MALMOE

Flucht ins Grüne

Ambivalente Migrationspolitik

Die Grünen waren seit den 1990ern eine wählbare Alternative für all jene, bei denen die drei historischen Lager der Christlich-Sozialen, Sozialdemokraten und Deutschnationalen Brechreiz hervorgerufen haben. Gerade für Menschen, deren Identität nicht Manfred Normalösterreicher entsprach, bot die Partei einen politischen Hafen. Doch mitten im politischen Sturm infolge der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ kam es zur Selbstdetonation.

Ein Land wie jedes andere?

Europas Staaten haben historisch früher oder später eine Auflehnung gegen die rigiden, autoritären Herrschaftseliten erfahren, bürgerliche Revolutionen führten allerorts Parlamente mit zahlreichen Parteien ein, die dynamisch miteinander Bündnisse eingingen, und wieder auflösten. Dieser Umbruch gelang den Österreicher_innen nicht und die Monarchie wurde erst durch die Niederlage im selbst angefachten I. Weltkrieg zu einer kurzlebigen Demokratie umgebaut. Es folgten zwei faschistische Systeme, die abermals zwangsdemokratisiert wurden.

Als zentrale Folgeerscheinung dieser Prozesse gilt die Sozialpartnerschaft, also die Konsensfindung zwischen Kapital und Arbeit – für jeden, der einen Begriff von Klassenkampf besitzt, ein absurdes Konzept. Österreich konnte demgemäß neben den koalierenden Großparteien keine liberale Partei etablieren. In keinem anderen westlich europäischen Land gab es über mehr als 50 Jahre nur zweieinhalb Parteien im Parlament. Dass in solch einer Gesellschaft republikanische Werte keine tragende Rolle einnehmen, überrascht also wenig. Doch abgesehen vom Offensichtlichen – was für Konsequenzen hat dieser Startschuss in der österreichischen Demokratie für die politische Etablierung liberaler oder linker Werte?

Grün ist die Hoffnung

Während über die Jahre hinweg Menschen den Mond betraten, kabellose Verbindungen Eingang in Privathaushalte fanden, und der Eiserne Vorhang fiel, herrschte in Österreich Stagnation und politische Unbeweglichkeit. Inmitten dieser Tristesse ließen sich einige junge Menschen vom steigenden globalen Umweltbewusstsein anstecken und formierten Anfang der 90er eine Grüne Partei mit zunehmend linkem Selbstverständnis.

Für mich waren die Grünen im Jahr 2015 die einzige Partei, an die ich mich hoffnungsvoll wenden konnte. Ich weiß noch genau, es war Frühling und die Wiener Gemeinderatswahl stand bevor. Für mich war das Bild, das sich zeichnete, einfach zu interpretieren: zum ersten Mal seit meinem Geburtsjahr hatten Asylwerber_innen in der Öffentlichkeit den Wert betrachtet zu werden, gesehen zu werden, gehört zu werden. Zum ersten Mal wurde das Leben, das meine Eltern in Traiskirchen führen mussten, die Umstände, denen Asylwerber_innen sozial und öffentlich ausgesetzt waren, greifbar und disputabel: Isolation und Vereinsamung, soziale Ächtung, Unverständnis und Unwissen gegenüber der kriminalisierenden Behandlung von Seiten der Exekutive, wie auch die Traumata, die Geflüchtete noch Dekaden lang nach der Flucht begleiten.

Es gab sie, die zivile Solidarität. Dafür brauchte es zwar das Bild von verregneten und verschlammten Zelten, in denen Kinder und Erwachsene leben und schlafen mussten – für jede_n sichtbar. Doch dabei entbrannte etwas längst Überfälliges: eine Debatte über Flucht und Asyl in Österreich. Gewissermaßen eine Chance, insbesondere für eine deklariert linke Partei, anti-nationalistisch und kosmopolitisch ausgerichtete Kräfte in Österreich zu stärken?

Vom Winde verweht

Die politische Krise ab 2015 hat einen Bruch aufgemacht, den sich vor allem die Grünen hätten zu Nutze machen können. Ich suchte nach Antworten. Bei einem Gespräch mit Karl Öllinger erklärte er, der seit gefühlten Dekaden im österreichischen Nationalrat sitzt, dass die Parteien Angst davor hätten, dass Rechte an Stimmen gewinnen. Das mag sein, aber was heißt das für seine Partei? Nach rechts rücken?

Die damalige Parteichefin der Grünen Eva Glawischnig räumte während einer TV-Debatte gegen Strache ein, dass die ehemalige Forderung der Grünen eines bedingungslosen Abschiebestopps der Vergangenheit angehöre. Wenn ein ordentliches Rechtsverfahren keinen Asylgrund liefere, „müsse man einer Familie in die Augen sehen und sagen, es gibt keinen Asylgrund“. Gleichzeitig merkte sie an,  dass es natürlich „Mitleid, wie für alle Menschen“ gäbe. Sie war sich zudem nicht zu schade von christlichen Werten zu sprechen, so dass Hilde Normalösterreicherin ruhig einschlafen kann.

Alexander van der Bellen ließ während seines Wahlkampfes zum Bundespräsidenten 2016 keine Gelegenheit aus zwischen guten und schlechten, heißt: zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden. Diese künstlich erschaffene Trennung ist eine absolute Farce, bedenkt man, wie kriegerische Konflikte mit wirtschaftlicher Destabilisierung Hand in Hand gehen.

Vom Stehen im Wind

Tatsache ist, dass die Grünen in Sachen Asyl und Migration grundsätzlich liberale Standpunkte vertreten, sich jedoch vom politischen Sturm nach rechts wehen ließen, um für die sogenannte bürgerliche Mitte wählbar zu sein. Ihre innerparteilichen Zerfallserscheinungen und die Krise, welche im Ausscheiden aus dem Parlament gipfelte, lassen sich vor dem Hintergrund bewerten, dass sie im entscheidenden Moment keine solidarischen linken Positionen vertreten haben. Als Bannerträger der vielen Menschen aufzutreten, die sich solidarisch mit den Ankommenden zeigten, hätte nicht nur das eigene linke Klientel angesprochen, sondern auch enttäuschte SPÖ Wähler_innen abholen können.   Bürger_innen auf Augenhöhe zu begegnen, eben nicht nur in ihren Ängsten, sondern auch in ihrem Verständnis- und Empathievermögen, ist gelebte Demokratie.