Generationenkonflikte sind so alt wie Zivilisationen selbst
Die moralischen Sorgen der Älteren über die Jüngeren sind selbst schon ziemlich alt. Der sonst so weise Sokrates soll über die Kinder seiner Zeit gesagt haben: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ Noch einige Jahrhunderte früher, vor rund 3000 Jahren, soll eine babylonische Tontafel gefertigt worden sein mit der Inschrift: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“
Alter Schuh
Aber es waren nicht die Babylonier, die zum ersten Mal vor dem moralischen Niedergang der jungen Generation warnten. Das erste Zeugnis der Menschen und ihre Sorgen über die Jungen ist bei den Sumerern zu finden, vor rund 5000 Jahren: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ Hört man zu, mit welchem Vorwürfen die Fridays for Future-Jugend konfrontiert werden, sie klingen ähnlich. Und obwohl die etablierten Generationen den nachkommenden Generationen offenbar seit 5000 Jahren eine ähnliche Kritik hinwerfen, etwas ist 2019 anders. Der „Klimanotstand“, der im heißesten Juni der Aufzeichnungsgeschichte gemessen wurde, sollte die Dringlichkeit noch einmal symbolisch sichtbarer machen: Wir vernichten uns selbst.
Schuld daran sind kaum die Kinder und Jugendlichen, sondern eher ein Kapitalismus, der auf der vernichtenden Ausbeutung von Mensch und Natur beruht. Weil dieses logische und einfache Faktum gerne von Jung und Alt geleugnet wird, muss der „Klimanotstand“ herhalten.
Schützt die Jugend, lässt euch von ihr stoßen
Doch es ist gerade das Wirtschaftssystem, das den Menschen enorme Zwänge auferlegt. Oft lassen sich diese Zwänge nur in der Jugend nicht zu stark spüren, auch wenn die Konkurrenzmechanismen des neoliberalen Kapitalismus mit seiner extremen Tendenz zur Individualisierung, auch in die Schulen hineingetragen sind. Aber mit Eltern, die SUV fahren und den Kühlschrank vollstopfen können, lässt es sich für die Kinder jedenfalls leichter politisieren. Sind die Eltern von den gesellschaftlichen Normen so verschlungen, reicht oft die Vorstellungskraft für einen Gedanken von einer Welt ohne Kapitalismus nicht mehr aus. Dann sind es die Jungen, die Bewegung in die konformistische Wohlfühlblase der Alten bringen. Meist wird dieser Stoß der Jungen in den Konformismus der Alten nur belächelt, und oft ist er ohnehin nicht mehr als ein zartes Streicheln. Dass die Jungen den Alten moralische Diktionen auferlegen, das ist dann schon recht selten. Auch die 68er waren geprägt von alten Intellektuellen und ihrer Theorie. Sie stellten sich mit dem Wissen der Alten, gegen die Alten. Hier unterscheiden sich die Fridays for Future, dort wird nicht Adorno rezitiert, nicht Gramsci gelesen, ihre Politik legitimiert sich ausschließlich über den sogenannten Klimanotstand.
Es ist die Arbeit der Jungen aufzubegehren. Nehmen auch die Jungen den Status quo hin, stellen sich nicht mehr gegen die Logik des Alten, ist die Sehnsucht nach einem guten Leben endgültig tot. Im allgemeinen Verfall des Geistes und der generellen Tendenz zur Verdummung, ist es ein Leichtes, den Glauben an die Jugend zu verlieren. Fridays for Future ist ein starkes Zeichen dagegen. Doch wohl nicht viel mehr. Es wäre die Arbeit der Alten, jenen rebellischen Geist zu fördern, doch unsere Jungen brauchen dafür jede Unterstützung, die sie finden können. Es lauern Gefahren an jeder Ecke. Im Kinderzimmer beim Online-Videospielen werden Heranwachsende mittels Loot-Boxen gezielt süchtig gemacht. Social Media setzt jeden Teenager unter Druck. An den Insta-Likes ist die Beliebtheit und die Hackordnung im Klassenzimmer messbar. Es sind die Alten, die hier die Jungen schützen müssen. Dann kann die Jugend ihren rebellischen Geist entfalten, und die Alten selbst zum Denken und Handeln zwingen.