MALMOE

Generationenkonflikt ums Klima

Ökologie und Demographie haben viel miteinander zu tun. Das zeigt sich, wenn man näher über die Möglichkeit gesellschaftlicher Transformation unter nach-modernen demographischen Bedingungen nachdenkt

„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“ Vermehrt hört man aktuell wieder vom kommenden „Generationenkonflikt“ – und tatsächlich scheint es einen handfesten Interessengegensatz zwischen Jungen und Alten zu geben. So werfen die Jungen und ganz Jungen bei Extinction Rebellion und Fridays for Future den vornehmlich alten Eliten aus Politik und Wirtschaft (sowie der von ihnen profitierenden, bürgerlichen Klasse) vor, ihnen die Zukunft zu zerstören oder gar ganz zu vernichten. Sie blockieren Straßen, um SUV-Fahrer*innen jenseits der Midlife-Crisis – denen es scheißegal ist, ob der Planet noch in 80 Jahren für Menschen bewohnbar ist – zu stoppen, oder fordern Reformen und gesellschaftliche Umstrukturierungen, die das althergebrachte Moderne in seiner ökologischen Schädlichkeit zügelt. Die Spaltung zwischen Alt und Jung macht sich auch bei den EU-Wahlen bemerkbar: Während in fast allen (westeuropäischen) Ländern grüne Parteien die alleinige Mehrheitspartei der Unter-30-Jährigen sind, haben die konservativen Rechtsparteien ihren demokratischen Rückhalt in den Altersgruppen über 60. In Deutschland wählten bei der EU-Wahl beispielsweise ganze 33 % der U-30 die Grünen (13 % CDU, 10 % SPD, 8 % Die Partei & FDP, 7 % die Linke, 6 % AfD), 39 % der Ü-60 CDU (22 % SPD, 13 % Grün, 9 % AfD, 5 % Linke, 4 % FDP). In Österreich und Frankreich ist die Lage ganz ähnlich, auch dort sind die Grünparteien stimmenstärkste Partei bei den U-30, und dies trotz marginalisierter Position dieser Partei in beiden Ländern. So haben in Österreich die Grünen bei den U-30 28 % der Stimmen, gefolgt von der SPÖ mit 22 %, FPÖ 17 %, ÖVP 16 % und NEOS 14 %– bei Ü-60 wählten wiederum 48 % ÖVP und nur 4 % grün (SPÖ 26 %, FPÖ 16 %, NEOS 4 %). In Frankreich ist Macron Liebling der Ältesten (32 %), während die weder im französischen Senat noch der Nationalversammlung vertretene, grüne EELV bei den U-24 stimmenstärkste Partei mit 22 % ist.

Das Aufkommen einer neuen Jugendbewegung rund um die Klimakrise wird vom progressiven Mainstream positiv aufgenommen. Abgesehen von konservativen Hardlinern, die die Proteste als Deckmantel für Schulschwänzen, Zeichen für naive Realitätsferne oder gar Vorboten eines neuen totalitären Ökostalinismus einstufen, ist die Rezeption hoffnungsvoll bis euphorisch. Endlich sei die Jugend wieder politisch und kümmere sich um mehr als die eigene Work-Life-Balance. Nach der apolitischen Generation X und den selbstbezüglich karrieristischen Millennials wird heute „ein neues 68“ heraufbeschworen. Fridays for Future ist der erste Ausdruck der Mobilisierungskraft einer neuen, scharfzüngigen und veränderungsträchtigen Generation, bewundert von ihren Eltern und Großeltern – die meinen, sich nun getrost zurücklehnen zu können. „Jede Generation muss ihren Kampf haben“, ist das Credo, mit dem sich mit passiv-bewundernder Unterstützung das schlechte Gewissen über die eigene Handlungsunfähigkeit verbergen lässt. Die Jugend wird das ökokatastrophale Rad schon rumreißen.

Die Jungen sind heute weniger

So verständlich diese Hoffnung, die mit einer neuen, dynamischen Generation verbunden wird, auch ist, wird diese allein nicht ausreichen. Denn der Generationenkonflikt hat sich grundlegend gewandelt, und seine Implikationen sind daher ganz andere als zu Zeiten von 1968. Wenn Klimaaktivist*innen aktuell beklagen, die Älteren nähmen ihnen ihre Zukunft weg, ist das nämlich nicht bloß ein moralisches Argument, sondern auch ein demographisches. Während 1970 die U-20-Jährigen ganze 30 % der deutschen Bevölkerung ausmachten, waren es 2010 nur mehr 18,4 %, Tendenz – wie in allen westeuropäischen Ländern – weiter fallend. Die Jungen – „Babyboomer“ – waren in den Jahren nach 68 in der Überzahl, die Alten waren eine vom Krieg ausgedünnte Generation. Heute sind genau diese Babyboomer in oder kurz vor der Rente, die demographische Pyramide hat sich aufgrund von Geburtenrückgang seither nahezu auf den Kopf gestellt – und die Jungen bilden eine kleine Minderheit. Wenn sich heute also die Jugend aktivistisch gegen einen Status quo stellt, darf man dies nicht genau so interpretieren wie frühere Jugendbewegungen – einfach nur deswegen, weil die Zahlenverhältnisse andere sind.

