Mit der neuen EU-Urheberrechtsreform hat der lange währende Streit um das „geistige Eigentum“ eine neue Facette hinzugewonnen
Mark Getty, Gründer der Fotoagentur Getty Images hat den Satz geprägt: „Geistiges Eigentum ist das Öl des 21. Jahrhunderts“ (The Economist, März 2000). Tatsächlich waren die letzten beiden Jahrzehnte vom Kampf um dieses neue Öl geprägt. Mittels dieser gesetzlichen Verknappung von Wissen und Information, die unter dem leidigen Titel „geistige Eigentumsrechte“ zusammengefasst werden, versuchten die Konzerne in den Industrieländern ihre Marktpositionen zu sichern. Die WTO-Verhandlungen sind letztlich an dem Thema gescheitert: Die ärmeren Länder wollten sich diesen absurden Regeln nicht länger unterwerfen. Die reicheren Länder (mit ihren korrupten Regierungen, die meist nur die Interessen der Konzerne vertreten haben) wollten nicht ohne diese Regelungen vom Verhandlungstisch gehen.
Kurze Geschichte des Kampfs ums „geistige Eigentum“
Das Scheitern der Verhandlungen leitet die nächste Schlacht im Kampf um das „neue Öl“ ein: Anstatt in der WTO gemeinsam mit allen Ländern zu verhandeln wurden neue Verträge geschaffen: ACTA, TTIP, CETA und Co. In diesen Verhandlungen wollen die Regierungen der reichen Länder untereinander entsprechenden „Schutz“ dieser „geistigen Eigentumsrechte“ aushandeln und damit einen Status quo etablieren, der auch die ärmeren Länder unter Druck setzt.
In der EU wurde 2004 im Kampf gegen Softwarepatente ein kleiner Sieg errungen – erstmals in der Geschichte der EU wurde eine Direktive zur Gänze abgelehnt –, dieser ist aber nicht von langer Dauer. Die treuen Wahrer der Konzerninteressen versuchten daraufhin sofort, die Software-Patentierung über die Nationalstaaten einzurichten. Mittels des Unitary Patent wird in den meisten EU-Ländern versucht am EU-Parlament vorbei die Interessen der Konzerne durchzuboxen. Das Unitary Patent wird vom Europäischen Patentamt vergeben, EU-Politinstitutionen reden nicht mit. Österreich hat das 2015 ratifiziert (also unter Rot-Schwarz) und damit dazu beigetragen, dass das Patentrecht der demokratischen Kontrolle durch das EU-Parlament weiter entzogen wird.
Die nächste Schlacht im Krieg um das „geistige Eigentum“ war die Copyright-Direktive im EU-Parlament: Wie zu erwarten ging es in die Richtung einer weiteren künstlichen Verknappung von Information und die Ausweitung der kapitalistischen Kontrolle über unser Leben. Linksparteien, Grüne und vor allem die PiratInnen um Julia Reda im EU-Parlament waren weitgehend bemüht das Schlimmste zu verhindern. Mit relativ geringem Erfolg. Eine Mehrheit aus SozialdemokratInnen, Konservativen und Rechten sorgte letztlich dafür, dass auch die umstrittensten Teile der Direktive angenommen wurden: zwingende Upload-Filter (und damit der Aufbau einer gigantischen Zensurinfrastruktur) und die „Leistungsschutzrechte“, mit denen sich die bestehenden alten Medienkonzerne ihre Macht sichern wollen. Im Wesentlichen gibt es hier fünf Player: Die KonsumentInnen, die KünstlerInnen (also zum Beispiel jemand, der ein originelles Youtube-Video produziert), die alten Medien (Zeitungen), die Medienkonzerne, die von der Rechteverwertung profitieren (EMI, Sony und Co.), und die neuen Riesen (Google, Facebook), die ein gewisses Interesse an einem relativ liberalen Umgang mit Content-Rechten haben. Auch wenn sich die Interessensgegensätze der einzelnen Kapitalfraktionen da und dort zu Gunsten der VerbraucherInnen nutzen lassen: In diesem Falle hat das nicht geklappt.
Wie könnten KünstlerInnen und sonstige UrheberInnen entlohnt werden?
Leider lassen sich immer wieder auch KünstlerInnen und Kulturschaffende vor die Interessen der Medienkonzerne spannen. Was sie übersehen ist, dass sie dabei immer nur mit Brotkrumen abgespeist werden: Die Profite bleiben zu 99 Prozent in den Kassen der Mediengiganten. Was wären die Alternativen? KünstlerInnen teilen ihre Werke frei im Netz – niemand muss sich irgendwo einloggen oder anmelden. Alles anonym und ohne Überwachung. Die KünstlerInnen werden dann mittels einer über Stichproben ermittelten Verbreitungsrate ihrer Werke aus Steuergeldern oder Flatrates bezahlt. Ohne die Konzerne, die jetzt 99 Prozent der Profite mitschneiden, könnten die meisten KünstlerInnen deutlich besser leben und für die KonsumentInnen wäre der dafür notwendige (etwa über Steuern bezahlte) Beitrag deutlich geringer.
