politische und ideologische Rangeleien ausgehandelt werden, ja teilweise zum Abbruch langjähriger Freundschaften führen und zu tiefer emotionaler Verletztheit, steht ein brutal indifferenter Meinungspluralismus gegenüber, wenn es um aktuelle Kunstkritik geht. Hier gilt oft und versöhnlich, der politischen Verbissenheit diametral gegenübergestellt, die Frage des Geschmacks. Es ist mir bisher noch nicht zu Ohren gekommen, dass Freundschaften zerbrochen wären, weil irgendjemand den Pollock-Druck im Wohnzimmer nicht abnehmen oder zumindest eine kontextualisierende Notiz, so als Kompromiss, daran heften wollte. Oder halböffentlich eine selbstkritische Reflexion über den Widerspruch vorgenommen hätte, diese (wahrscheinlich gute) Kunst eines machistischen Arschlochs (Pollock) hängen zu lassen. Dabei wäre es wirklich legitim, diese Freundschaft zu überdenken.

Die Frage nach der Frage des Geschmacks ist meiner Meinung nach die kunstpolitische Schlussstrichdebatte (#Adenauer84). Die Auseinandersetzung mit konkreten Arbeiten lebendiger KünstlerInnen und ihrem politischen Gehalt ist im linksintellektuellen Diskurs verdammt uncool. In der Kunstwissenschaft hat der Geschmack auch keinen Platz, aber das liegt eher daran, dass das unwissenschaftlich rüberkommen würde. Die Frage des Geschmacks wirkt in diesem Kontext fast anrüchig bis vulgär. Konkrete Arbeiten werden hier massenhaft analysiert, allerdings lieber von den Toten als den Lebenden, bei denen weiß man, woran man ist. Kunst existiert im linken Diskurs als Abstraktum und gesellschaftliches Phänomen, von dem häufig nur das strukturelle Skelett untersucht wird. Kunst als Ware, Kunst als Klassismus, Kunst als Gesellschaftskritik, Kunst als Anachronismus, Kunst als Identitätspolitik. Nach vielen Jahren der Innenperspektive auf die Kunst als Kunstwissenschaftlerin möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen: Den wahren Trost in der Kunst findet man nicht in ihrer strukturellen Betrachtung. Dort lauert einzig die langsame Verelendung durch unauflösbare Widersprüche. Es ist wirklich wichtig, sich einzelne Arbeiten gut anzusehen, wenn man heutzutage an der Kunst noch Spaß haben will. Das Gute an Kunstwerken ist ja, dass man sie inzwischen alle googeln kann, dann sieht man sie gleich. In echt ist es aber nochmal besser.

Zugegebenermaßen ist es in den letzten fünfzig Jahren nicht übersichtlicher geworden auf dem Feld der Kreativen und Kunstbetrachtung ist alles andere als easy peasy. Die Welt der Kunst ist eine snobistische Parallelgesellschaft, die nicht viel dafür tut, inklusiv zu sein. Der Kunstmarkt, der Galeriebetrieb, Faktorenberechnungen, die den Preis der Arbeiten bestimmen und White-Cube-Museen wirken oft an der Außenwelt desinteressiert bis feindselig distanziert. Aber diese Fassade ist glücklicherweise porös. Gleichzeitig kann man beobachten, dass viele politische Kämpfe zunehmend mit künstlerischen Strategien ausgefochten werden, besonders dort, wo die VertreterInnen der Bewegungen sich von tradierten politischen Strategien nicht repräsentiert fühlen, etwa innerhalb vieler migrantischer, postkolonialer und queerer Bewegungszusammenhänge. Diese Form der Kunst wird oft als politische Geste rezipiert, ohne sich mit konkreten Arbeiten zu befassen. Anfang 2018 gab es in Leipzig mit Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0 eine Ausstellung, in der die digitalen Netzarbeiten von Signe Pierce, Leah Schrager und anderen Künstlerinnen gezeigt wurden. Das war eine sehr gute Ausstellung, es wurde viel darüber geredet. Vor allem darüber, dass der (Netz-)Feminismus sich diesen physischen, männlich konnotierten Raum aneignet. Über die Arbeiten selbst wurde kaum gesprochen, denn wie man die nun findet … eine Frage des Geschmacks. Jede einzelne dieser Arbeiten hätte allerdings weitaus mehr Wertschätzung außerhalb der Kunstblase verdient als eigenständige Position innerhalb einer linken Debatte über Feminismus. Das ist es auch, worum es in den kommenden Folgen dieser Kolumne gehen wird: die Vorstellung und Kritik guter Kunstwerke und ihrer politischen Bedeutung. Pro Ausgabe werde ich ausschließlich eine einzige konkrete Arbeit besprechen, die wirklich gut ist. Ohne Diskussion.