1982 schon war Peter Cornelius reif für die Insel – wie reif sind Sie 2019?
Überreif. Mir scheint immer mehr, dass ich nicht von Wasser umgeben bin sondern umzingelt von allen Problemen dieser Welt, die mich besonders exponiert treffen. Um ein paar Beispiele zu nennen: Einigen meiner Schwestern droht ob des Klimawandels der Untergang in den Meeresfluten, andere werden als Geldwäscheautomaten missbraucht, wieder andere wie meine schöne Tante Lampedusa standen einst für das Ankommen und ein solidarisches Miteinander und sind nun vorgelagertes Bollwerk gegen unerwünschte Menschen, zum Nichtstun und damit Nicht-Helfen und Sterbenlassen verdammt. Eine sehr bekannte Cousine hält die Europäische Politik seit ziemlich genau drei Jahren auf Trab, weil sie raus will und doch nicht weiß wie. Und dann auch noch dieses Ibiza!
Offenes Blumenhemd, Brusthaare, Sonne und Strand, Aussteiger_innen, nach einem Schiffbruch Verschollene, Luxus und Nichtstun umgeben von lauter erotischen und exotischen Menschen – die Assoziationen mit der Insel sind mannigfaltig, haben allerdings eines gemeinsam: Sie handeln immer von den Menschen, die auf ein Insel kommen und in den meisten Fällen früher oder später auch wieder gehen. Jene, die auf der Insel leben, sind maximal Statist_innen. Warum?
Inseln sind mythische Sehnsuchtsorte – in der europäischen Kulturgeschichte stehen sie für eine Art Paradise Lost. Die Vorstellung der Abgeschlossenheit, dass etwas existiert ohne Einfluss und Austausch mit anderem, der Ursprünglichkeit und des Authentischen … das ist natürlich ein Phantasma, das uns viel über die Wünsche und Träume der Erzählenden verrät und Projektion ist. Inseln stehen für die Suche nach dem, was man glaubt verloren zu haben im Zuge der Zivilisationsgeschichte und des Fortschritts. Und sie sind damit eine Art rückwärtsgewandtes Utopia: nicht etwas, wo man hin will, sondern etwas, zu dem man zurück möchte. Aber wie jede Utopie entsteht diese wahnwitzige Idee vom unverdorbenen Ur-Leben auf den Inseln natürlich im Hier und Jetzt – und sagt damit mehr über unsere Gesellschaften aus als über ein konstruiertes Früher.
Ich persönlich finde die Idee, an einem Ort zu sein, wo man von Wasser umgeben ist und nicht schnell einfach weg kann, unheimlich. Idyllische kleine Inseln im Meer, für viele ein Traumurlaub, haben auch etwas von einem Gefängnis. Und nicht zufällig sind viele Gefängnisse auf Inseln – man kommt von Inseln eben nur schwer weg. Ist es die Überforderung des postmodernen Menschen mit der scheinbaren kapitalistischen Wahlfreiheit, die ihn etwas ersehnen lässt, wo man sich nicht zu entscheiden braucht weil man gar nichts zu entscheiden hat? Ist die Sehnsucht nach einer abgeschlossenen Insel nicht vergleichbar mit der Sehnsucht nach Faschismus und autoritärem Staat, die weltweit die Wahlergebnisse prägt?
Das ist eine interessante Überlegung. Und auf der Ebene der Wünsche mag etwas dran sein. Auch diese Idee des Ausgeliefert-Seins und dass man auf der einsamen Insel glaubt, so sein zu dürfen, wie man glaubt, dass man eigentlich ist wenn es diese Political Correctness nicht gäbe. Wo man also „noch“ ein echter Mann sein darf, sprich auf alle anderen scheißen kann. Da ließe sich dann auch eine Parallel zeichnen zu Sachen wie diesem Trend zur „Steinzeitnahrung“. Also dass es florierende neoliberale Start-ups gibt, die steinzeitliches Essen und ein steinzeitliches Menschenbild vom Jagen und Sammeln propagieren. Und kapitalistisch erfolgreich sind mit der Vermarktung einer Rückkehr zu einem reaktionären Vorkapitalismus. Mal ganz abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe ob das ein „korrektes“ Steinzeitbild ist, das da gezeichnet wird.
Was man aber oft vergisst ist, dass nicht alle Inseln dem Image von Sonne und Strand entsprechen – auch Länder wie Japan bzw. eben dessen größte Insel Honshu oder Großbritannien sind Inseln. Und diese Inseln dienen kaum als Sehnsuchtsorte für vorkapitalistische Phantasien frustrierter Kapitalist_innen.
Österreich ist zwar geographisch gesehen so ziemlich das Gegenteil einer Insel und wird dennoch oft als „Insel der Seligen“ bezeichnet. Zu Recht?
Nein und ja, denn der Spruch hat zwei Ebenen. Einerseits wurde damit zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen in Österreich durch einen gut ausgeprägten, funktionierenden Sozialstaat ja tatsächlich von vielen Folgen kapitalistischen Wirtschaftens weniger stark betroffen sind als in Ländern, wo es keine solchen sozialen Systeme gibt. Diese „Insel der Seligen“ wird seit Jahren zerstört und vor allem die letzte Kurz-Regierung hat gezeigt, was alles an sozialer Demontage und Ungerechtigkeit möglich ist.
Auf einer anderen Ebene feiert Österreich als Insel der Seligen fröhliche Urständ: Mit dem Ausspruch wurde ja auch immer zum Ausdruck gebracht, dass sich der Österreicher/die Österreicherin als Insel der Seligen wähnt. Dass es in Österreich ja alles so schön ist, eh alles irgendwie schon passen wird, die Berge und die Seen, so beschaulich, dass man ja immer selig und auch ein bisserl dumm ist, jedenfalls immer das Opfer und niemals Täter. In diesem Sinne ist Österreich Insel der Seligen wie eh und je.
Amen. Und herzlichen Dank für das Gespräch.
PS: Ein von einer Insel stammender Kulturwissenschaftler verlieh der Insel für dieses Gespräch seine Stimme.