Es ist Wahlkampf, du bist allgegenwärtig, wie geht’s dir?
Nun, ich fühle mich etwas reduziert. Es ist ein wenig wie ein Zurück-Zum-Start: Ab dem 18. Jahrhundert war ich ein Mittel der Obrigkeit, die sich übers Plakat an ihre Untergebenen wandte und Dinge bekannt machte wie zum Beispiel die jährlichen Feiern zum Thronjubiläum oder auch Einberufungen ins Militär.
Wahlkämpfe erinnern mich an diese dunkle Episode meiner frühen Kindheit, als ich mehr der Herrschaft als dem Widerstand diente, so á la „der Kaiser wendet sich an sein Volk“. Gleichzeitig wird auch in Zeiten wie diesen, wo die Stadt mit teuren hochhausgroßen Hochglanzplakaten vollaffichiert ist sichtbar, wie wichtig und umkämpft das Plakat ist und wie sehr ich immer noch Ausdruck politischer Auseinandersetzung bin. Denn auf jedem noch so teuren Plakat lässt sich einfach mit Stift und Farbe eine anderslautende Botschaft hinterlassen.
Bezüglich des freien und wilden Plakatierens sieht es in Wien aktuell eher trist aus, oder?
Das stimmt. Es scheint als wäre vor allem die Linke in die sozialen Medien abgerutscht – wer da nicht dabei ist, weiß über die nächste Demo nicht Bescheid. Das halte ich für fatal: Denn der öffentliche Raum ist wichtig! Alle bewegen sich darin und wir dürfen ihn nicht kampflos aufgeben an Kommerz und Konsum. Plakatieren ist ja verboten und wird auch bestraft, es sei denn man bezahlt für die offiziellen Plakatflächen der Gewista. (Wohnhaft ist die Gewista, Scherz am Rande, in der Litfaßstraße) Beim Plakatieren geht es also um nicht weniger als die Frage, wem denn der öffentliche Raum gehört.
Was würdest du als deine Blütezeit beschreiben?
Mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde ich Teil des aktiven kulturellen und politischen Lebens: Künstler wie Henri Toulouse-Lautrec machten mich weltberühmt. Mit Plakaten wurden Kulturveranstaltungen angekündigt, neue Shows und Theatervorstellungen, gleichzeitig war ich selbst Kunstobjekt das heute viel Geld wert ist. Berühmte Künstler_innen fertigten mich an, ich war ein Kunstwerk, ich war Avantgarde!
Damals war ich wichtig und das einzige Mittel um die Massen zu erreichen. Auch das Erkämpfen des Frauenwahlrechts wäre ohne mich nur schwer möglich gewesen.
Im 20. Jahrhundert kam es dann zu meinem Höhe- und zugleich Tiefpunkt: die Verschmelzung von Kunstform und Politik. Bekannte und herausragende Grafiker_innen fertigten mich an und die politischen Plakate der aufstrebenden Parteien waren auch Kunstwerke. Ein Mihály Biró oder ein Victor Theodor Slama entwarfen epische Plakate für die Sozialdemokrat_innen der Zwischenkriegszeit, mit martialischer und antisemtischer Symbolik nutzten die Nazis dann das Plakat. Allgemein sind Nazis leider immer fit gewesen mit den jeweils neuen Medien: Anfang des 20. Jahrhunderts das Plakat, dann wussten sie in den 30ern leider als erste das Radio zu nutzen und heute sind es die sozialen Medien.
Auf linker Seite waren es ab den 1970ern Künstler wie Klaus Staeck, der mit unfassbar viel Witz und Ironie linke Plakate entwarf und die reaktionäre postfaschistische Gesellschaft aufs Korn nahm. Das war schon was.
Anmerkung: Wer aktuell viele politische Plakate sehen will: Die Ausstellung „Das Rote Wien 1919–1934“ läuft noch bis 19. Jänner 2020 im Wien Museum/MUSA.