Kapitalismus gilt gemeinhin als „effizient“. Das sehen viele MarxistInnen noch immer so. Immerhin wird das auch von Marx so dargestellt, wenn er beschreibt, wie die UnternehmerInnen angesichts des Konkurrenzdruckes genötigt sind, immer die neueste Technologie einzusetzen, die billigsten Rohstoffe zu verwenden und die Löhne möglichst niedrig zu halten. Aber schon im Kommunistischen Manifest ist zu lesen: Die größte Krise im Kapitalismus ist die der Überproduktion. Knappheit ist eine Voraussetzung für das Funktionieren des Systems. Was im Überfluss vorhanden ist, lässt sich schlecht verkaufen. Mit der steigenden Produktivität hat sich der Kapitalismus in den letzten 150 Jahren sehr gut mit diesem Prinzip arrangiert. Die Schaffung künstlicher Knappheit (sei es durch Werbung oder Zerstörung durch Krieg) wurde perfektioniert. Und auch die „geistigen Eigentumsrechte“ fallen in diese Kategorie. Wie oft muss dasselbe Produkt neu konstruiert werden, weil die Baupläne nicht frei im Netz geteilt werden? Wie viele Milliarden Arbeitsstunden werden auf diese Weise sinnlos verschwendet? Der Kapitalismus ist inzwischen sehr effizient in der Schaffung von Ineffizienz.
Hoffnung Maker-Bewegung
Soweit sieht das alles nicht besonders gut aus. Aber es gibt Hoffnung: Wir denken bei „geistigen Eigentumsrechten“ vor allem an Kunstwerke, Journalismus, Videos und eventuell noch Software. Aber mit zunehmender Automatisierung sind es auch in der materiellen Produktion die Rezepte, Baupläne, Konstruktionszeichnungen, Chip-Designs etc., also die immateriellen Teile, in denen die meiste Arbeit steckt.
Eine der Entwicklungen, die uns bewusst machen, dass das freie Teilen dieser Konstruktionspläne notwendig und sinnvoll ist, ist die Maker-Bewegung. Auch wenn die preiswerten 3D-Drucker oft noch mehr Hobby sind, zeigen sie doch auf, wie wichtig das Teilen der Baupläne für die Objekte ist. In Wien Landstraße gibt es beispielsweise ein „MakerLab“ mit einigen 3D-Druckern, einer CNC-Fräse (vorwiegend für Holzbearbeitung), zwei Laser-Cuttern und einem Elektronik-Arbeitsplatz. Diese Art Traum für BastlerInnen (und vor allem auch für Eltern mit Kindern) entsteht jetzt an zahlreichen Orten. Statt mit Laubsäge lässt man die Figuren mit dem Laser-Cutter aus Holz oder Acryl schneiden. Die Vorlagen dazu kann man auf Plattformen wie thingiverse.com herunterladen. Aber richtig Spaß macht das Ganze nur, wenn man selbst kreativ wird und eigene Vorlagen entwirft. Und eine gut gelungene Vorlage will man natürlich mit anderen teilen und lädt sie auf solchen Plattformen hoch.
Was die MakerInnen und auch die Kinder dabei lernen: Teilen ist sinnvoll. Es entsteht ein Verständnis dafür, dass Teile unserer materiellen Welt auch aus immaterieller Arbeit bestehen. Arbeit, die ohne Extrakosten allen zur Verfügung stehen könnte.
Der Linux-„Kommunismus“
Die zweite Entwicklung, die Hoffnung gibt, ist, dass es auch im kommerziellen Bereich Sektoren gibt, wo die künstlich geschaffene Ineffizienz alleine schon aus wirtschaftlichen Überlegungen überwunden wird. Google konnte gegen Microsoft nur gewinnen, weil das Unternehmen auf Linux und andere freie Software gesetzt hat. Inzwischen ist bei Microsoft, wo noch 2005 versucht wurde, Linux und GPL als „Kommunismus“ zu diskreditieren, etwas Vernunft eingekehrt. So richtig lieb hat man die freie Software noch immer nicht, aber da und dort gibt es schon einen Waffenstillstand.
Sehr viel „geistiges Eigentum“ steckt übrigens in Chip-Designs. Die Prozessoren von Intel und AMD, die das Herz unserer Desktop-Computer darstellen, bestehen aus zwanzig Milliarden Transistoren und deren Verschaltung wird mittels Hardware-Description-Language beschrieben. Die Prozessoren in unseren Handys sind meist ARM-CPUs. ARM lizenziert das Design dieser stromsparenden CPUs an verschiedene Hersteller. Im Handelskrieg zwischen den USA und China gab es die Befürchtung, dass Herstellern aus China nicht mehr erlaubt wird, die ARM-CPUs zu verwenden. Sehr schnell wurde aus China angekündigt, dass man in Zukunft auf Risc-V-CPUs setzen will. Risc-V ist ein Open-Source-Design eines Prozessor-Chips, das ohne Lizenzgebühren verwendet werden kann – eine Art Linux für Prozessoren. Die Designs selbst werden dabei natürlich auch für kommerzielle Systeme verwendet. Festplatten und Grafikkartenhersteller sind schon an Bord. Eine Zukunft, in der wir in wenigen Jahren nicht nur freie Software verwenden, sondern diese auf mehr oder weniger „freier“ Hardware läuft, erscheint mittlerweile realistisch.
So haben wir die paradoxe Situation, dass auf der einen Seite noch immer um die Ausweitung der „geistigen Eigentumsrechte“ gekämpft wird und auf der anderen Seite immer klarer wird, dass diese ein Hindernis darstellen und man ohne freie Software beziehungsweise „Open Source“ nicht mehr auskommen kann. Man sollte sich zwar nicht der Hoffnung hingeben, dass sich damit der Kapitalismus selbst abschafft, aber immerhin entstehen die Widersprüche anhand derer wir die Notwendigkeit seiner Überwindung gut argumentieren können.