Die neuen ökologischen Bewegungen haben bereits vieles angestoßen und verändert, neben FFF auch besonders durch radikalere Spielarten wie Extinction Rebellion und Ende Gelände. Um aber eine breitere Transformation voranzubringen, müssen auch diejenigen progressiven Nicht-Jugendlichen, die bewundernd passiv auf dieses Phänomen schauen oder mehr Konsequenz, moralische Stringenz, politische Professionalität oder gar unbedingten Respekt vor dem Gesetz verlangen, ihre eigene „Älteren“-Rolle überdenken. Denn unter heutigen demographischen Bedingungen können wir nicht mehr auf die Jugend als einzige dynamische, verändernde, transformierende – vormals „revolutionär“ genannte – Kraft vertrauen.

Auch die Alten müssen aufstehen

Es ist ein moderner Commonplace, dass die Jugend die Welt im Dienste des allgemeinen Fortschritts verändert. Unter den heutigen umgestülpten demographischen Bedingungen in der ausgehenden Moderne kann dies so nicht mehr funktionieren. Das kulturelle Imaginäre einer rebellisch-transformativen Jugend und eines konservativ gesinnten Altenteils entspricht einer bevölkerungstechnischen Wachstumslogik des Sturm und Drang, welche sich nicht ohne weiteres auf die schrumpfenden, nach-modernen (Post-Wachstums-)Gesellschaften des Abendlandes übertragen lässt. „Wir sind die aussterbende Generation, die nächste wird’s schon richten“, funktioniert nicht, weil dann viel mehr als nur die Alten aussterben. Wir müssen die Begriffe von Jugend und Alter, und die mit ihnen verbundenen Assoziationen, neu denken. Für unsere heutigen politischen Herausforderungen heißt das, dass wir mindestens ein intergenerationales Bündnis, optimalerweise ein radikales Progressivwerden der Erwachsenen und Senior*innen ­sowie einen damit verbundenen Wandel ihrer kapitalistisch normierten Lebenswelten und -bedingungen brauchen. In Zeiten wie diesen müssen wir auch das Alter zunehmend als dynamischen Teil von menschlicher und emotionaler Veränderung und Entwicklung denken. Das Bild des Rentnerdaseins als Ruhesessel der festsitzenden Etabliertheit ist nicht nur ästhetisch fragwürdig (Seniorenkreuzfahrten, thailändischer Ehefrauentourismus, Kleingartenklaustrophobie), sondern auch ökologisch untragbar. Gerade durch ihre Lebenserfahrung können Ältere viel zur Nachhaltigkeit und Effizienz von Veränderungs- und Proteststrategien beitragen, da sie längere Abläufe besser einschätzen können als eine leicht ungeduldig vorpreschende Jugend mit tendenziell hysterischer „5 vor 12“-Mentalität. Und einige von ihnen sich wohl noch an Zeiten erinnern, in denen ein sparsamer Umgang mit Ressourcen nicht Askese, entgegen den Logiken der Globalisierung, sondern normal und notwendig war.

Global sind die Jungen weiterhin in der demographischen Überzahl. In den Ländern jedoch, wo die Pro-Kopf-Klimaschädlichkeit am größten ist und eine Ökologisierung der Gesellschaft folglich am wichtigsten, weil folgenreichsten wäre, sind die Jungen in der Minderheit – die für eine globale Mehrheit einstehen muss. Westliche Industrienationen können als ökologisch schädliche Gerontokratien bezeichnet werden. Um diese fatale demographische Verkeiltheit zu überkommen, müssen wir die modernen Rollenbilder von Alter und Jugend, Etabliertheit und Veränderungsdrang überwinden. Kein Wunder, dass die Jungen jetzt so laut schreien – sie werden noch viel lauter schreien müssen, um das massive Übergewicht derjenigen, die am althergebrachten Alter festhalten, zu übertönen und eine gesamtgesellschaftliche Veränderung voranzubringen.